Medikation in Senioreneinrichtung

Hallo zusammen,

vor genau 10 Tagen ist meiner Schiewegermutter in eine „Seniorenresidenz“ umgezogen. Es ist eine inhabergeführte Einrichtung, mit 39 Bewohnern. Wir haben dieses Haus ausgewählt, weil es eben keine riesengroße Einrichtung ist und wir uns davon etwas mehr persönliche Betreuung erhofft haben. Außerdem ist es in unserer Nähe. Vorher lebte sie in ihrer Wohnung knapp 100 km von uns entfernt und wurde in gewissem Umfang von der Diakonie bereut (Pflegestufe I). Dessen ungeachtet driftete sie in immer größerer Verwahrlosung ab (nicht mehr gewaschen oder gar gebadet, Fußnägel waren unglaublich lang und teilweise eingewachsen usw., starker Gewichtsverlust)

Die Schwiegermutter ist 82 Jahre alt und leidet an zunehmendem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses, ist ansonsten von freundlichem und zugänglichem Wesen und wenn man sich die Zeit nimmt, ihr etwas zu erklären (häufiger) und sie Ruhe um sich hat, ist sie durchaus einsichtig. Die ersten Tage in ihrer neuen Umgebung waren sehr schwierig, da der Umzug ziemlich plötzlich für sie kam. Mittlerweile mag sie ihr Zimmer, sie klagt und beschwert sich nicht, einzig sie zum Trinken zu animieren bleibt schwierig.

Nach ihrem Einzug kam der Allgemeinmediziner um ihr ihre Meds zu verscheiben (Herzmittel, Blutdruck und für die Schilddrüse), zusätzlich kam aber auch ein Neurologe und auf einmal bekommt sie Citalopram und Bromazanil. Ich sehe es an ihren Augen, mein Mann hört es an ihrer Stimme, sie ist ziemlich stark sediert, auch tagsüber.

Anfänglich lief sie insbesondere nachts durch das Haus, weil sie natürlich nicht mehr wußte, wo sie war. Gegen eine Ein- und Durschlafhilfe ist ja auch nichts einzuwenden. Nun wird sie aber auch tagsüber sediert, weil sie auch da durch das Haus läuft und gelegentlich vor der Ausgangstür gestanden hat. Die bekäme sie aber nicht auf, weil es ein Drehknopf ist, für den ihr die Kraft fehlt.

Sie ist trotz ihrer starken Vergesslichkeit keine von den Personen, die man bevormunden und in irgendeinem Raum in einen Sessel setzten kann und die dann dort bleiben, weil es ihnen gesagt wurde. Aber sie ist nicht renitent o. dergleichen. Wir sind auch nicht grundsätzlich gegen die Gabe von Medikamenten, wenn sie denn sinnvoll sind. Aber sofort ein Antidepressivum zu verschreiben und gleichzeitig ein starkes Beruhigungsmittel?

Ich würde gerne ein paar Einschätzungen und Erfahrungsberichte von euch hören und wir ihr ggf. mit vergleichbaren Situationen umgegangen seid.

Beste Grüße

Avera

Hi,
von aussen und ohne dass man die Betroffene kennt ist so etwas immer schwierig zu beurteilen aber das klingt alles nicht besonders gut.

Du schreibst dass deine Schwiegermutter unter zunehmendem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses leidet und vorher auch schon Probleme mit der Körperpflege hatte. Ich hoffe jetzt mal dass die behandelnden Ärzte die Schilddrüse richtig eingestellt haben und auch andere Ursachen für Demenzsymptome wie Elektrolyt - und Vitaminmangel, Austrocknung, usw usw ausgeschlossen haben.
Hast du mit dem Neurologen gesprochen warum er ein Antidepressivum verschrieben hat?
Meiner Meinung nach klingen die Symptome deiner Schwiegermutter nicht nach Depression sondern nach Alzheimerscher Krankheit und da helfen Antidepressiva eigentlich nur wenn die Betroffenen sehr grosse Ängste haben.
Mein Vorschlag wäre dass ihr mit eurer Schwiegermutter eine Gerontopsychiatrische Ambulanz aufsucht und mal genau abklären lasst was Sache ist.
Ich hoffe es ja nicht aber falls mein Verdacht zutrifft ist sie dann in einer „normalen“ Seniorenresidenz nicht gut aufgehoben. Es wäre wichtig dass sie in eine Einrichtung kommt in der nach validierenden Grundsätzen gepflegt wird und sie nicht nur sedierende Medikamente bekommt.
Informationen zur Validation findest du hier
http://www.alzheimerforum.de/3/1/6/2/3162inh.html

viele Grüße
Susanne

Hallo,

Alzheimer wurde bei meiner Schwiegermutter medizinisch (soweit das überhaupt möglich ist) bereits ausgeschlossen. Sie ist für Alzheimer auch viel zu freundlich, emotional gut erreichbar, nicht aggressiv und zwar mit Verwirrung aber nicht mit Ängsten geplagt. Dennoch ist die Idee mit der geriatrischen Ambulanz uns auch schon gekommen, vor allem weil wir sie neurologisch untersuchen lassen wollen, damit die die bestmögliche Hilfe bekommt statt pauschaler Sedierung.

