Majuskel am Anfang der hebräischen Thora

Hallo liebe www-Community - eine Frage, die mich schon lange beschäftigt:

Seit wann (ungefähr) wird das erste Schriftzeichen in der hebräischen Thora etwas dicker bzw. größer geschrieben als der Rest des Textes? Wer - außer den Schreibern der Schulen in Tiberias - hat’s erfunden bzw. in die Schrift eingeführt?
Gibt es Fragmente, Schrift- oder Schreibtraditionen (außer den Editionen des Cod. B19 aus Stuttgart) mit normalem Anfangsbuchstaben?

Auch über Anregungen freue ich mich! Gruß
joejac

weder Initiale noch Majuskeln
Hallo,

Tatsächlich ist dieses Initialschriftzeichen in der Complutensis das einzige seiner Art.

Ich weiß nicht, was du meinst. Wo werden denn in der Complutensis die hier diskutierten Initiallen verwendet?

Es fehlten dort z.B. das mittlere Schriftzeichen der Thora in Lev 11:42 …
http://joejac.lima-city.at/books/misc/lev_11-42.png

Also „kol holek al-gachon“ („alles auf dem Bauch gehende“): Das an dieser Stelle im Leningradensis in Übergröße geschriebene „waw“ in „gachon“ ist hier in regulärer Größe geschrieben.

… oder in Dtn 6:4 die beiden Majuskel im „Höre Israel“:
http://joejac.lima-city.at/books/misc/dtn_6-4.png

Und ebenso hier das ayin in schema’ und das daleth in ächad. Die Complutensis ist ja auch aus dem 16. Jhdt und hat den Leningradensis mutmaßlich als Vorlage benutzt. Warum diese Buchstaben in Übergröße geschrieben sind: Weiß man es denn? Die Autoren von Complutensis offenbar nicht und haben es daher normalisiert.

Aber was hat das nun mit der Tradition übergroßer Initialen zu tun? Hier geht es doch gar nicht um Initiale! Initiale sind übergroße Anfangsbuchstaben eines Kapitels (und danach hattest du ja gefragt!). Eine rein graphische Attitüde in der Tradition des Schriftsetzens.

Die hier von dir erwähnten Beispiele im Wortinneren aus dem CL haben ganz andere Hintergründe (die ich allerdings auch nicht kenne).

Und btw.: was du hier „Majuskel“ nennst, ist keine Majuskel. Die gibt es in der hebräischen Schrift doch gar nicht! Die gibt es nur in lateinischer und griechischer Schrift. Eine Majuskel ist nicht lediglich eine größer gemalte Minuskel. Minuskeln sind viel später aus Majuskeln entwickelte variante Buchstabenformen. Diese Varianten gibt es im Hebr. nicht.

Gruß
Metapher

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PS  Entschuldige mich bei allen Fans von „Genesis“, die ich zu dieser Frage angeschrieben habe; schöne Musik, war vor ca. 40 Jahren auch schon einmal live dabei.

Aus dem Sofrim Traktat ergibt sich tatsaechlich nicht besonders viel. Allerdings exisieren ein paar Buecher zur Buchstabengroesse. Wobei nicht vergessen werden darf, dass es nicht nur grosse, sondern ebenso kleine Buchstaben gibt. U.a. sehen wir dies im Wort VAYIKRA.

Die Buecher sind allesamt in hebraeischer Sprache und ich habe die Moeglichkeit, an sie heranzukommen. Immerhin sitze ich in Jerusalem an der Quelle. :smile:

Des Weiteren schaffte ich mir selber einige Buecher an. Nicht nur, um die Antwort auf die Frage herauszufinden, sondern um mich einmal intensiver mit einem lange, von mir gemiedenen Thema, auseinanderzusetzen. Deswegen verfasse ich auf meinem Blog momentan Artikel zum hebraeischen Alphabet an sich.

Die Antwort zur oben gestellten Frage braucht jedoch noch einiges an Zeit. Dafuer aber gibt es vorweg schon Antworten zur Mystik der Buchstaben, zur Gematria und zu weiteren, nur in richtigen Thorarollen, erscheinenden Zusatzzeichen.

Insgesamt geben einige Talmudtraktaete (ausser Sofrim) dennoch eine Menge zum Thema Buchstaben her. Unter anderem Sanhedrin, Menachot oder Schabbat.

