Messianische Juden?

Hallo,

zunächst muss ich einmal mehr um Verständnis für meinen religiösen Analphabetismus bieten - ich hoffe, nicht versehentlich irgendjemand zu beleidigen!
Ich versuche gerade zu verstehen, was „messianische Juden“ sind. Ich studiere das schon stundenlang durch. Ich kapiere das einfach nicht:

Shmul hat jüdische Eltern. Aber Shmul denkt nun, Jesus war der Messias? Mir ist schon klar, dass das Judentum mehr als eine Religion ist, aber wäre Shmul, religiös gesehen, jetzt nicht ein Christ? Und wieso wollen sie andere Juden konvertieren? Es gibt ja mehrere Stellen im AT, die erklären, was der Messias machen wird und das alles wird von Jesus nicht erfüllt. Glauben die messianischen Juden nun, das ist dann eben einfach falsch und denken sie, beim ersten Mal kam Jesus nur nicht dazu und deswegen kommt er noch mal?

Ich wäre sehr dankbar, wenn mir das jemand erklären könnte!

Viele Grüße

In der Tat, messianische Juden glauben an Jesus von Nazareth als den Messias.
Das macht sie aber nicht zu Christen, denn sie übernehmen ja nicht die gesamte Theorie- und Theologiebildung seit den Kirchenvätern und den ökumenischen Konzilen.

Sie bleiben Juden, eine in Israel bisher sehr kleine Minderheit (Man schätzt gegenwärtig um die 15 - 18.000), aber nachdem sie bisher von allen offiziellen Stellen totgeschwiegen respective ihnen ihr Judentum bestritten wurde, werden sie nun langsam als ein Teil der jüdischen Religiosität wahrgenommen.

Und die Sache mit dem Messias ist natürlich kompliziert: Zwar gibt es im Tanach - vulgo: Altes Testament - eine Reihe von Stellen, die auf den Messias hinweisen. Abder sie weisen eindeutig nicht auf Jesus von Nazareth hin. Denn Jesus war eine konkrete historische Person, die Prophezeiungen auf den Messias hin schreiben ihm (scil. dem Messias) zwar eine Reihe von Werken zu, die er vollbringen wird, aber eine konkrete historische Gestalt haben sie nicht im Blick.

Das bedeutet: Man kann den Tanach auf das Neue Testament hin lesen, als liefe die ganze Geschichte Israels zwangsläufig auf dieses Jesus von Nazareth zu (Das haben die christlichen Kirche seit Anbeginn getan), oder man kann den Tanach vom Neuen Testament her lesen: Dann ist die Jesusbewegung, aus der nachher die christlichen Kirchen entstanden sind, eine unter vielen jüdischen Strömungen.
Und das versuchen die messianischen Juden.

Hallo.

Shmul hat jüdische Eltern. Aber Shmul denkt nun, Jesus war der
Messias? Mir ist schon klar, dass das Judentum mehr als eine
Religion ist, aber wäre Shmul, religiös gesehen, jetzt nicht
ein Christ?

Sicher.

Und wieso wollen sie andere Juden konvertieren?

Es geht hierbei um die Frage, wie man Christus dazu bringt, seine Erlösung abzuschliessend und noch einmal zu erscheinen. Hier haben nicht nur messianische Christen sondern viele Sekten die fixe Idee, dass die Juden und alleine diese ihn davon überzeugen können. Wenn, ja, wenn sie nur alle Christen wären.

Daneben gibt es auch noch die Idee, dass nur Christen erlöst werden und hier aus „Bruderliebe“ man eben seine jüdischen Brüder erretten möchte.

Es
gibt ja mehrere Stellen im AT, die erklären, was der Messias
machen wird und das alles wird von Jesus nicht erfüllt.

Korrekt.

Glauben die messianischen Juden nun, das ist dann eben einfach
falsch und denken sie, beim ersten Mal kam Jesus nur nicht
dazu und deswegen kommt er noch mal?

