Hallo,
Du kennst dich etwas mit Psychologie aus, deine Schüler auch?
Und Du unterichtest Deutsch, nicht Basispsychologie wenn ich
das richtig verstehe.
Kann man das denn trennen, wenn man sich Beziehungen und
Charaktere in einem Roman anschaut? Geht das ohne Psychologie?
Waren die Autoren Psychologen? Überwiegend wohl nicht. Und sie haben nciht für Psychologen geschrieben. Mit normaler Menschenkenntniss kommt man auch ein Stück weit, im jugendlichen Alter allerdings nicht unbedingt.
Da können Bücher Abhilfe schaffen indem sie Leben und Meinungen anderer auch darstellen.
Die Sozialassistenten kann ich in dem Zusammenhang nicht
unterbringen.
Berufsschule.
An was hatten die Spaß? Mark Twains Szene, in der Huck Finn
seinen eigenen Mord vortäuscht?
Die Frage hört sich für mich so an, als ob du mir nicht
glaubst.
Es war aber so: Ich weiß nicht mehr genau, bei welchem Buch
das war, aber ich kann mich noch erinnern, dass die Klasse das
mit viel Vergnügen gemacht hat (es ging um die
Standbildmethode).
Es geht doch nicht nur um das System, mit dem man ein Buch
betrachtet, es geht m.E. vor allem um das Buch. Die
Geschichte, die einer zu erzählen wichtig findet, warum auch
immer.
Und ich habe selbst erlebt, dass sich mir im Unterricht Dinge
erschlossen hatten, auf die ich von selbst erst nicht gekommen
bin. Und das hat das Buch für mich noch interessanter gemacht.
Das kann ich mir gut vorstellen. Wenn man anderen etwas erklärt, ev. zu Fragen, die man sich selbst nie gestellt hat, kommt man oft zu neuen Einsichten.
Ähnlich ging es neulich einer Schülerin von mir. Sie hattenfolgenden Text von mir bekommen und fanden ihn erst total
langweilig und nichtssagend. Dann hatte ich Ihnen eine ganze
Reihe Frage dazu gegeben. Bei der Besprechung sind ihr - und
nicht nur ihr - soviele Dinge aufgegangen - sie sagte mir
nach dem Unterricht, dass sie nun versteht, warum ich bei
Fragen so oft nachhake und die Stunde wäre so anregend für sie
gewesen!
Das ist doch schlicht toll.
Ich kenne nur normalen Gymnasialunterricht meinerseits und von
meinen Kindern. Da ist Deutschunterricht der Lesefreude eher
abträglich.
Und genau deshalb suche ich nach anregenderen Methoden, um den
Deutschunterricht spannender zu machen.
Gut. Hauptsache, Deine Schüler lesen nach dem Unterricht eher mehr als weniger.
Ein Buch lesen muss doch Spass machen, interessant sein und
vor allem neue Informationen beinhalten, Gedanken, Einsichten
oder Ideen auslösen. Wenn das gegeben ist, liest man Bücher,
viele und verschiedene und findet hier und da Perlen oder hat
einfach einen netten Leseabend mit etwas
Allgemeinwissenzuwachs.
Hab ich etwas anderes behauptet??
Nein.
Aber viele Schulen haben leider einen gegenteiligen Effekt.
Nur: Wenn ich Schülern, die wenig Interesse an Literatur
haben, 3-4 Buchreferate aufs Auge drücke, willst du mir
wirklich erzählen, dass dadurch die Lesefreude steigt?
Ich könnte es mir vorstellen, ja.
Nat. kriegst Du damit nicht jeden ans Lesen. Das geht nie.
Nein, ich möchte den Schülern zeigen, dass man sehr viele
Erkenntnisse auch für sich selber bekommen kann, wenn man sich
auch mal mit vermeintlichen Kleinigkeiten aus einem Text
auseinandersetzt, oder mit Beziehungen, Charakterentwicklungen
usw.
Manche Bücher/Geschichten wirken lange nach, regen auch nach
Jahren noch zum Nachdenken an.
Das ist m.E. viel mehr wert, als eine Textanalyse nach Formel
Wenn ein Schüler gar nicht in der Lage ist, einen Text
tiefergehend zu analysieren, wie soll er dann überhaupt was
aus einem Text mitnehmen?
Ich analysiere Texte nicht. Ich lese sie, lasse sie wirken.
Die Autoren haben ihre Texte sicher auch nicht analysiert, ehe sie sie hinschrieben. Die Autoren reden mit dem Leser. Warum kann man das nicht einfach so stehenlassen und zuhören?
Das, was du hier bei den Schülern voraussetzt, ist ja bei
vielen noch gar nicht da!
Und genau das möchte ich bei ihnen entwickeln. Denn gerade
dann kann einem ein Buch richtig viel geben.
Davon abgesehen muss ich den Schülern vermitteln, wie man an
eine Textanalyse herangeht, weil sie diese in der
Fachhochschulreifeprüfung auch durchführen müssen.
Ja, die KMK gibt vor, was gelernt werden soll. Bei
naturwissenschafltichen Fächern und Fremdsprachen finde ich
das nachvollziehbar, bei Fächern wie Deutsch und Sozialkunde
finde ich die Vorgaben der KMK steif und realitätsfern.
Was ist realitätsfern daran, dass ein Schüler mit FH-Reife in
der Lage ist einen Text genauer zu verstehen?
Was heißt genauer zu verstehen? Mehr darin lesen, als ein Autor aussagen wollte?