Wer meine Serien zu den hebraeischen Buchstaben verfolgen will:

http://hamantaschen.wordpress.com/category/hebraeisc…

Gute Frage !
Die Antwort darauf habe ich hoffentlich in einigen Tagen parat, denn sie befindet sich im Talmud Traktat Sofrim. Diesen speziellen Traktat habe ich gerade nicht zur Hand, werde ihn aber besorgen und Dir dann die Antwort zukommen lassen. Dies wird hoffentlich am kommenden Montag sein.

  &   & Co.
http://www.wer-weiss-was.de/anregungen-lob-kritik/ke…

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Initiale ohne Mystik
Hallo Miriam,

du hast aber schon mitgekriegt, daß wir hier inzwischen ein Stückchen weitergekommen waren? Mit der Feststellung, daß es dem UP nicht um „Majuskeln“ (die es eh im Hebr. nicht gibt), sondern um die Tradition übergroßer „Initiale“ bei Kapitelanfängen.
Siehe hier im Thread.

Aus dem Sofrim Traktat ergibt sich tatsaechlich nicht besonders viel.
Insgesamt geben einige Talmudtraktaete (ausser Sofrim) dennoch eine Menge zum Thema Buchstaben her. Unter anderem Sanhedrin, Menachot oder Schabbat.

Schriften, die fast alle später entstanden sind als die Initial-Traditionen in Italien und Irland des 5. Jhdts. Und die hatten gar nichts mit Schrift- und Buchstaben-Mystizismen jüdischer Herkunft zu tun (welche ja auch ganz andere Motive hatten als diese rein ästhetischen).

Grüße
Metapher

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Hallo Metapher, vielen Dank für Deinen Hinweis!

Tatsächlich ist dieses Initialschriftzeichen in der Complutensis das einzige seiner Art.
Es fehlten dort z.B. das mittlere Schriftzeichen der Thora in Lev 11:42 …
http://joejac.lima-city.at/books/misc/lev_11-42.png
[interessant hier die (wahrscheinlich babylonische) defektive Lesart am Rand!]
… oder in Dtn 6:4 die beiden Majuskel im „Höre Israel“:
http://joejac.lima-city.at/books/misc/dtn_6-4.png

Der Ausgabe des Buches Ochla von Fernando Diaz Esteban (auch die Frensdorff-Listen 82 & 83 fehlen in dem von ihm präsentierten Codex) im Anhang beigegeben sind Ablichtungen von Fragmenten weiterer Ochla-Bücher, enthaltend davon abweichende, weniger umfangreiche Listen der Wörter mit Majuskeln.

Alles wirklich sehr zweifelhaft!

Gruß
joejac

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Initialen in antiken Handschriften
Hallo,

diese besonders betonten jeweils ersten Buchstaben eines Kapitels oder Absatzes nennt man „Initialen“ (bzw. initiale Versalien). Nach meiner Kenntnis hat sich diese Tradition in Italien ab 4.-5. Jhdt. verbreitet. Ältestes Beispiel scheint der Codex Alexandrinus zu sein. Sie wurde aber dann von vielen Kulturkreisen assimiliert: sassanidische, jüdische, römische, arabische Schreiber verwendeten diese graphische Idee.

Zuerst (wie eben auch im Alexandrinus) wurde die Initiale außerhalb des Textrandes vor die jeweilige Zeile gesetzt. Später in mehreren Stilen unter anderem in Übergröße auch in die Zeile hinein, grundlinienbündig oder vertikal versetzt. Die Tradition, diese Initialen mit Ornamenten zu verzieren, und ggf. auch mit Malerein zu versehen, die sich auf den Text bezogen, kam aus Irland ab 5. Jhdt. (→ illuminated manuscrips).

In dem von Miriam erwähnten Masecheth Soferim - thematisch zuständig wären ja die Kap. 6 bis 9 - steht über exponierte Initialen nichts drin, wenn ich mich nicht täusche. Aber dieser Traktat wurde ja eh erst später verfaßt.

Jm2p zur Frage.

Gruß
Metapher

Majuskel am Anfang der hebräischen Thora

Hallo joejac,

das Talmud-Buch „Soferim“ gibt es nun online, mit deutschem Kommentar von 1878 und als aramäisch-neuhebräischen Druck von 1522 … von Goldschmidt in seinem großen Übersetzungswerk leider übergangen.

