Hallo Irmtraut,
Erstens halte ich das Ansinnen, Überstunden bezahlt zu
bekommen, für zumutbar.
In der Tat. Allerdings hielte ich im selben Zusammenhang
durchaus diskussionswürdig, ob a) die Ärzte effizient
eingesetzt sind („outsourcen“ von Verwaltungskram,
…ja. Ja. Ja. Uneingeschränkte Zustimmung.
Spritzen können auch Pfleger setzen etc.) …
… könnten. Aber es gibt unter Umständen erhebliche Komplikationsmöglichkeiten (Injektion versehentlich in Arterie … falsches Medikament …) - wer haftet für die Folgen? Zumindest müßten die Schwestern dann in eine ganz andere Versicherungssituation gehen, und ihre Ausbildung müßte erweitert werden. Aber ob Schwestern und Pfleger das auch wollten?
und b) die exorbitanten
Einkünfte der Chefärzte nicht durch sklavisches Ausnutzen der
Assistenzärzte entstehen, hier also durchaus noch
Umverteilungspotential besteht, ohne(!) das eh schon teure
System noch teurer zu machen (preiswert ist nämlich unser
Krankenhaus sicher nicht)
Die Einkünfte der Chefärzte entstehen nicht so ganz unmittelbar/ hauptsächlich durch die Ausbeutung der nachgeordneten Ärzte, sondern die Ausbeutung der nachgeordneten Ärzte wird oft durch Duldung der Chefärzte möglich. Die Ausbeutung selbst entsteht am ehesten durch die Klinikverwaltungen - eine Arztstelle mehr kostet halt, darum sind viele Abteilungen oft chronisch unterbesetzt (z.B. gemessen an den Richtlinien der Deutschen Krankenhausgesellschaft). Dies dulden sehr viele Chefärzte. Andererseits können die Ärzte nicht entbunden werden von ihrer Verpflichtung zu einer möglichst optimalen Versorgung der Patienten, egal wie knapp ihre Besetzung ist. Das führt notgedrungen zu Überstunden, die viele Chefärzte sich weigern anzuordnen, nicht selten auch mit Bemerkungen wie: „wenn Sie effektiver arbeiten würden, kämen Sie auch mit ihrer Dienstzeit zurecht!!!“. Aber: nicht angeordnete Überstunden sind Privatvergnügen und werden nicht bezahlt - der Chefarzt müßte denn im Nachherein durch Unterschrift ihre Notwendigkeit bestätigen. - Eine ganz unmittelbare Bereicherung der Chefärzte durch Ausbeutung der nachgeordneten Ärzte liegt da nicht vor, außer es werden Überstunden gefordert, ohne sie als „angeordnet“ zu bestätigen. Die Regelung der Überstunden und das Einsparen von Arztstellen in der eigenen Abteilung allerdings gehören sicher zu dem, was viele Chefärzte nicht zu ihrem Nachteil begünstigen. Was die Versorgung der Privatpatienten angeht, könnten die nachgeordneten Ärzte dafür Ausgleich fordern (es gibt gesetzliche Vorschriften).
An beidem sollte (und wird zumindest in Privatkliniken) mit
Hochdruck gearbeitet werden.
Zwar - gut und recht. Aber der Chefarzt hat, wenn er ein guter ist, auch sehr viel Verantwortung, Ärger, Mühsal am Hals und mir scheint, man möchte auch gern den Ärger nachgeordneter Ärzte, der sich (sachlich-inhaltlich) eher auf Strategien von Krankenhausverwaltungen (gerade von Privatkliniken) und Krankenkassen bezieht, gern gegen „die Chefärzte“ wenden. Ich hatte selbst einige großartige Chefärzte, menschlich und fachlich hervorragend, denen gegenüber unsere Diskussion hier unter jedem Niveau wäre. Sogar solche, die ihre Stelle gekündigt haben angesicht nicht mehr vertretbarer Forderungen der Stadtpolitik an die Klinik, die zum größten Nachteil der Patienten geworden wären.
