Sehr geehrte Frau Gliem!
Gerne will ich versuchen, Ihre Frage zu beantworten, so einfach und kurz wie mir möglich - was nicht ganz einfach ist! Allerdings weiß ich nicht so genau, inwieweit Sie sich in der Theologie auskennen. Ich versuchs mal einfach … Sie schreiben, daß Sie sich mit der „Gottessohn“-schaft Jesu beschäftigen, also mit der (dogmatischen!) Frage, ob Jesus Gottes Sohn sei. Die Gänsefüßchen interpretiere ich dergestalt, daß Sie die Aussage, daß Jesus Gottes Sohn sei (… und die übrigens an keiner Stelle der Bibel wörtlich so steht!) für „fragwürdig“ halten - und ich sage mal: fragwürdig im besten Sinne des Wortes: etwa so, daß es sich lohnt, dieser Frage nachzugehen. (Mal in Klammern: selbst schon Begriff und Vorstellung von einem „Gott“ sind ja in diesem Sinne „fragwürdig“, ja sogar die Frage, was denn Jesus war: ein „Mensch“, ein „bloßer Mensch“ oder was auch immer … Aber dies nur am Rande).
Zunächst einmal möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Vorstellung von Jesu Gottessohnschaft
- für sich genommen alles andere als eindeutig ist und bereits in der Bibel selbst sehr unterschiedlich interpretiert wird (der Evangelist Mk selbst z.B. vertritt ja offenbar eine sog. „adoptianische“ Christologie: Jesus wird von Gott als Sohn „adoptiert“; vgl. Mk 1,11; 9,7; 15,39). Man könnte aber auch - wie im johannäischen Kreis - von einem „präexistenten“ (= vor aller Zeitrechnung bereits bei Gott existenten; vgl. hierzu besonders Phil 2) Gottessohn ausgehen usw. Ich will das alles hier nicht vertiefen, aber es stellt sich beispielsweise die Frage, ob diese Bezeichnung „Sohn Gottes“ verbaliter zu verstehen ist oder aber metaphorisch, also gewissermaßen als Bild: Jesus hat zu Gott ein so enges Verhältnis wie ein Sohn zu seinem Vater … Die christlichen Kirchen haben sich dann in ihren Dogmen gewissermaßen auf bestimmte Lesarten verständigt … Und noch etwas: die Vorstellung von der Gottessohnschaft gehört in den griechisch-römischen Kulturkreis und ist dem israelitischen Denken zunächst einmal fremd.
- keineswegs der einzige christologische Hoheitstitel Jesu ist. Denken Sie etwa an den „Menschensohn als Weltenrichter“, den „THEIOS ANÄR“ (gr. = göttlicher Mensch), den „KYRIOS“ (gr. = Herr) usw. All diese Titel wollen die Bedeutsamkeit dieses Jesus in ihrer eigenen Sprache, in ihrem eigenen Kulturkreis, also so, daß die Menschen sie verstehen, ausdrücken. Auch der Messiastitel gehört dazu. „Messias“ ( im Griechischen: „Christos“) ist ein hebräisches Wort und bedeutet auf Deutsch: Gesalbter! Gesalbt wurden in Israel nur zwei Personen: der Hohepriester und der König, also der Nachkomme Davids. Das bedeutet: wenn Jesus als der Messias tituliert wird, ist zweierlei klar: 1) es handelt sich um eine israelische Tradition, i.e.: um eine Vorstellung, die im israelitischen Kulturkreis beheimatet ist. 2) Jesus wird als der kommende endzeitliche König angesprochen, denn auf den bezogen sich die alten messianischen Weissagungen im AT, etwa bei Jes 5. Von daher möchte ich Ihre Fragestellung etwas erweitern und so formulieren: Sie beschäftigen sich mit den christologischen Hoheitstiteln Jesu; dann umgehen Sie nämlich das Problem, daß die messianische Christologie der Gottessohnschafts-Vorstellung zunächst einmal fremd ist.
Mit Mk 12 befinden Sie sich im jüdischen Kulturkreis. Aber Mk schreibt für Heiden, genauer: für Heiden, die Christen geworden sind (da liegt natürlich ein Problem: galt Gottes Verheißung nicht Israel!? Und können nicht demzufolge - nur - die Juden von Christus erlöst werden? Vielleicht ist Ihnen ja bekannt, daß insbesondere Paulus sich mit dieser Frage ausgiebigst herumgeschlagen hat).-Sie haben sich einen außerdordentlich schwierigen Text ausgesucht, ein Streitgespräch Jesu mit den Schriftgelehrten, der - wie häufig - ein Zitat, hier aus Ps 110,1 beinhaltet. Jesus will - so die Darstellung - durch ein Schriftzitat die Schriftgelehrten seinen Zuhörern als „Ungelehrte“ darstellen. Was steht in Ps 110,1? Die deutschen Übersetzungen sind hier leider nicht so präzis wie der hebr. Text, wo es wörtlich heißt: Spruch Jahwes für meinen Herrn usw. Also: der Hofprediger tritt vor seinen König und verkündet ihm ein göttliches Orakel, daß er nämlich seine Feinde besiegen werde (V2ff.). Soweit alles klar. Aber da steht eben noch eine Überschrift, auf die sich Jesus in dem Streitgespräch bezieht: „Psalm Davids.“ Es ist für Jesus - wie für die übrige rabbinische Auslegung - ganz klar, daß es nicht, wie in den sog. Königspsalmen üblich und vorausgesetzt, ein Wahrsager, Höfling, Heilsprophet oder wie auch immer ist, der hier spricht, sondern: David! (Dies wird ja auch durch den Zusatz „im Geiste“ i.e.: vollmächtig, autoritativ bzw.: in Namen Jahwes.
