MD-11 stall recovery

Liebe/-r Experte/-in,

seit geraumer Zeit verfolge ich interessiert die Diskussion um den Absturz der A330 von AF. Eine Richtung der Diskussion war die Reihenfolge der Maßnahmen aus dem stall in großer Höhe. Mir ist klar, das Vmax und vmin nur eine kleine Bandbreite bieten. Nun wurde darüber diskutiert warum die Piloten erst Schub gegeben haben anstatt in der Höhe (was mir vernünftiger erschien) den Anstellwinkel zu verringern. Diskussion lief bei pilots.de

Durch den Schub bekam die Maschine ein zuätzlichen Drehmoment und bäumte sich zusätzlich auf.

Es stellen sich für mich daher zwei Fragen mit Bezug auf die MD-11. Verhindert das Triebwerk am Heck ein solches Aufbäumen? Die Triebwerke an den Tragflächen werden mit Sicherheit eine solche Tendenz haben, aber kann durch den Hebel des hinteren Triebwerks dies verhindert werden?

Inwieweit schiebt LSAS dem ganzen einen Riegel vor?

Weiter wurde darüber diskutiert, warum die Piloten am Steuerhorn gezogen haben statt ihn zu drücken. Ein Pilot meinte es sei ein Reflex, den ich aber nicht nachvollziehen kann. Gibt es da eine Erklärung?

Vielen Dank im voraus

Felix

Hallo Felix,

zu 1: „Verhindert das Triebwerk am Heck ein solches Aufbäumen?“
Was meinst du mit „Aufbäumen“?

„Die Triebwerke an den Tragflächen werden mit Sicherheit eine solche Tendenz haben, aber kann durch den Hebel des hinteren Triebwerks dies verhindert werden?“
Wenn du mir genau schreibst, was du unter „Aufbäumen“ verstehst, kann ich mit dir gemeinsam bestimmt überlegen, ob es eine Wirkung gibt. Ich muss dazu sagen, dass ich kein Experte für Flugmechanik bin (Das ist eher der Fachbereich, zu dem deine Frage tendiert).

zu 2: Ich kenne mich mit LSAS und Avionik insgesamt auch nicht aus. Da muss ich dich wieder zu den Flugmechanikern verweisen.

zu 3: Ich habe schon von vielen Unfällen gehört, wo anstatt nachzudrücken am Steuer gezogen wurde. An meinem Heimatplatz ist ein erfahrener Fluglehrer nach dem Departure in den Stall gekommen und hat vor Schreck am Steuer gezogen. Es ist insgesamt immer schwer nachzuvollziehen, was an Bord einer Unglücksmaschine passiert. Man kann Daten, wie die Steuereingaben, zwar alle sammeln und auch in bunte Grafiken verpacken und einen Simulatorflug nachstellen: Die Gedanken, die ein Pilot beim Ausführen eines Steuerbefehls hatte, werden aber nie rekonstruierbar sein und damit bleiben alle Erkenntnisse auch nur Beobachtungen, die die Grundlage für Vermutungen bilden.

Leider konnte ich dir bei deinen Fragen nicht viel helfen. Vermutlich wirst du mehr Informationen bekommen, wenn du einen gestandenen Flugmechanik-Ingenieur fragst - ich kümmer mich mehr um das Innenleben von Triebwerken.

Grüße

Robert

Hallo Robert

Aufbäumen habe ich etwas salopp formuliert; richtiger wäre: der A330 hat einen erheblichen Nose-Up-Drehmoment bedingt durch die Anbringung der Triebwerke unterhalb der Tragfläche. Gilt dies nun auch für die MD11?

Auf den Unfall bezogen, ist es natürlich so, dass das langsamer werdende Flugzeug durch den gesetzten TOGA ein Drehmoment bekommt. Und das in der kritischsten Flugphase.

Daher die Frage ob das mittlere Triebwerk dies ausgleicht.

