Migge = Bremsen, Verbreitungsgebiet

Liebe Paralinguisten,

bei meinem letzten Besuch im schwäbischen Oberland angesichts eines wegen sturzbesoffenen Kutschers unzulänglich gebremsten Gefährts ist die Frage aufgetaucht, wie das Verbreitungsgebiet von „Migge, migga“ = Bremsen ausschaut. Das Wort ist sowohl im Alemannischen als auch im Schwäbischen zu finden, die Verbreitung scheint aber Richtung Norden schon auf der Alb irgendwo aufzuhören, nur im Westen (Baar) gehts wohl weiter nach Norden. Zum bajuwarischen Raum hin konnten wir keine gescheiten Angaben finden.

(Dohanne miggi wo scho mei Vaddr gmigget hot und wenns grad de Berg nuffgoht…)

Wer weiß dazu genaueres?

Schöne Grüße

MM

(Dohanne miggi wo scho mei Vaddr gmigget hot und wenns grad de Berg nuffgoht…)

Also, dieser Spruch, lieber Martin, kennt man auch bei uns im Neckartal, zwanzig Kilometer nördlich von Stuttgart.

Aber ich kenne ihn so: Wo mei Vadder gmiggt hôt, migg i au ond wenns dr Berg nuff gôt!

Das Wort Migge/Micke ist im Schwäbischen Handwörterbuch für den gesamtschwäbischen Raum erwähnt, also wenigstens bis zum Übergang ins Fränkische, fürs Badische habe ich keine Hinweise.

Gruß Fritz

Mücke
Hi,
bei uns (zwischen Stuttgart und Alb) sagt man Mugga, Mugge, oder neudeutsch Mücke dazu.
Nach unserem Verständnis kommt das von Mücke oder Fliege, meint aber Bremse.
„Die Mücke reinhauen“ = scharf bremsem.
Wo der Sinnzusammenhang liegt weiss ich nicht, aber wie ich in einem Tread vor ein paar Wochen bereits schrieb, wird oft der reine Klang eines Wortes in den Dialekt transferiert, und das teilweise lokal extrem verschieden.
Da wird aus Migge eben mal die Dialektform von Mücke.
Vielleicht ist der Zusammenhang dort zu suchen: Es gibt eine Stechfliegenart, die gerne an baggerseen unterwegs ist und Bremse genannt wird. (?)

Gruss,

Schottland…
… und ganz weit hergeholt: In Schottland gibt es diese schrecklichen Midges…

Gruß

Heidrun :smile:

Grüß Gott Helge,

bei uns (zwischen Stuttgart und Alb) sagt man Mugga, Mugge,
oder neudeutsch Mücke dazu.
Nach unserem Verständnis kommt das von Mücke oder Fliege,
meint aber Bremse.
„Die Mücke reinhauen“ = scharf bremsem.

Mir scheint, daß die Parallele Bremse/Bremsen im Schriftdeutschen und Mugg/Migga im Schwäbischen bloß zufällig ist. Deswegen, weil bei Mugg/Migga Vokale von gänzlich verschiedener Qualität vorliegen, die normalerweise nicht ineinander übergehen. Auch, weil es die Bream (bzw. Schweizer) schon gibt und sie eigentlich nicht mit einer Mugg verwechselt werden kann. Und eine Schnôg ist noch einmal ein anderes Geflügel.

Wo der Sinnzusammenhang liegt weiss ich nicht, aber wie ich in
einem Tread vor ein paar Wochen bereits schrieb, wird oft der
reine Klang eines Wortes in den Dialekt transferiert, und das
teilweise lokal extrem verschieden.

Dieses geschieht - vgl. Dein Beispiel von damals - aber primär mit Neubildungen, die im Schriftdeutschen stattgefunden haben und im Dialekt halt irgendwie assimiliert werden. Namen: Der Volkswagen Jetta, den man aus der Werbung vor allem geschrieben kannte, wurde solang es ihn gab im oberdeutschen Raum anders ausgesprochen als im Niederdeutschen. Ich warte darauf, daß sich Entsprechendes im Falle des (Euro)Cent herausbildet.

Da wird aus Migge eben mal die Dialektform von Mücke.

Dieser Neo-Dialektform allerdings gilt es entgegenzutreten, weil die Mugg ja schon existiert, sich von der Bream einerseits und der Schnôg anderseits unterscheidet und ein Bedarf für die Anpassung der Dialekte ans Schriftdeutsche nicht besteht: Wir können nämlich sehr wohl alles, einschließlich Hochdeutsch, und brauchen dieses also nicht mit dem Dialekt zu vermischen.