Messanische Juden sind Christen und meistens recht fundamentalistische. Mit Lehren des Judentums und Widersprüche hierzu haben sie kaum noch etwas zu tun, selbst wenn sie jüdische Riten einfach übernehmen. So gibt es hier auch nur wenige, welche diese Riten und Lehren überhaupt kennen, von Details ganz abgesehen. Meistens werden die Riten auch nur als „Köder“ für die Missionierung von weiteren Juden missbraucht. So nennen sie z. B. ihre Kirchen Synagogen usw… Viele Unwissende welche sich hierin „verirren“, sind dann oft im Glauben, einem jüdischen G’ttesdienst beizuwogen.

Ich wäre sehr dankbar, wenn mir das jemand erklären könnte!

Das Problem ist vielleicht, dass du von falschen, logischen Vorbedingungen ausgehst.

Gruss,
Eli

Hallo,

vielleicht kann man’s so sagen: Messianische Juden sehen im Christusglauben die Erfüllung des Judentums. Für sie selbst fallen also Judentum und Christentum zusammen.

Das ist ein sehr evangelikaler Glaube: Ohne Jesus keine Errettung, der Glaube an Jesus ist das wahre Judentum. Vielleicht wird daraus verständlich, warum sie das weitergeben wollen, sprich: missionieren.

Sie behalten jüdisches Glaubensleben bei (z.B. Shabbat), aber verbinden es mit dem Glauben an Jesus. Vielleicht sind sie damit in mancher Hinsicht den allerersten Christen, die ja Judenchristen waren, tatsächlich nah.

Ich habe auch evangelikale Christen erlebt, die sehr für messianisches Judentum schwärmten. Judentum fanden sie ganz toll und irgendwie heilig, aber da fehlte ja Jesus. (Ich schreibe das so ironisch, weil mich diese kenntnislose Schwärmerei störte und weil ich sie im Grunde respektlos fand: Wenn ich das Judentum als Religion ernst nehme, dann kann ich nicht sagen: „Den Juden fehlt Jesus zum Heil“.) Auch diese Evangelikalen haben z.B. die Shabbat-Liturgie nachgemacht, das heißt auch ihnen verschwamm die Grenze zwischen Judentum und Christentum. Nur dass sie es eben sehr bedauerten, selbst nicht als Juden geboren zu sein.

Es gibt ja aber die sehr frühe christliche Entscheidung, dass man, um „vollgültiger“, glkeichberechtigter Christ zu werden, nicht vorher zum Judentum konvertieren muss und auch nicht alle jüdischen Glaubenspraktiken leben muss (z.B. Speisegebote). Das macht dann das Christentum als eigene Religion aus. Diesen Schritt gehen die messianischen Juden nicht, und besagte evangelikale Christen hatten das auch irgendwie vergessen.

Soweit mal ein Versuch, Du merkst schon, Deine Verwirrung hat mit dem Thema selbst zu tun.

Viele Grüße,

Jule

Hallo,

ich bedanke mich bei Euch. Habe jetzt noch einiges mehr gelesen und meine Verwirrung nahm zu, zeitgleich aber auch mein Wissen.
Ich fasse jetzt noch mal zusammen (Ihr könnt mich gerne korrigieren):

Hinter der ganzen Sache stecken mehr oder weniger Evangelikale. Diese erwarten praktisch täglich die Wiederkehr (second coming) von Jesus, der dann das Jüngste Gericht abhalten wird. Bevor das passiert, kommt aber Armageddon und Jesus befreit Israel, was wiederum Juden so gut finden, dass sie dann einsehen werden, dass er der Messias ist. Da aber unklar ist, wann das alles genau passieren wird, wären Juden auf der sicheren Seite, Jesus bereits jetzt als ihren persönlichen Retter anzuerkennen und somit auf der sicheren Gerichtsseite zu sein. Und darüberhinaus scheint es der Schaden von Christen nicht zu sein, wenn sie andere Leute missionieren (es macht sich gut beim Jüngsten Gericht und man erfüllt den Missionsauftrag). Man könnte nun gemein sein und sagen, messianische Juden seien eine Art „U-Boot“.
Für das messianische Judentum wird darüberhinaus angekommen, dass Juden und Christen sowieso recht dicht beieinander liegen und es alles irgendwie noch feierlicher und religiöser ist, wenn man es vermengt.

Man darf das wohl einfach tatsächlich nicht logisch angehen. Weil die einzige logische Schlußfolgerung wäre für mich, dass die Evangelikalen durch die Hintertür ganz schön feindlich eingestellt sind und so eine Art „killing with kindness“ veranstalten.
Aber alles in allem bleibt es einfach kompliziert.