Das Problem, was ich heute mit vielen Schülern habe ist doch,
dass sie überhaupt nicht mehr in der Lage zu irgendeinem
Textverständnis sind.
Das ist aber ev. ein anderes Problem. Eines, das von Textanalyse weit entfernt ist.
Soviel Allgemeinbildung sollte erreicht werden, dass
Charaktere von Romanfiguren, psychologische Entwicklungen in
der Geschichte usw. erkannt werden.
Und das muss man eben auch erstmal üben.
Aber dafür kannst Du nichts, das ist eben Dein Job.
Ich sehe das bei Weitem nicht so negativ wie du.
Welche tiefergehende Erkenntnisse bringt erzwungene
Textanalyse nach Plan?
Meine Kinder lernen mittelfristig (bis zur nächsten
Klassenarbeit), wie das zu machen ist, machen es und
vergessens dann wieder.
Und das glaube ich nicht.
Wenn man etwas verstanden hat, verlernt man es nicht mehr.
Das gilt für Radfahren und Schwimmen, aber schon beim Dreisatz klappt das oft nicht mehr - und der ist einfach. Kannst Du noch das Mol-gewicht von zB. CO2 berechnen? Das Volumen einer Pyramide? Grundschulniveau: schriftliche Division geht wie?
Hast Du sicher alles mal gelernt und verstanden.
Ich habe das seinerzeit schnell wieder vergessen. Ich lese schließlich gern und ich möchte völlig frei über das Gelesene nachdenken können.
Alles andere empfände ich als Gedankenkorsett.
Ich glaube auch kaum, das Autoren sich eine solche Sicht auf ihre Werke wünschen.
Kurz: wähle für die Textanalyse Dein absolutes Lieblingsbuch.
Wenn Du das erträgst, machst Du es verm. richtig.
Erträgst??? Was gibt es da zu ertragen?
Bei einem schönen Text sehr viel.
Bsp.:
„Nun, da die Asche kalt geworden ist, öffnen wir das alte Buch. Die ölbefleckten Seiten erzählen die Geschichte der Gefallenen und eines heruntergekommenen Imperiums - Worte ohne jede Wärme. Der Herd ist erloschen, sein Glanz und seine Lebensfunken sind nur noch Erinnerungen vor trübe gewordenen Augen - was prägt meinen Geist, was färbt meine Gedanken, wenn ich das Buch der Gefallenen öffne und tief den Geruch der Geschichte einatme?“
Mach mal davon eine Textanalyse.
Sie wird garantiert weniger schön, poetisch und gefühlvoll ausfallen. Das ist es, was ich nicht ertragen mag. Und das ist durchaus nicht einer meiner Lieblingstexte.
Ich will nicht eine Analyse solchen Textes lesen, sondern den Text selbst. Der drückt alles aus, was er ausdrücken soll. Und gut is.
Ich habe als Kurzgeschichte eine meiner Lieblingsgeschichten
von Elke Heidenreich gewählt („Frau Janowiak, Frau Janowiak,
ich kann sie sehen“).
Die Schüler fanden sie anfangs teils langweilig, aber ich hab
auch gesehen, dass ich sie mit meiner Begeisterung anstecken
konnte. Nur möchte ich jetzt nicht weiter ausschließlich mit
Textbesprechung arbeiten, sondern mit dynamischeren Methoden.
Ich finde deine negative Haltung abschreckend, ganz ehrlich.
Mit dem was du sagst, kann man m.E. lesefreudige Schüler
erreichen, aber nicht Schüler, die nicht gern lesen.
Ich konnte meine beiden Kinder zum Lesen bringen. Beim Ältesten war es einfach. Er hat die nahegelegene Kinderbibliothek innerhalb von 2 Jahren ausgelesen, bei meiner Jüngeren musste ich mich bemühen und schlicht die gerade passende Literatur finden.
Momentan, Endpubertät, sind beide keine Leseratten, haben meist Besseres zu tun - was auch gut ist.
Aber sie können Bücher flüssig lesen, wissen, dass dies Spaß machen und neue Gedanken anregen kann und es enorm viel gute Literatur gibt, die man nie als Film präsentiert bekommen wird. Das ist m.E. eine gute Basis.
Mein verst. Mann, der Dir sicher noch eine gute Textanalyse hätte liefern können, hat kaum 100 Seiten/Jahr gelesen. Meist musste ich ihm gute Bücher vorschlagen, kannte irgendwann seinen Geschmack. Selbst hätte er nicht danach gesucht.
Ich denke und hoffe, dass die Kinder später wieder mehr lesen werden.
Ich habe sie immer nach Laune und Interesse lesen lassen, egal was. Hauptsache, sie lasen gern.
Mein Sohn hat mit Comics angefangen, meine Tochter mit Hanni und Nanni.
Ein leichter, altersgerechter Einstieg ist wichtig.
Und jeder sollte zu einem Buch eine eigene Meinung haben dürfen. Standartisierte Interpretationen sind m.E. kontraproduktiv, die Meinung des Lehrers auch. Wenn die Kinder selbst denken sollen, muss man sie das auch tun lassen.
Zu meiner Schulzeit las man Königs Erläuterungen und war damit gut beraten. Königs hatten recht, die las der Lehrer auch und der hatte nat. immer recht
Mit szenischen Methoden kann man imho aber durchaus auch
Lesemuffel ansprechen.
Und das ist etwas, dass ich schon im Unterricht erlebt habe.
Wenn Du mit Deiner Methode Lesemuffel zum Lesen bringst, mach das und vergiss meine Bedenken.
Gruß, Paran