Mal was Positives: Illinois und Todesstrafe

Hi allerseits
Nach einem umfangreichen, 3 Jahre dauerndem Hearingprozess hat der scheidende Gouverneur von Illinois alle Insassen der Todeszelle zu „Lebenslänglich ohne Begnadigungsmöglichkeit“ begnadigt. Grund: Die generelle Verfahresweise birgt eine erhebliche Gefahr, dass Unschuldige hingerichtet werden.

Auslöser war, dass 13 Insassen gesichert unschuldig waren… bei weiteren geb es erhebliche Zweifel an der Fairness des Verfahrens usw usw usw.
Besonders pikant ist, dass der Gouverneur 3 Insassen vollständig begnadigt (=freigelassen) hat, die offenbar durch „den 3 Grad“ zum Geständniss gebracht wurden.
http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/articles/A42290…

Jetzt nörgeln natürlich alle Todesstrafenbeführworter wieder rum. Aber der scheidende Gouverneur Ryan war selbst ein vehementer Befürworter der Todesstrafe, bis ihm die Augen aufgegangen sind…

irgendwie erinnert mich das an die Story hier:
Wiederaufnahme
von Kurt Tucholsky
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…

Gruß
Mike

Hi allerseits,

ebenso

was mich bei der Sache erstaunte, als ich das heute morgen las, war: Das ein Gouverneur im Alleingang solche umfangreichen Entscheidungen treffen kann.

Ich kenn mich nicht aus (geb ich zu), ist ein Gouverneur so in etwa gleich zusetzten mit einem Ministerpräsidenten? Musste er sich nicht noch Zustimmung vom Senat o. ähnliches einholen? Oder konnte er dieses wirklich allein verfügen?

Und das er gleich bei so vielen die Strafen umwandeln konnte. Das wird sicherlich auch in anderen noch praktizierenden Bundesstaaten auf offene Ohren stoßen.

Bei uns würde das von einer Instanz zur Nächsten gereicht.

G

Hi,

was mich bei der Sache erstaunte, als ich das heute morgen
las, war: Das ein Gouverneur im Alleingang solche
umfangreichen Entscheidungen treffen kann.

die Gouverneure haben in den USA regelmäßig eine weit größere (Allein)Entscheidungsfreiheit als daß in Deutschland mit den vermeintlich vergleichbaren Ministerpräsidenten der Fall ist.

Das gesamte politische System in den USA ist ja auch viel stärker auf Einzelpersonen (Präsidenten und eben Gouverneure) ausgerichtet, als z.B. das deutsche.

Ich kenn mich nicht aus (geb ich zu), ist ein Gouverneur so in
etwa gleich zusetzten mit einem Ministerpräsidenten? Musste er
sich nicht noch Zustimmung vom Senat o. ähnliches einholen?
Oder konnte er dieses wirklich allein verfügen?

Im Fall der Todesstrafe ist es so, daß der Gouverneur eines Bundesstaates allein das Recht hat, darüber zu entscheiden, ob eine Hinrichtung vollzogen wird oder nicht. Der Gouverneur hat das einerseits das Recht, eine Begnadigung auszusprechen und andererseits die Pflicht, die Hinrichtung höchstpersönlich und explizit anzuordnen (so er denn die Hinrichtung befürwortet).

Um allerdings eine Änderung der Verfassung des Staates Illinois zu bewirken, daß die Todesstrafe generell abgeschafft wird, müssen die „gewöhnlichen“ Gesetzgebungsorgange ran. Lediglich die Begnadigungen konnte er alleine beschließen.

Und das er gleich bei so vielen die Strafen umwandeln konnte.
Das wird sicherlich auch in anderen noch praktizierenden
Bundesstaaten auf offene Ohren stoßen.

Das ist mal die Frage. Die ganze Diskussion über die Todesstrafe wurde vor ein paar Jahren von einer Gruppe Studenten von einer Chicagoer Uni angestoßen. Diese untersuchten im Rahmen einer Projektarbeit alte Gerichtsverfahren und stießen auf erhebliche Mängel und Ungereimtheiten, so z.B. daß die Verteidiger teilweise gar nicht anwesend waren, betrunken oder sonstwie geistig abwesend. Oder daß Aussagen von Leuten geglaubt wurde, die nachweislich von der Polizei bezahlt worden waren usw. Obwohl diese Umstände bekannt waren, wurden Urteile gesprochen und zwar vor allem und verschärft gegen Schwarze und Latinos (was allerdings in den USA ohnehin praktisch überall der Fall ist).