Das Buch Soferim wurde in der Zeit nach dem Talmud und vor der Erfindung der Vokalisationszeichen (Punktation) geschrieben, beträfe aber nur die Schriftrollen!


Aus „Kanon und Text des Alten Testamentes“ von F. Buhl:

Der Anfang vom Talmud-Traktat „Soferim“ (Venedig 1522):

Hier Deine Linksammlung zum aramäisch-neuhebräischen Vokabular bei fragwerk.info
(wurde von Ulf wiederhergestellt, nachdem Du alles vor Deinem Abgang dort gelöscht hattest; das Wörterbuch von F. Korn wäre unbrauchbar!)

Gruß
Semsi

PS Der hebräische Text der Complutensischen Polyglotte wäre als christlich überarbeitetes Zeugnis für eine Textkritik zu diesem Thema wenig geeignet! Dazu hier mein Tipp bei wer-weiss-was.de

Schalom! Vielen Dank für Deinen Hinweis - leider habe auch ich die relevante Textstelle von diesem Traktat nicht, wäre Dir daher sehr dankbar!

Die Genesis-Ausgabe der BHQ lässt auf sich warten … habe nur Zeugnisse für den masoretischen Text aus Tiberias, aus dem Buch Ochla …
https://archive.org/stream/dasbuchochlahwoc00fren#pa…
… und als älteste Belegstellen den Text der Complutensis (für die ältere tiberische Punktation) …
http://joejac.lima-city.at/books/misc/com-0001.png
… und den Codex Cairensis (für die jüngere tiberische Punktation):
http://joejac.lima-city.at/books/misc/cai-582.png
Beim einzigen mir bekannten Fragment von Gen 1:1 mit (jüngerer) babylonischer Punktation sind die ersten Schriftzeichen zerstört.

Gruß
joejac

Hallo Metapher,

denke nicht, dass man für den hebräischen Text der Complutensis den Leningradensis B19 (früher hieß er „Petropolitanus“ - Sigel " P") zugrundelegte. Man wird für den Haupttext Handschriften aus Spanien benutzt haben, die es dort reichlich gab - dort häufig als Weiterentwicklung, d.h. Verbesserung des Ascher-Textes, z.B. hinsichtlich des Gebrauchs von „Dagesch“ und „Raphe“ (wir z.B. benutzen „Dagesch“ nur für die Verdoppelung, für die weiche Aussprache „Raphe“), so dass man wohl versuchte, die ursprünglichste Form dieses tiberischen Textes zu bieten.

Allerdings enthält der Leningradensis B19 eine etwas bissige (zurückweisende) Note des levitischen Priesters - für den er angefertigt worden war - hinsichtlich der besonderen Schreibweise diverser Details …

Gruß
joejac

… es ist tatsächlich nicht einfach, an den Text dieses kleinen Traktats heranzukommen, sei es auch nur in einer Übersetzung; gekürzte Inhaltsangaben sind meistens etwas zu kurz, z.B. „Kanon und Text des Alten Testamentes“ von F. Buhl
https://archive.org/stream/Buhl1891/Buhl%201891#page…

Schalom

Zu „Die Wurzel eines Wortes in der hebräischen Sprache“ in Deinem Blog könnte ich Dir (für den Anfang!) „Hebraeisch ein uraltes Hieroglyphensystem“ von E. Ettisch empfehlen; man sollte allerdings zwischen den Zeilen lesen - es ist nicht alles Gold …

PS  Wenn Dich die Fragen bzw. die Fragestellungen des „Priesterlichen Orakels“ interessieren (mit Atbasch käme z.B. genau der gleiche Begriff heraus, nur mit anderen „Worten“), dann frag einfach bei w-w-w

Hallo Metapher,

die „Initiale ohne Mystik“ war ein Vorschlag von Dir - für den nicht nur ich Verständnis hätte …
http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/conte…
… daneben gäb’s noch die Vermutung von etwas zu viel Tinte auf dem Füller (Beispiel dafür vielleicht Codex Cairensis), die einem professionellen Schreiber aber nicht unterlaufen dürfte!

Gruß
joejac