Viele Grüße

Hallo.

Juden und „Messianische Juden“ stimmen in ihrer Anschauungen über Judentum und „Messianisches Judentum“ nicht übereins - das ist vermutlich die Ursache deiner Verwirrung. Juden sehen das meistens wie du, „Messianische Juden“ anders. (Meine eigene Auffassung halte ich zurück.)

Hier die Website einer „Messianischen“ Gemeinde in Deutschland: http://www.messianische-juden.org/default.php , und hier eine klar gesprochene Gegenrede des Rabbiner Roswakys in Berlin http://juden.judentum.org/judenmission/messianische-…

Beste Grüsse,
TR

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Hallo Jule,

vielleicht kann man’s so sagen: Messianische Juden sehen im
Christusglauben die Erfüllung des Judentums. Für sie selbst
fallen also Judentum und Christentum zusammen.

Das würde ich nicht sagen. Ich habe noch keinen messianischen Juden getroffen, der wirklich Ahnung von Judentum hatte. Was sie praktizieren ist Christentum mit jüdischem Zuckerguß.

Das ist ein sehr evangelikaler Glaube: Ohne Jesus keine
Errettung,

die Botschaft evangelikaler Christen

der Glaube an Jesus ist das wahre Judentum.

Also eine Umdefinition von Judentum

Vielleicht wird daraus verständlich, warum sie das weitergeben
wollen, sprich: missionieren.

Eben so, wie es bei evangelikalen Christen üblich ist.

Sie behalten jüdisches Glaubensleben bei (z.B. Shabbat), aber
verbinden es mit dem Glauben an Jesus. Vielleicht sind sie
damit in mancher Hinsicht den allerersten Christen, die ja
Judenchristen waren, tatsächlich nah.

So sehen sie sich - nur es liegen fast zwei Jahrtausende dazwischen und man kann nicht so tun als ob es diese Zeit und die Entwicklungen nicht gäbe.

Ich habe auch evangelikale Christen erlebt, die sehr für
messianisches Judentum schwärmten.

In Deutschland sind die meisten Mitglieder in messianischen Gemeinden evangelikale Christen.

Judentum fanden sie ganz
toll und irgendwie heilig, aber da fehlte ja Jesus. (Ich
schreibe das so ironisch, weil mich diese kenntnislose
Schwärmerei störte und weil ich sie im Grunde respektlos fand:
Wenn ich das Judentum als Religion ernst nehme, dann kann ich
nicht sagen: „Den Juden fehlt Jesus zum Heil“.) Auch diese
Evangelikalen haben z.B. die Shabbat-Liturgie nachgemacht,

Meist sind es eher Versatzstücke, die sie dann auch noch umdefinieren.
Hier ist ein Beispiel dafür:
http://juden.judentum.org/judenmission/biblische-fes…

das
heißt auch ihnen verschwamm die Grenze zwischen Judentum und
Christentum. Nur dass sie es eben sehr bedauerten, selbst
nicht als Juden geboren zu sein.

Hier gibt es noch mehr zum Lesen:
http://www.judentum.org/judenmission/index.htm

Viele Grüße

Iris

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Hallo,

1000 Dank für diese links! Ich habe auf dieser Seite schon einiges gelesen, aber das habe ich nicht gefunden. Das war sehr verständlich erklärt, sogar, wenn man sich nicht gut auskennt.

Was mich etwas wundert, ist, dass mit einem solchen Eifer gerade Juden missioniert werden müssen. Es gäbe ja auch 1.5 Milliarden Moslems oder 900 Millionen Hindus. Aber wenn man sich anschaut, wie aktiv die Evangelikalen sind, kriegen die anderen Religionen ihr religiöses Fett wohl auch noch ab.

Viele Grüße

Was mich etwas wundert, ist, dass mit einem solchen Eifer
gerade Juden missioniert werden müssen. … Aber wenn man
sich anschaut, wie aktiv die Evangelikalen sind, kriegen die
anderen Religionen ihr religiöses Fett wohl auch noch ab.