Zweitens glaub ich, daß die Ausbildung
zum Arzt teurer, fordernder und länger ist als die zum Bäcker,
der ja sogar noch als Lehrling bezahlt wird, während der
Medizinstudent nur draufzahlt. Und was die Ingenieure angeht,
dürften sie solche Probleme nicht haben, denn es herrscht ein
Mangel an Ingenieuren, so daß sie wahrscheinlich ganz ohne
Streik die Gehälter zufriedenstellend verhandeln können - mit
der Wirtschaft, nicht mit der „öffentlichen Hand“.
Na ja, wenn Du meinst. Aber ich erwähne nur am Rande, dass
auch ich schon unbezahlte Überstunden gemacht habe (ja, sowas
gibts auch bei Ingenieuren).
Verzeih, wenn ich da ein ganz kleines bißchen zynisch werde. Ich kann mich eigentlich an kaum einen Arbeitstag ohne Überstunden erinnern … mein ganzes Ärzteleben lang nicht … da Du auch ein paar davon gemacht hast, weißt Du ja, wie das ist, nicht? Ich habe erst seit Einführung längerer Öffnungszeiten im Supermarkt in der Woche einkaufen können, vorher fast nur Samstags.
Nebenbei: Wenn Du die
Tarifsysteme der IG Metall durchforstest, wirst Du bemerken,
dass es gravierende Unterschiede zwischen Ost und West, Nord
und Süd in der Bezahlunge gibt. Als ich in Niedersachsen
beschäftigt war, habe ich gut 500-1000 EUR pro Monat weniger
bekommen, als in BW oder BY. Das ist Realität, das ist normal
und das ist gut, weil es ansonsten in den niedrigpreisigen
Landstrichen keine Arbeit gäbe. Und noch kann sich jeder
aussuchen, welche Prioritäten er setzt.
Du sprichst über die Situation in der freien Wirtschaft. Aber in medizinischen und auch in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltungen kann es nicht um Angebot und Nachfrage gehen - nicht uneingeschränkt. Ein Herzinfarkt ist derselbe in Sachsen wie in Bayern. Eine Tierseuche hat überall die gleichen Folgen, Gesetze zur Baustatik müssen überall gleichermaßen gelten (und kontrolliert werden), Polizei und Feuerwehr müssen überall in gleicher Weise besetzt, ausgebildet und bereit sein usw. usw… Es gibt Bereiche öffentlichen Interesses, die alle angehen und deren Ordnung überall in gleicher Weise bewirkt werden muß - und bezahlt. Und zwar gleich bezahlt.
Nebenbei: Auch Ärzte sind weit weniger mobil, als sie tun. Ich
lache mich immer tot, wenn unsere Jungärzte „drohen“, ins
Ausland zu gehen.
Woher willst Du das wissen? Kennst Du Zahlen? Es sind bisher
12.500 in Deutschland ausgebildete Ärzte ins Ausland gegangen.
Norwegen, Schweden, England, Frankreich, USA, Neuseeland. Und
der Trend nimmt inzwischen noch zu. Denn die
Arbeitsbedingungen sind in Deutschland weitaus schlechter als
in unseren Nachbarländern. Siehe Umsetzung des EU-Urteils über
Bereitschaftsdienste/ Arbeitszeit.
Das íst doch auch soweit ok, oder?
Naja, wenn Du meinst … hier können inzwischen etliche Praxen nicht mehr nachbesetzt werden, wenn die bisherigen Praxisinhaber in Rente gehen … in den neuen Bundesländern ist das schon reichlich der Fall … aber wenn das für Dich in Ordnung geht, dann kann ich das natürlich auch wiederum verstehen. Man kann sich ja aussuchen, wo man lebt. Du zumindest.
Allerdings glaube ich kaum,
dass die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus in den USA deutlich
besser sind: Es wird nur mehr Schmerzensgeld bezahlt.
Falls Du das noch nicht bemerkt hast - es geht auch um Arbeitsbedingungen. Um Hierarchien, um Umgangsstil usw., die sind in den USA deutlich anders. Außerdem ist die Überforderung der jungen Ärzte dort begrenzt, nach zwei Jahren wird es deutlich besser.
Sie müssen menschlich sein -
obwohl ihnen Unmenschlichkeit begegnet.
Nun ja, das Ausbeutungssystem an den Krankenhäusern haben die
Ärzte ganz allein geschaffen, dazu hat sie niemand gezwungen.
