Hallo, Kevin
Sie erzählen recht viel über Ihren Bruder. Schön, dass Sie sich so für ihn engagieren! Mal sehen, was ich darauf antworten kann.
Zum Thema, was denn eigentlich eine geistige Behinderung ausmacht, können Sie auf meiner Website [MOD:LInk entfernt] etwas finden. Vielleicht hilft das ein wenig.
Was die Epilepsie betrifft: Die wird sehr häufig durch eine Schädigung des Gehirns verursacht, also bei Ihrem Bruder vermutlich durch den Sauerstoffmangel bei der Geburt. Zum Glück kann man heute in vielen Fällen eine befriedigende medikamentöse Einstellung finden, so dass es nicht so oft zu Anfällen kommt und die Krankheit das Leben nicht so sehr beeinträchtigt.
Schön, dass Ihr Bruder jeden Tag zur Arbeit geht. Das zeigt, dass dies für ihn Sinn macht, und er trifft dort auch Kollegen und Kolleginnen, die vermutlich besser zu ihm passen, als die meisten Leute, die er sonst so trifft. Haben Ihre Eltern schon einmal daran gedacht, dass er auch - wie andere in seinem Alter - ganz von zuhause ausziehen könnte, in eine Wohnform, wo er von ausgebildeten Fachleuten betreut wird?
So, wie Sie das Verhalten Ihres Bruders zuhause schildern, gibt es dort nicht viel, was ihn wirklich interessiert. Von allein hat er vermutlich wenig Ideen und Möglichkeiten, was er sonst noch machen könnte. Deshalb zieht er sich hinter sein Konsolenspiel zurück. Und so wie andere Leute in seinem Alter kann es gut sein, dass er sich nicht mehr gern von den Eltern oder Geschwistern alles vorgeben lässt. Das gibt dann immer wieder Konflikte.
Wenn er jetzt immer Selbstgespräche führt, ist das sicher ein Anzeichen, dass er unter großem Druck steht. Können Sie verstehen, worum es in den Selbstgesprächen geht? Kann man sich in seine Selbstgespräche einklinken, auf eine Weise, in der er sich akzeptiert und ernst genommen erlebt? Vielleicht kommt es dann zu richtigen Gesprächen, die weiterführen. Wenn er noch lange mit diesem inneren Druck leben muss, kann es sein, dass er es irgendwann gar nicht mehr aushält und etwas passiert. Dann muss er vielleicht sogar in die Psychiatrie, die sicher kein guter Ort für ihn ist.
In der Werkstatt gibt es einen Sozialdienst, oder sonst kann man bei der Lebenshilfe oder an anderen Stellen Beratung finden. Mit diesen Leuten wäre zu überlegen, am besten zusammen mit ihrem Bruder, wie es mit seinem Leben weitergehen könnte. Er will vermutlich auch erwachsen werden und sich vom Elternhaus lösen. Nur braucht er dabei Unterstützung, nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig.
Manchmal macht es den Eltern die meiste Mühe, ihr Kind aus dem Elternhaus zu entlassen. Sie meinen, nur sie selbst könnten wirklich gut für es sorgen. Aber es wäre schade, wenn Ihr Bruder das ausbaden müsste. Natürlich bleiben Ihre Eltern weiter Eltern und müssen alle Entscheidungen mittragen können. Aber irgendwann kommt auf jeden Fall der Tag, an dem sie selbst nicht mehr für Ihren Bruder sorgen können. Und es wäre doch auch für Ihre Eltern schön, mal mehr für sich selbst sehen zu können, wie andere Eltern auch.
Haben Ihre Eltern Kontakt zur Lebenshilfe oder einem anderen Verein, wo sie andere Eltern treffen und sich mit ihnen austauschen können? Das wäre sicher gut für sie.
Wenn Sie nicht herausfinden, wo Sie oder Ihre Eltern Rat finden können, schreiben Sie mir doch bitte Ihren Wohnort, und ich versuche, ein paar Stellen in Ihrer Nähe zu finden. Auf jeden Fall müsste der Sozialdienst in der Werkstatt dafür offen sein und auch weiterhelfen können.
Ich hoffe für Sie alle, vor allem für Ihren Bruder, dass sich diese Krise positiv lösen lässt.