Vielleicht ist der Zusammenhang dort zu suchen: Es gibt eine
Stechfliegenart, die gerne an baggerseen unterwegs ist und
Bremse genannt wird. (?)

Siehe oben: Mir scheint diese Parallele zufällig und allenfalls etymologisch analysierbar. Da in dessen Bibliothek noch ganz andere Schätze lagern als das „Schwäbische Handwörterbuch“, welches bloß knappe etymologische Hinweise enthält, möchte ich hiermit an Fritz Rupprecht übergeben, mit der konkreten Frage, ob Schriftdeutsch Bremse/Bremsen und Schwäbisch Mugg/Migga in irgendeinem Zusammenhang stehen können oder halt bloß zufällig gleich bzw. ähnlich klingen.

Schöne Grüße

MM

Mücken = Bremsen = Migge = Bremsen
Ein Versuch zu Migge/Micke, Bremse, Bremse und Mücken!

Martin hat im Grunde schon gesagt, was zu sagen ist.

Die Bremse an fahrbaren Untersätzen und dieses unangenehme Insekt haben weder semantisch noch etymologisch etwas miteinander zu tun.

Bei Kluge können wir lesen:

Breme
(siehe auch: Bremse1) Substantiv Femininum (Name verschiedener stechender Fliegen) erweiterter Standardwortschatz obd. (8. Jh.), mhd. brem(e), ahd. brema f., bremo m., as. bremo m Stammwort. Aus vd. *brem-on m. „Bremse, Stechfliege“ zu der ig. Schallwurzel *bhrem- (z.B. in l. fremere „brüllen, tosen“, ahd. pram „rugiebam“), hier offenbar in der Bedeutung „summen“, also „Summer“. Vgl. ai. bhramará- m. „Biene“, bulg. brbmbar „Hummel, Käfer“. Zur gleichen Wurzel mndd. bromete, mndl. breemse, ahd. brimissa, das im 16. Jh. aus dem Niederdeutschen ins Hochdeutsche übernommen wird (die althochdeutsche Form ging ohne Nachfolger unter; sie hätte *Brimse ergeben müssen). Nicht auszuschließen wäre auch eine Vorform *mrem- (vgl. murmeln für entsprechende Schallwörter).

Bremse 1 siehe Breme

Bremse 2
Substantiv Femininum „Hemmschuh“ Standardwortschatz (14. Jh.), spmhd. bremse „Klemme, Maulkorb u.ä.“ Stammwort.
Zu einem Verb, das „zwängen, klemmen“ bedeutet, mhd. pfrengen und (lautlich genauer) mndd. pramen. Weitere Herkunft unklar. Bremse war auch die Nasenklammer zur Bändigung störrischer Pferde, von dort aus übertragen auf die Vorrichtung zum Anhalten von Fahrzeugen. Verb: bremsen.
Seibicke, W. MS (1964), 253

Zur zweiten Bremse gibt es das oberdeutsche Wort: die Micke, dialektal d´Migge geschrieben und ebenso gesprochen; auch als Mickel, Mickete, Mecke, Mickenie Mekenie, Mickeneiing und Mucke ist es anzutreffen, ebenso in Verbindungen mit Micken-backe, Micken-kette und Micken-prügel (alles Namen für Teile der Bremse/Micke) ist es anzutreffen, vgl. Schwäbisches Handwörterbuch von Fischer.

Ich habe inzwischen auch einen Beleg für das Seealemannische gefunden, wo es als „Miki“ auftritt. Diese Schreibung erscheint mir laienhaft, also nicht von einem Sprachwissenschaftler erhoben, sondern von einem Feuilletonisten. Aber als Beleg für den Bodenseeraum mag es gelten.

Es fehlt aber immer noch der Beleg für den nördlichen Teil Badens.

Wie Martin schon sagte, gibt es dort – also bei Fischer – keine etymologischen Angaben. Und natürlich fehlt das Wort bei Wahrig und im Duden, und auch bei Kluge, bei Pfeifer und Wasserzieher fehlt das Wort selbstverständlich. Bei Grimm kann ich zur Zeit nicht nachschauen, da ich keine Verbindung zur Uni Trier bekomme. „Webside reagiert nicht!“

Wegen des Bremsklotzes oder der zwei Bremsklötze habe ich mir selber ausgedacht, dass das Wort mit: „Mockel“ verwandt sein könnte, was „Klotz, Brocken, Trumm, Stück, (Tannen)zapfen“ bedeuten kann, in weiteren Ableitungen: „Kopf“, Dickkopf“, „Trotzkopf“, dann noch – vor allem männliches – „Kalb“. Aber für diese Hewrleitung habe ich keinen Beweis, nicht mal einen Beleg.

