Hallo,
„geflügelte Wörter“ und Redensarten haben es so in sich.
warum muss man „seine Wurzeln kennen, um sein Zukunft
bestimmen zu können“ (oder so ähnlich)/ „ohne Wurzeln, keine
Flügel“/
Was genau ist damit gemeint? Bezieht sich der Spruch auf die genetische Herkunft eines Menschen?
Ich denke, jede/r Mensch hat im Laufe seines Lebens das Bedürfnis, etwas über seine biologische Herkunft zu erfahren, sich in ein größeres Ganzes bzw. sein (biologisches) Gewordensein zu erfahren.
Das wird deutlich bei Leuten, die erst als Erwachsene erfahren, daß sie adoptiert worden sind. Auch wenn die Bedingungen in der Adoptionsfamilie gut. waren, haben die Adoptivkinder das Bedürfnis, mehr zu wissen. Es gibt unterschiedliche Studien zu diesem Thema, die alle darauf hinauslaufen, daß dieses Wissen wichtig für die eigene Identität ist und Adoptivkinder, die nichts über ihre biologische Herkunftsfamilie wissen, in stärkerem Maße von psychischen Krankenheiten betroffen sind als die restliche Bevölkerung.
In Deutschland hat das dazu geführt, daß man sich von der früher üblichen Form der „geschlossenen Adoptionen“ verabschiedet hat und jetzt - auch von Behördenseite - die sogenannte offene Adoption befürwortet, d.h. das Adoptivkind erfährt schon in der Kindheit je nach Entwicklungsstand in geeigneter Form, daß es adoptiert ist.
Übrigens werden auch „ledige“ Mütter, die ein Kind bekommen und zur Vaterschaft keine Angaben machen, regelmässig vom Jugendamt dazu befragt. Das hat natürlich auch den Grund, daß das Jugendamt ein finanzielles Interesse hat (sich den Unterhaltsvorschuß beim Vater zurückholen zu können). Es ist aber ausdrücklich auch gesetzlich festgelegt, daß das Jugendamt das tun muß als Interessenvertreter des Kindes, weil es im Interesse des Kindes ist, seine biologische Herkunft zu wissen. Dieser biologischen Verbundenheit wird in Deutschland ein so hoher Stellenwert eingeräumt, daß sogar das Erbrecht geändert wurde und diese Kinder gegenüber ihrem Erzeuger Erbansprüche haben.
„Man muss wissen woher man kommt, damit man weiß
wohin man geht“/ etc.
Dem ersten Teil stimme ich zu, dem zweiten nicht, denn der Mensch hat die Entscheidungsfreiheit über sein Schicksal. Es gibt gelingendes Leben auch ohne dieses Wissen, aber es ist schwerer.
Ich kenne Juden, die während der Nazizeit als Kleinkinder versteckt wurden und sich nicht mehr an ihre biologische Familie erinnern. Manche haben erst als Erwachsene erfahren, daß sie aus jüdischen Familien stammen. Das hat zu tiefer Verunsicherung geführt und einen Prozeß des Suchens eingeleitet.
Warum muss das und wieso ist das eine für das andere
notwendig?
Danke für die antworten im voraus!
Wenn solche Suchprozesse erfolgreich sind, und jemand von der Familie gefunden werden kann und es dann zu einem persönlichen Kontakt kommt, dann schildern die Betroffenen, daß das sehr wichtig für sie war und dass sie sich jetzt „vollständiger“ fühlen.
Das gilt sinngemäß auch für aus dem Ausland adoptierte Kinder.
Vielleicht sind einige Denkanstöße für Dich dabei. Wahrscheinlich hätte Deine Frage im Psychologiebrett eine größere Resonanz.
Viele Grüße
Iris