Gruß Felix

Lieber Felix Schmitt
die Antwort(en) auf diese Fragen sind letztlich nicht ganz einfach. Nicht weil es keine Antworten gibt, sondern weil die Interpretationen vieler Informationen nur sehr vorsichtig gebraucht Sinn machen. Hier ein Versuch:

Verhindert das Triebwerk am Heck ein solches Aufbäumen?

Die Antwort hier ist: Ja, aber. Tatsächlich reduziert Triebwerk 2 am Heck des MD-11 das „Pitch-up“ Moment beträchtlich (wenn auch nicht ganz). Aber das ist nicht die Antwort auf die Frage „was war das Problem beim A330 der AF447?“ Dieser Fall liegt wesentlich komplexer und sprengt den Rahmen hier.

LSAS hat aus meiner Sicht nur bedingt etwas damit zu tun, weil meine Erinnerung an meine MD-11 Zeit ist, dass dieses System bei sogenannten „high altitude upsets“ nicht oder nicht massgebend anspricht. Hier bin ich allerdings nicht mehr sicher.

Weiter wurde darüber diskutiert, warum die Piloten am
Steuerhorn gezogen haben statt ihn zu drücken. Ein Pilot
meinte es sei ein Reflex, den ich aber nicht nachvollziehen
kann. Gibt es da eine Erklärung?

Der Reflex „Vollgas und am Steuerhorn ziehen“ ist wohl der alte Strömungsabriss - Drill aus der Grundschulung. Dieser ist bei leichten Flugzeugen mit tiefen allgemeinen Geschwindigkeiten und wenig oder nicht gepfeilten Flügeln auch durchaus wirkungsvoll, weil das Vollgas geben bereits den Anströmungswinkel (durch grössere Vorwärtsbewegung) wirksam reduziert und das mehr oder weniger gleichzeitige „am Steuerhorn ziehen“ nur in extremen Situationen das Flugzeug wieder überzieht. Nicht vergessen darf man dabei auch, dass ein Flugzeug das 150 Tonnen schwer ist sehr viel träger reagiert und in der Lage ist, durch eine Kombination von massivem direktem und induziertem Luftwiderstand eine Energiezugabe in Form von Schub zu „vernichten“. Dies scheint bei AF447 der Fall gewesen zu sein.

Guten Morgen Felix,

jetzt verstehe ich, worauf du hinaus willst. Vorweg eine kurze Info zur Mechanik, genauer gesagt direkt zum Drehmoment (Nimm es mir nicht übel, ich kenne deinen Backround nicht): Drehmoment = Kraft * Hebelarm.

Ersteinmal kurz eine Plausibilitätsprüfung deiner Vermutung: Damit die MD11 dieses Nose-Up-Drehmoment nicht erzeugt, müsste das Drehmoment, das vom hinteren Triebwerk erzeugt wird, gegensinnig dem der von den vorderen Triebwerken erzeugten Drehmomente sein und diese auch in etwa kompensieren. Ginge man davon aus, dass alle drei Triebwerke den gleichen Betrag an Schubkraft liefern, so müsste der Hebelarm zum hinteren Triebwerk viermal so groß sein, wie der der vorderen:
2(F_Schub*S_Vorn)=F*S_Hinten
2F_Schub*2S_Vorn=F_Schub*S_Hinten
S_Hinten=4S_Vorn

Ohne die Daten der MD11 genau zu kennen: Wenn ich mir das gegoogelte Bild einer MD11 anschaue, kann dass durchaus hinkommen.
Ich habe jedoch die Befürchtung, dass dies eine Milchmädchenrechnung ist, da ich sehr viel vernachlässigt habe. Da ich morgen am ILR der TU Berlin bin, werde ich mal einen Flugmechanik-Menschen fragen, was er dazu sagt.