Und wie kommen wir jetzt zu Mugge/Mücke/ Micke/. Die hochdeutsche Mücke heißt in weiten Teilen Süddeutschlands: Mugg/Mugg(a) und hat den Plural Mugga. Das ist aber ein sehr ländlicher Tonfall.

Eine Stuttgarter Volkshochschullehrerin – es war meines Wissens Thaddäus Troll, der als erster behauptete, diese – an sich überhaupt nicht tadelswerten – Damen häben (schwäbischer Konjunktiv I 1/2) das „Schduagadar Honoratiorenschwäbisch“ erfunden; und zwar bei der Lektüre Schillers.
So klingt z. B. der Anfang der 2. Szene das 1. Aktes der „Räuber“ im Munde gebildeter Stuttgarterinnen:
„Mich äggelt vor disäm tentenkläggsenden Säggulum!“
Und so sprechen eben die Honoratioren!
Ein anderes Muster dafür ist auch: „Geschdern sinnt wir in S-tuddkart kewäsen. Dort sinnt wir auf dem Trootowar gelaufen und dann beni näbanaadabbd.“
Mit diesen Worten berichtet man von einem Fehltritt, bei dem man sich die Knöchelsehne überdehnt hat. Aber ich schweife ab.

Wenn nun also die genannten Stuttgarter Volkshochschullehrerinnen nach einem Bad im Leuzebad von einem schmerzhaften Insektenstich berichten, klang (klingt?) das so: „Mich hat ein Micke geschdochen.“

Das „ü“, das wirst du mir zugestehen, lieber Martin, bereitet den Schwaben bisweilen etwas Mihe. ;-}

Jetzt klingt auf einmal die Micke am Wagen wie die Mücke, die sticht und da ficht es einen Schwaben, dessen Unerschrockenheit wir aus den Schwabenstreichen von Uhland und der Geschichte der sieben Schwaben kennen, nicht an, die biologischen Unterschiede zwischen einer Stubenfliege, einer Stechfliege und der großen Pferdefliege einfach beiseite zu wischen und sie mit einem mechanischen Teil zu vermischen und so werden Mücke und Micke eins.

Aus dem phonetischem Gleichklang ward mit List und Ticke – denn mit List und Ticke fangt man eine Micke und mit Geduld und Spucke fangt man eine Mugge - semantische Identität.

So wird es wohl oder könnte es gewesen sein.

Beste Grüße Fritz

Hallo Fritz,

das hat jetzt richtig Spaß gemacht!

Das „ü“ gestehe ich Dir nadirlich zu, auch sonstige Klang-verfärbungen. Wenn ich „Mir kennet älles außer Hochdeitsch“ so verachte, dann meine ich: Selbstverständlich wissen wir wies geht - Stolz auf Unbildung hat vor der Kreation dieses Spruches noch nie zu den württembergischen oder vorderösterreichischen Tugenden gehört.

Daß dabei das Anlaut-s halt nicht stimmhaft klingt und das ü nicht so melodisch geflötet, ist klar, reicht aber noch nicht heran an Abweichungen z.B. des Oldenburger Unichors, wo man selbstverständlich davon überzeugt ist, Deutsch und Platt zu unterscheiden, und wo dennoch erst ein Kemptener Dirigent hermußte um die Leute davon zu überzeugen, daß Worte wie „Berg“ und „Zwerg“ jeweils insgesamt eine Silbe haben und auch so gesungen werden sollten (statt „Be-ag“ und „Zwe-ag“).

Bevor man uns jetzt vom Brett schasst, noch einer zum Thema „ü, Dialekt und Journalisten“, weitergegeben von Thaddäus Troll über Theodor Heuss: Einige Zeit nach dem Amtsantritt des letzteren ist ersterer ihm wieder begegnet und hat ihn zur Rede gestellt, ob er denn jetzt ganz übergeschnappt sei: In einer Kieler Zeitung war berichtet worden, er würde sich (frischer, erster Bundespräsident) jetzt als „Gottesgiebel der Nation“ betrachten.

Die Erklärung: Bundestheo hatte „Kotzkübel“ - in seiner Sprachmelodie „Kotzkiebel“ - gesagt, und der gescheite Journalist wußte, daß Schwaben zur stellenweise harten Aussprache von Konsonanten neigen.

