Hallo VIKTOR,
es geht Dir also zunächst um die Definition von freiem Willen. Zum einen habe ich ja in meinen Ausführungen die Entscheidungen als Beispiel genannt, die nicht aufgrund „dringender Bedürfnisse“ anstehen, zum anderen habe ich auf Roth verwiesen. Du hast natürlich Recht, es geht um die Definition von freiem Willen, denn die Definition ist zugleich der Baustein der Lösung (die Zukunft wird vielleicht zeigen, dass sie sogar fast die gesamte Lösung selbst ist). Ich habe die Motivation ausdrücklich mit einbezogen. Wir sind selbstverständlich auch bei unseren Entscheidungen Ergebnis/Teil der Natur. Also ist „frei“ relativ. Daher könnte man die „freie Entscheidung“ wenn es sie denn geben sollte, als Teil des Determinismus ansehen. Widerspruch frei zu zwingend? Kompatibilismus scheint damit kein Problem zu haben.
Ich habe mich ja auch auf Roth bezogen, dessen zwingenden Determinismus ich zwar nicht teile, aber er ist ein Top Hirnforscher und man sollte sich zur Meinungsbildung auch mit allen wichtigen Positionen befassen. Prof. Roth setzt sich sehr viel auch mit dem freien Willen auseinander und bringt Definitionen. In seinem Buch „Fühlen, Denken, Handeln“ beschreibt er auf vielen Seiten den „freien Willen“ wie wir (übrigens - das ist das Schizophrene - auch Roth selbst) ihn verstehen ( und an den er nicht glaubt…). Ich kann hier nicht alles ausführen. Kurz zunächst seine groben Definitionen freier Willenshandlungen (Seite 495 ff Taschenbuchausgabe): „1) die Gewissheit, diese Tätigkeit werde von uns bzw unserem Willen erzeugt und gelenkt, wir bzw unser Wille sei Verursacher unserer Handlungen 2) die Überzeugung, wir könnten auch anders handeln oder hätten im Rückblick auch anders handeln können, wenn wir nur wollten bzw gewollt hätten und 3) wir fühlen uns für diese Handlung verantwortlich und akzeptieren (bereitwillig oder widersprebend), für die Konsequenzen unseres Handelns zur Verantwortung gezogen zu werden.“
Es wird weiter etwas zu „Selbstzuschreibung“ und „nicht oder nur bedingt voraussagbar“ ausgeführt. Weiter geht es darum, was ich in meinen Ausführungen „Und selbst wenn es einen freien Willen gibt, also wir bei manchen nicht so zwingend nachvollziehbaren Entscheidungen von einer „freien“ Ja/Nein Möglichkeit ausgehen“ beschrieben habe. Also ein gutes praktisches Beispiel für freien Willen sind Situationen, die nicht eine zwingend oder drängend klare Entscheidung aufgrund äußerer wie innerer Einflüsse vermuten lassen. Dazu im selben Buch auf Seite 497: „Sehen wir uns kurz an, in welchen Situationen wir am stärksten das Gefühl der Willensfreiheit haben, d.h. das Gefühl, WIR seien es, die die Entscheidung treffen, und wir könnten auch anders handeln, wenn wir nur wollten. Dies tritt dann auf, wenn 1) die Motivationslage nicht einseitig ist, d.h. wenn wir uns Alternativen zumindest als realistisch vorstellen können, 2) wenn die Konsequenzen der Entscheidung NICHT beträchtlich sind, wenn es also nicht um Kopf und Kragen geht, und wenn 3) wir unseren Verstand in Ruhe walten lassen können.“
Roth nennt ein „relaxtes“ Beispiel: die Wahl des nächsten Urlaubsortes. Mir fiel ein anderes persönliches Beispiel ein: Wo fühle ich mich sehr wohl und ungezwungen und frei? Auf einer Aussichtswiese an einem sonnigen Nachmittag, nicht mehr zu heiß (weder Durst noch Schattenverlangen) und auch sonst keine wesentlichen aktuellen elementaren Bedürfnisse. Was tu ich da? Relaxen, nachdenken, Wolkenbilder ansehen, einen Grashalm pflücken, herumlaufen? Ich entscheide sehr zwangslos und anscheinend/scheinbar wahllos, spontan. Für oder gegen etwas zu entscheiden hat hier keine erkennbaren wesentlichen Vorteile - frei.