Letztendlich ist es die Ärzteschaft, die aus einem geradezu
perversen Standesdünkel
Woher nimmst Du diese Unterstellung? Du verwechselst ein Schweigen an mancher Stelle mit Dünkelhaftigkeit. Aber wie oft schweigt man, weil man einen Patienten nicht zutiefst treffen will, aus Gründen der Schweigepflicht, aus Müdigkeit bis zur Erschöpfung, nicht alles, was als ärztliche Arroganz bezeichnet wird, ist auch welche. Manches aber schon. Und da finde ich, daß es notwendig ist, daß Ärzte nachlernen. Es gibt eine seit Jahrzehnten bewährte Einrichtung dafür - die Balint-Gruppen. Sie sind nur zu wenig bekannt. Und es fehlt meist die Zeit, sich daran zu beteiligen. Aber es ist klar, daß in kaum einem Beruf Arroganz weniger zu suchen hat als in diesem. Für die Fälle, wo das der Fall ist, gebe ich Dir umfassend recht.
Verwaltung und Pflegeschaft abzugeben.
Die Verwaltung möchte, daß Ärzte möglichst „alles“ machen - ihre eigenen Aufgaben erfüllen, die bürokratischen Vorgaben, die gerade jetzt durch die Gesundheitsreform in unerträglicher Menge gesteigert wurden, Schreibkram bei Mangel an Schreibkräften und am besten auch noch pflegerische Tätigkeiten hier oder da … und das Pflegepersonal? Lehnt mitunter sogar das Blutabnehmen ab mit der Begründung, das sei ärztliche Aufgabe. Nicht alle, aber viele Teams.
Und warum kocht das
ganze jetzt hoch: Weil die sicher in Deutschland in der
Vergangenheit sehr guten Verdienstmöglichkeiten nach Ende der
Sklavenzeit Krankenhaus wegbrechen.
Verständlich, allerdings ist mein Mitleid in der Tat begrenzt,
denn diese Probleme hätte man schon lange bearbeiten können,
wenn nicht der fatale Korpsgeist und die
Bereicherungsmentalität unserer gottgleichen Chefärzte
herrschen würde.
Ich denke, der Wurm sitzt tiefer im Stamm. Und das liegt eher an zu geringer Solidarität der Ärzte miteinander als an zuviel Korpsgeist.Du selbst schreibst, wie Chefärzte ihre nachgeordneten Mitarbeiter „ausbeuten“, ich vwürde sagen: wenig dagegen tun, daß sieausgebeutet werden (wahrscheinlich daraus auch ihren Vorteil ziehen). -Die heutigen Chefarztverträge sind aber immer weniger das, was sie mal waren … da wird es auf Dauer zu mehr (innerklinischer) Solidarität kommen (müssen), oder es kommt endgültig zum Knall. Im ambulanten Bereich - es ist einfach nicht in Ordnung, wenn Radiologen und Laborärzte an der Spitze, Psychiater und Kinderärzte am unteren Ende der Einkommenssituation angesiedelt werden. Aber es ist natürlich klar: Radiologen, Laborärzte, haben mit überschaubarer Technik, zähl-,meß-,wägbaren Vorgängen zu tun. Der Psychiater hingegen … - und was der Kinderarzt tut? Wenig, wenig (Kinder sind ja so klein …); und die dazugehörigen Mütter? Eventuell noch Väter? Drei Patienten statt einem … bei türkischen Familien noch mehr … aber, der eigentliche Patient ist so klein, daß er vermutlich nur halb zählt … und das, das ist ein wirklich hausgemachtes ärztliches Problem.
Aber Du kannst nicht sagen: an allem sind die Ärzte selbst schuld. Der junge Assistenzarzt ist an gar nichts schuld. Er kommt rein in diesen Betrieb, und ordnet er sich nicht unter, fliegt er. Das ist nichts Neues und nichts Seltenes gewesen. Daran etwas zu ändern müssen demokratisierende Kräfte von außn eingreifen - ähnlich wie das in anderen Gruppierungen sein müßte (bei den Juristen z.B.). Vieles in unseren diesbezüglichen Systemen ist ohne große Änderung aus der Nazizeit übernommen worden.
Grüße
Jürgen
Grüße, I.