Die Schilddrüsenwerte sind ok und die Medikation hier scheint zu stimmen. Einen Vitaminmangel hat sie auf jeden Fall, insbesondere im Vit.B-Bereich, aber da ist seitens des neuen Arztes noch nicht viel unternommen worden. Ich werde mich darum kümmern müssen und mir beide Ärzte in der kommenden Woche mal zur Brust nehmen.

Meine Sorge ist natürlich auch: selbst wenn ich interveniere, wie werde ich sicher sein können, daß das Pflegepersonal auch wirklich weniger sedierende Medikamente gibt? Und daran schließt sich eine weitere Frage an: wie findet man überhaupt ein „gutes“ Pflegeheim, also die richtige Einrichtung? Wir mußten sehr schnell handeln und waren zunächst froh, ein kleines Haus gefunden zu haben, das außerdem noch in unserer Nähe liegt.

Beste Grüße

Avera

Hallo,

Frage an: wie findet man überhaupt
ein „gutes“ Pflegeheim, also die richtige Einrichtung? Wir
mußten sehr schnell handeln und waren zunächst froh, ein
kleines Haus gefunden zu haben, das außerdem noch in unserer
Nähe liegt.

Hier ein Buch, das außer Mißstände zu schildern auch viele nützliche Tips enthält, vielleicht hilft es dir ja weiter:

Erst Jahre später fiel mir ein Buch in die Hände, von: Markus Breitscheidel „ABGEZOCKT UND TOTGEPFLEGT“, Alltag in Deutschen Pflegeheimen 1. Auflage 2005, Econ Verlag € 16,95.

Zitat: "Das gnadenlose Geschäft mit der Pflege: Markus Breitscheidel, erfolgreicher Manager, kündigt seinen sicheren Job als Marketingleiter, arbeitete undercover als Pflegehilfskraft und erlebte vor Ort und hautnah den grauenvollen Alltag der Bewohner in Pflege- und Altenheimen in Deutschland. Aus seiner Expedition entstand ein erschütternder Tatsachenbericht und Insiderreport.

Die bittere Wahrheit

  • "Im Minuten-Zeittakt und wie am Fließband werden wehr- und hilflose alte Menschen von ständig überforderten und schlecht ausgebildeten Pflegekräfte abgearbeitet,
  • für Zuwendung und menschenwürdige Betreuung ist meist keine Zeit vorhanden. Der Heimbewohner mutiert zum bloßen Kostenfaktor.
    - Ruhigstellung durch Medikamente, Vernachlässigung, Unterernährung, Austrocknung, medizinische Unterversorgung, gefährliche Pflege ist kein Einzelfall.
  • Die Ausbeutung und Überforderung der Pflegekräfte hat dramatische Ausmaße angenommen.
  • Gefördert und betreut werden nicht die Menschen, wohl aber die Profitmaximierung der Betreiber.
  • "Pflege- und Krankenkassensätze sowie die hohen Unterbringungspauschalen werden anscheinend zweckentfremdet eingesetzt.
    Katastrophale Missstände, die jeden wachrütteln sollten und einen grundsätzlichen Diskurs einleiten müssen.

Die Idee zu diesem Buch entstand gemeinsam mit Günter Wallraff." Zitat Ende.

Siehe hier:
http://www.patientenverfuegung.de/info-datenbank/200…

Das Buch kann ich jedem empfehlen, der vor der Frage steht, ein Heim wählen zu müssen. Damit bekommt man die Informationen an die Hand, um ein Heim, kommunal oder kommerziell, besser einschätzen zu können.

Gruß,
p+p

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Hallo Avera !

Leider ist das was du beschreibst nicht selten genau so.

Es ist durchaus möglich, dass Ein- und Durchschlafstörungen und der wohlgemeinte, aber unerwartete Umzug bei deiner Mutter eine schwere Verwirrung oder Demenz verursacht haben können.
Die Reaktion des Personals ist leider auch typisch : Ruhigstellung per Neurologe. Nur das es davon eben nicht die Bohne besser wird, eher im Gegenteil.

Alternativ wäre : Häufige Besuche in der Anfagszeit, genaues Zeigen und immer wieder anschauen der neuen Umgebung. Gespräche, Beistand und Beschäftigung.
Evtl. Baldrian, Schlaffördernde Tees usw.
Einbezug von Beschäftigungstherapie kann auch helfen.

Sprecht mit dem Hausarzt. Das Personal darf von sich aus nichts absetzen. Der Arzt schon. Allerdings wären auch Gespräche mit der Pflegedienstleitung bzw. dem Stationspersonal sinnvoll, denn diese müssten es mittragen, die Eingewühnungsphase (die bei einem alten Menschen schon mal beträchtlich länger als 10 Tage dauern kann) der Situation und der Befindlichkeit deiner Mutter entsprechend zu gestalten.

Eine Verwirrung als Reaktion auf so einen Umzug ist nicht untypisch und kann sich zurück bilden. Im Zustand der Sedierung allerdings nicht. Das geht nur bei wachem Verstand, der angeregt wird. Und mit Geduld, es dauert. Bestensfalls eine kleine Schlafhilfe ist zu empfehlen, da auch Schlaf- und Flüssigkeitsmangel Verwirrung auslösen können.

Gruß und alles Gute !
jg