Roth lässt auch die Definitionen der Philosophen nicht aus. Von Kant (Kritik der reinen Vernunft wie auch seine Feststellung Willensfreiheit könnte nicht empirisch nachgewiesen werden), über Decartes, Platon, Cicero und Schoppenhauer etc etc. Seine Definitionen berücksichtigen kritisch diese Positionen.
Ich denke die genannten Definitionen und Beispiele genügen.
Ich habe mich lange gefragt, warum Hanzo hier die Quantenphysik in die Fragestellung „eingebaut“ hat - bewusst oder unbewusst. Jedenfalls geht es ihm um Determinismus und namhafte Hirnforscher nehmen eben an, das Denken sei ausschließlich deterministisch (auch Singer - siehe das Buch „ein neues Menschenbild“). Und die von Hanzo ins Spiel gebrachte Quantenphysik ist eben genau DIE Wissenschaft, die zur Zeit eine andere Möglichkeit als Determinismus zulässt (oder gar zwingend den Determinismus zumindest aussetzt). Man kann sich natürlich die Frage stellen, ob dieses Thema dann besser im Brett Physik oder anderen naturwissenschaftlichen Brettern untergebracht wäre, aber ich habe ja selbst in diesem Brett vor einigen Tagen erwähnt, dass die Quantenpysik unter Umständen unser Weltverständnis demnächst oder in weiter Ferne revolutionär verändern könnte. Das wäre (oder ist bereits) ein wesentliches philosophisches (wie auch soziologisches - ich habe das Strafrecht erwähnt - und religiöses) Thema.
Wie Michael hier dankenswerter Weise erwähnt hat, kann die Quantenphysik unter Umständen ein Schlüssel dazu sein, Religion, Philosophie und auch Physik in ganz anderen Dimensionen neu zu definieren. Wenn Determinismus nicht immer und überall „direkt“ gilt, dann gibt es vielleicht auch in einem Hirn zufälligen Quantensprünge und es gibt - vielleicht - die „relative Freiheit“, diese zu lenken.
Der erste Schritt ist zunächst einmal Quantenphysik weiter zu erforschen - auch das Hirn betreffend. Prof. Ewald hat dazu interessante Ansätze gesammelt. Brian Green hat in seinem Buch „Der Stoff aus dem der Kosmos ist“ die Rätsel definiert. Und wenn man heute weiß, dass man eben vieles nicht weiß und Quantenmechanik mit Gravitation unvereinbar ist, werden revolutionäre Theorien über Zeit, 10 hoch 500 Paralelluniversen und Stringtheorie mit neuen Dimensionen diskutiert. KEINER weiß, wohin das führt - auch die Hirnforschung betreffend nicht.
Ds ist, was ich meinte mit „vorübergehend trösten“ mit der Tatsache, dass Freiheit der Entscheidung relativ ist und der Determinismus derart chaotisch, dass beide Ansichten nicht so weit auseinander liegen, wie manche Dogmatiker glauben wollen. Aber ich bin auch gerne auf der Seite der dogmatischen Frei(heits)denker und fordere daher gerne die Forschung auf, die Quantenforschung verstärkt in die Hirnforschung einzubeziehen.
Schon allein deswegen, weil ein wachsendes Bewusstsein über ein zwingend deterministisches Gehirn revolutionäre Folgen hätte! Das meinte ich mit „Beobachten des Determinismus“ ist wie „Beobachten“ des Photons, das allein durch die Beobachtung (Delayed-Choice-Experiment)„rückwirkend“ chaotisch wird so wie die Welt chaotisch wird, wenn wir den Determinismus als alles vorbestimmend akzeptieren, womit er allem (noch so üblem) Handeln seine Legitimation verleiht.
Schönen Gruß von
ikarusfly