Grüße

Robert

Hallo felix,

da ich mich nicht spezifisch mit md11 oder aibus auskenne, versuch ich daher die beantwortung der frage lieber allgemein zu halten.

richtig jedoch ist das es ein normaler reflex eines piloten ist, erst einmal schub zu geben, obwohl solche situationen immer im simulator geuebt werden. aber in real life sieht es immer anders aus und man wird ueberrascht.

die richtige sequenz eines stall sollte daher laut handbuch QRH foldendermassen aussehn

  1. attitude and thrust adjust
    (vom hersteller allgemein gehalten um regressanspruech zu entgehen) --> aber hier ist gemeint nase senken , und den schub so zu waehlen, das man nicht in den „second stall“ gelangt. spricht unter Vmin geraet.

hoffe wenigstens ein bisserl geholfen zu haben

mfg

tarek

Hallo Felix

leider kann ich Dir hinsichtlich der MD-11 keine typenspezifische Auskunft geben, da ich dieses Flugzeug nie geflogen habe. Deshalb nur meine allgemeinen Vermutungen:

Sollte das mittlere Triebwerk der MD-11 wirklich über dem kritischen Punkt liegen und somit dem durch die beiden anderen Triebwerke induzierten Drehmoment entgegenwirken (was ich nicht weiß), dürfte es ja trotzdem eins gegen zwei stehen und so der Drehmoment der beiden unteren Triebwerke höchstens abgeschwächt werden. Inwiefern LSAS eine Rolle spielt, weiß ich nicht - wie gesagt, ich habe die MD-11 fliegerisch nie kennengelernt.

Die Idee, das Ziehen am Steuerhorn bei einem Stall wäre ein Reflex kann ich mir dadurch erklären, dass in vielen fliegerischen Übungen während Ausbildung und Training von Piloten Höhenverlust während einer Stall-Recovery unerwünscht ist. Man übt so das Herausfliegen aus dieser Situation in niedrigen Höhen (Anflug etc.). Allerdings gibt es durchaus auch eine Abwandlung dieses Manövers, in dem man Höhe für Geschwindigkeit aufgibt.

Viele Grüße
Fabian

hallo felix
das thema das du hier ansprichst ist äusserst komplex,
und es fehlen angaben, oder sind nicht bekannt,zu den informationen die die piloten der af hatten bzw. nicht hatten, auf grund ausgefallener instrumente.
grundsätzlich kann man aber sagen dass ein flugzeug durch die entsprechenden ruder und trimmungen über drei
achsen gesteuert wird. dort wo sich die imaginären linien der drei achsen kreuzen ist der schwerpunkt.
jede krafteinwirkung ausserhalb dieses schwerpunktes
bewirkt ein moment dessen grösse von der krafteinwirkung und von der entfernung abhängig ist.
im normalen flugbetrieb kommt man nicht auch nur annähernd in den stallbereich. im simulator werden
stallübungen üblicherweise gemacht indem die höhe gehalten wird (vermeidung von bodenkontakt)und schub gegeben wird, dabei entsteht zb.bei boeing ein nose
up moment, bei flugzeugen mit den triebwerken am rumpf
ist nur ein geringes oder gar kein moment um die
querachse erkennbar. bei af war wahrscheinlich der
tatsächliche flugzustand nicht mehr zu erkennen,
aber dazu fehlen mir informationen.
reflexe sollte es in der fliegerei nicht geben, man sollte immer vorher wissen was man tut bevor man etwas
macht.
mfg.

Abwarten was die Experten sagen, kann ich nur empfehlen.
Zum Thema reflex, ziehen am Steuerhorn bei Strömungsabriss. Die nase geht nach unten und der Pilot will nach oben, also zieht er am Steuerhorn. Nur wenn vorher der Alarm für Strömungsabriss ertönt, oder der Fahrtmesser das richtige anzeigt, würde der pilot gleich richtig reagieren. aber wenn der Pilot nicht mit einem strömungsabriss rechnet, reagiert er erstmal instinktiev falsch.