Und damit fangen die Schwierigkeiten der Auslegung an: Seriöse Forschung sieht, daß diese Überschrift sekundär ist und ursprünglich dem Psalm nicht angehört hat. Für einen Zeitgenossen Jesu ist aber ganz klar, daß es in der Tat David ist, der hier spricht (und der demzufolge auch als Dichter frommer Lieder verehrt wird! BELEG)
Wenn also Ps 110,1 eschatologisch gedeutet wurde, also auf den endzeitlichen Nachkommen Davids, den Messias, bezogen wurde, dann ist es eigentlich unverständlich. daß David seinen eigenen Nachkommen nicht als „Sohn“ (bzw.: Ur-Enkel), sondern als „Herrn“ anspricht. Hier fangen nun die Interpretationen der Theologen an: sollte Jesus oder die Urgemeinde als Verfasser der Evangelien vielleicht (vermutet wird etwa: wegen seiner eigenen fehlenden davidischen Abstammung) das jüdische Dogma vom endzeitlichen Messias bestreiten? Sehr unwahrscheinlich! Ich verzichte auf die unterschiedlichen Lösungen der Theologen und referiere Ihnen lediglich die Lösung von G. Bornkamm (Jesus v. Nazareth. Stuttgart 1995 in 15. Aufl., das. S. 207), der ich mich anschließen möchte: B. geht nämlich aus von der Frage, ob der Text Mk 12 von Jesus selbst stammt oder aber von der nachösterlichen Urgemeinde. Geht man von letzterem Fall aus, bietet sich eine m.E. recht elegante Lösung für das Problem des Textes an. Denn: als die nachösterliche Christenheit die sog. Zwei-Naturen-Lehre fixierte (Jesus Christus ist wahrer Mensch UND wahrer Gott; lat.: vere homo vere deus), da wurde der Messiastitel zu einem Prädikat Jesu menschlichen Niedrigkeit! „Dem Fleische nach“ war Jesus eben Davids Sohn, i.e.: der Messias bzw. „SOHN“ (Mk 12, 35): der Hoheit nach aber war er Gottes Sohn - und damit, als Gott!, für David ein „HERR“ (Mk 12, 37).
Abschließend komme ich auf Ihre Frage zurück: Bedeutet das (= der Text Mk 12, 35ff.) nicht, dass Jesus ablehnt, dass der Messias der „Sohn Davids“ bzw. ein König sein wird? Meine Antwort: der Messias war in Israel immer der Sohn (= ein Nachkomme) Davids und ein König. Das ist nicht strittig. Ich vermute aber: es geht Ihnen primär um den kommenden endzeitlichen Weltenrichter (der in der Tat schon im AT in den messianischen Weissagungen Jes 9,1 u.ö. als Messias identifiziert wurde. Aber eben nicht nur!). Und dann haben Sie auch Recht: was Mk Jesus nämlich in den Mund legt, ist die Zurückweisung der israelisch/jüdischen Identifizierung des endzeitlichen Weltenrichters mit dem Messias. Vielmehr ist es der Gottessohn, der als eschatologischer Herrscher am Tage des Gerichts seine Herrschaft antritt. Sollte diese Lösung zutreffen, wäre diese Bevorzugung der altorientalisch/griechischen Tradition ja auch stimmig für einen Evangelisten, der um die Heiden wirbt mit dem Argument, die Juden hätten Christus ja zurückgewiesen und seine Sendung verkannt …
Ich weiß nicht, ob diese Lösung Sie befriedigt; vermutlich werde ich Sie nun einigermaßen verwirrt haben mit meinen weitschweifigen Ausführungen. Aber ich halte dies um der Verständlichkeit und Klarheit willen für notwendig zu wissen. Besseres kann ich Ihnen momentan nicht bieten, bekenne aber jedenfalls, daß mir die Sache Spaß gemacht hat, da ich mich derzeit nur selten mit Problemen dieser Art beschäftige. Sollten Sie weitere Fragen haben, können Sie sich selbstverständlich jederzeit gerne an mich wenden ([email protected]); ich kann Ihnen nur leider keine prompte Antwort versprechen.
Mit freundlichem Gruß
Jörg-U. Minx