Bei dieser Projektarbeit kam eben auch heraus, daß unter die diesen mangelhaften Prozessen auch einige waren, die mit Todesstrafe ausgingen, wobei einige der Urteile bereits vollstreckt waren. Ryan hat seinerzeit (muß so um die 3-5 Jahre her sein) den sofortigen Stop des Vollzuges von Hinrichtungen beschlossen.

Der Beschluß, gleich alle Todeskandidaten zu begnadigen, erging wenige Tage vor Ende seiner dritten Amtszeit. Eine Wiederwahl war aufgrund der - nach etlichen Skandalen - katastrophalen Umfrageergebnisse sowieso eher unwahrscheinlich.

Also hat er sich noch mit einem großen - aus humanistischer Sicht begrüßenswerten - Knall verabschiedet.

Soviel dazu.

Gruß
Christian

Bei uns würde das von einer Instanz zur Nächsten gereicht.

G

Hi Christian,

danke für die Infos. Das ein Gouverneur zum Tode verurteilte begnadigen kann, war mir gekannt. Aber alle auf einmal? Was macht es schon, ob nun einer nach dem anderem oder alle auf einen Schlag?

Der Beschluß, gleich alle Todeskandidaten zu begnadigen,
erging wenige Tage vor Ende seiner dritten Amtszeit. Eine
Wiederwahl war aufgrund der - nach etlichen Skandalen -
katastrophalen Umfrageergebnisse sowieso eher
unwahrscheinlich.

Also hat er sich noch mit einem großen - aus humanistischer
Sicht begrüßenswerten - Knall verabschiedet.

Da hat sich wohl sein Gewissen gemeldet? Stell dir mal vor, wie viele Unschuldige dann noch in einer Todeszelle warten.

G

Hallo Leute,

Da hat sich wohl sein Gewissen gemeldet? Stell dir mal vor,
wie viele Unschuldige dann noch in einer Todeszelle warten.

Zu Lebenslänglich ohne Begnadigungsmöglichkeit erscheint mir für unschuldig Verurteilte nicht gerade ein Gnadenakt.

Gruß
Gisela

Moin Gisela,

Zu Lebenslänglich ohne Begnadigungsmöglichkeit erscheint mir
für unschuldig Verurteilte nicht gerade ein Gnadenakt.

Jein. Es kam ja immer wieder vor (und darin besteht für unschuldig Verurteilte ja die Hoffnung), dass sich die Unschuld später herausgestellt hat. So lange sie noch leben, können sie noch hoffen.

Wenn sich die Unschuld von unschuldig verurteilten jedoch nie herausstellt, ist das sicherlich nicht viel besser. Da stimme ich dir zu.

Bei allem Positiven: hätte der Gouvernour noch ernsthaft um seine Wiederwahl gekämpft, hätte er wohl so nicht entschieden. Für die Todesstrafe zu sein, ist wohl immer noch populärer in den USA.

Ciao

Ralf

Gruß
Gisela

Hi,

danke für die Infos. Das ein Gouverneur zum Tode verurteilte
begnadigen kann, war mir gekannt. Aber alle auf einmal? Was
macht es schon, ob nun einer nach dem anderem oder alle auf
einen Schlag?

der Unterschied ist, daß - wie ich schrieb - die Amtszeit des Gouverneurs übermorgen abläuft. Für einen pro Tag hatte er nicht wirklich Zeit.

Gruß
Christian

N`Abend,

was mich bei der Sache erstaunte, als ich das heute morgen
las, war: Das ein Gouverneur im Alleingang solche
umfangreichen Entscheidungen treffen kann.
Bei uns würde das von einer Instanz zur Nächsten gereicht.

Würde es nicht. Gemäß GG hat der Bundespräsident in Deutschland das Begnadigungsrecht. Daß dieses nicht den Länderchefs zuteil ist, ist dadurch zu erklären, daß das Strafrecht ja auch ein bundesrecht ist.

Gruß
L.

hat er denn damit eigentlich eine debatte losgetreten oder wurde das als einzelakt entsprechend kritisiert oder gleich ignoriert?

gruss

hat er denn damit eigentlich eine debatte losgetreten oder
wurde das als einzelakt entsprechend kritisiert oder gleich
ignoriert?

Hi Lars
Also die Presse ignoriert das nicht
Die Meinungsseiten in der US-Presse sind rappelvoll
Vor allem, weil in Maryland ebenfalls ein Hinrichtungsmoratorium gilt, aus ähnlichen Gründen wie in Illinois.

Ob das wieder einschlafen wird?
Wer weiss, ich hoffe nicht.

Gruß
mike