Bei der Judenmission der Evangelikalen geht es nicht darum, dass irgendjemand „sein Fett abkriegt“, sondern die Evangelikalen berufen sich auf die Kapitel 9-11, insonderheit aber 11, des Paulusbriefs an die Römer.
Da macht er die Heiden - die Gojim - zum Beispiel für die Juden und hofft, dass, wenn die Gojim sich bekehrt haben, auch Israel sich bekehren wird. Dann kann der Herr Jesus wiederkommen.

Nun aber meinen sie, in völliger Verkennung dessen, was der sog. „Missionsbefehl“ in Matth 28 sagt, die Juden missionieren zu müssen.

Hallo Karlsson,

es gibt offensichtlich verschiedene Arten von messianischen Juden, wie es ja auch verschiedene Arten von Christen gibt.

Die Juden, die ich kenne, leben ihr jüdisches Leben wie alle anderen Juden auch. Aber sie haben „erkannt“, dass die Berichte von Jesus aus den Evangelien richtig sind und nicht der jüdischen Lehre widersprechen.

Und so warten wir, Messianische Juden und Christen, gemeinsam auf den Messias.

Vergleiche Apg.1,11
Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.

und Sach.14,3-4
Und der HERR wird ausziehen und kämpfen gegen diese Heiden, wie er zu kämpfen pflegt am Tage der Schlacht. Und seine Füße werden stehen zu der Zeit auf dem Ölberg, der vor Jerusalem liegt nach Osten hin.

Wir glauben, dass es sich hier um dasselbe Ereignis handelt.

Eine „Christianisierung“ der Juden ist ebenso unnötig, wie die Konvertierung der Heiden zum Judentum.

Gruss Harald

Hallo,

also meinst Du, zuerst müssen die Heiden bekehrt werden und dann kommen die Juden? Sie haben nur die Reihenfolge verdreht?

Ich habe den Missionsbefehl gelesen, aber woher kann man entnehmen, dass Jesus dann wiederkommen will?

Und wie ist das gemeint:
11 Da sie aber hingingen, siehe, da kamen etliche von den Hütern in die Stadt und verkündigten den Hohenpriestern alles, was geschehen war. 12 Und sie kamen zusammen mit den Ältesten und hielten einen Rat und gaben den Kriegsknechten Geld genug 13 und sprachen: Saget: Seine Jünger kamen des Nachts und stahlen ihn, dieweil wir schliefen. (Matthäus 27.64) 14 Und wo es würde auskommen bei dem Landpfleger, wollen wir ihn stillen und schaffen, daß ihr sicher seid. 15 Und sie nahmen das Geld und taten, wie sie gelehrt waren. Solches ist eine gemeine Rede geworden bei den Juden bis auf den heutigen Tag.

Weil ich verstehe das so, dass hier eine eindeutige Trennung zwischen „Juden“ und „Christen“ konstituiert wird.
Kannst Du mir vielleicht eine Art Einsteigerlektüre empfehlen? Denn je mehr ich lese, desto verwirrter werde ich.

Viele Grüße

Hallo Iris,

vielleicht kann man’s so sagen: Messianische Juden sehen im
Christusglauben die Erfüllung des Judentums. Für sie selbst
fallen also Judentum und Christentum zusammen.

Das würde ich nicht sagen. Ich habe noch keinen messianischen
Juden getroffen, der wirklich Ahnung von Judentum hatte. Was
sie praktizieren ist Christentum mit jüdischem Zuckerguß.

ich habe versucht, die Sicht der messianischen Juden zu beschreiben. Meine - zugegeben spärlichen und v.a. indirekten - Berührungen mit dem messianischen Judentum (wenn man das so nennen will) hatte ich in Israel und hatte da den Eindruck, dass das durchaus gebürtige Juden waren, wie gut auch immer sie sich mit dem Judentum auskannten. Jedenfalls waren es Israelis. (Allerdings in Jerusalem, und da tummeln sich ja von allen drei monotheistischen Religionen die eigenartigsten Abwandlungen.) Ich hatte v.a. mit den evangelikalen Christen zu tun, deren Schwärmerei für die messianischen Juden mich sehr seltsam berührte. Und deren Einstellung zum Judentum ich höchst problematisch fand.

Ich teile also Deine Einstellung in vielem.

Viele Grüße,

Jule