Drom sait mers oim em Guata.

In diesem Sinne

MM

Hallo Martin,

dao hat mei Vaadr gmiggt ond dao migg i ao, ond wann’s da Berg nauf gat – das ist
eine Redensart, die ich auch sehr gut kenne (als Beispiel für den Starrsinn der
bewohner unserer Region). Was Dich interessieren wird: Ich stamme von der Ostalb,
aus Heidenheim. Und da wird auch gemiggt und nicht gebremst. Allerdings kann ich
Dir nicht genau sagen, wie weit das geht - zumindest auf dem Härtsfeld, östlich
von Heidenheim, gilt das auch noch.
Gruß
Bolo2L

Hallo Fritz,

Die Bremse an fahrbaren Untersätzen und dieses unangenehme
Insekt haben weder semantisch noch etymologisch etwas
miteinander zu tun.

Bei Kluge können wir lesen:

Breme
(siehe auch: Bremse1) Substantiv Femininum (Name verschiedener
stechender Fliegen) erweiterter Standardwortschatz obd. (8.
Jh.), mhd. brem(e), ahd. brema f., bremo m., as. bremo m
Stammwort.

Daher heiß´t es ja auch Bream, weil das etwas anderes ist als eine Migge. :smile:

Wegen des Bremsklotzes oder der zwei Bremsklötze habe ich mir
selber ausgedacht, dass das Wort mit: „Mockel“
verwandt sein könnte, was „Klotz, Brocken, Trumm, Stück,
(Tannen)zapfen“ bedeuten kann, in weiteren Ableitungen:
„Kopf“, Dickkopf“, „Trotzkopf“,
dann noch – vor allem männliches –
„Kalb“. Aber dafür habe ich keinen Beweis, nicht
mal einen Beleg.

Intgeressant! Ich kenne den Mocken, das ist der Baumstumpf, und das Moggele, das
ist das Kalb.

Eine Stuttgarter Volkshochschullehrerin – es war meines
Wissens Thaddäus Troll, der als erster behauptete, diese
– an sich überhaupt nicht tadelswerten – Damen
häben (schwäber Konjunktiv I 1/2) das „Schduagadar
Honoratiorenschwäbisch“ erfunden; und zwar bei der Lektüre
Schillers.
So klingt z. B. der Anfang der 2. Szene das 1. Aktes der
„Räuber“ im Munde gebildeter Stuttgarterinnen:
„Mich äggelt disäs tentenkläggsende Säggulum!“
Und so sprechen eben die Honoratioren!
Ein anderes Muster dafür ist auch: „Geschdern sinnt wir in
S-tuddkart kewäsen. Dort sind wir auf dem Trootowar gelaufen
und dann beni näbanaadabbd.“
Mit diesen Worten berichtet man von einem Fehltritt, bei dem
man sich die Knöchelsehne überdehnt hat. Aber ich schweife ab.

M. E. ist ein ganz bedeutendes Kennzeichen des Honortatiorenschwäbischs das
Imperfekt! Daher müsste es heißen: Geschdern waren wir in Schduggard (sic!). Dort
lüüfen wir auf dem Droddowar und üch dabbte näbennaa.

Das „ü“, das wirst du mir zugestehen, lieber
Martin, bereitet den Schwaben bisweilen etwas Mihe. ;-}

Deshalb ist in Obigem das ü auch als ein Mittelwert zwischen ü und i zu sprechen.

So wird es wohl oder könnte es gewesen sein.

So kennde man sich das dengen. Ohngefähr … :smile:

Beste Grüße Fritz

Disses winscht auch Dir (s. Filserbriefe)
Bolo

… und ganz weit hergeholt: In Schottland gibt es diese
schrecklichen Midges…

… die aber wieder etwas ganz anderes sind, liebe Heidrun:

Midges = kleine, 1 mm große Insekten, die sich vorwiegend in die Haare verirren
und dort Jucken verursachen.

Mugga = Fliegen, Stubenfliegen

Breama = Bremsen, Pferdebremsen

Schnaoga = Stechmücken

Gruß
Bolo2L

Hallo, lieber Fritz,

dass das Wort mit: „Mockel“ verwandt sein könnte,
was „Klotz, Brocken, Trumm, Stück, (Tannen)zapfen“
bedeuten kann

in der Tat, „Botzemockel“ sind mir aus dem Fränkisch der Bamberger Umgegend bekannt. Wir haben sie Säckeweis gesammelt in der schlechten Zeit um es im Winter warm zu haben. Es sind Kiefernzapfen.
Grüße
Eckard.