Hallo smalbop,
auch wenn ich arg zeitverzögert auf deine Antwort reagiere, hoffe ich, dass du sie noch lesen kannst, bevor die Diskussion ins Archiv wandert. Ich habe nämlich zu deiner Antithese noch ein paar wichtige Verständnisfragen, bevor ich darauf reagiere.
Aber vorab noch ein paar Kommentierungen zu deinen übrigen Aussagen. An dieser Stelle schon einmal danke für die Vorlagen, weil sie mir die Gelegenheit geben, auf ein paar wesentliche Punkte aufmerksam zu machen, die im öffentlichen Diskurs leider häufig ignoriert werden.
Es kommt wohl auf die Art der Einwanderung an: Legal oder
illegal.
Es gibt kaum noch Möglichkeiten der „legalen“ Einwanderung nach Deutschland, weil das Recht auf Asyl mit der Drittstaatenregelung de facto abgeschafft wurde (vgl. beispielsweise http://www.asyl.net/index.php?id=85 - oder http://www.proasyl.info/presse98/mai26.htm ). Menschen, die es trotzdem geschafft haben, erhalten dann den Status der „Duldung“, der jedoch kein Aufenthaltstitel ist. Unter dem folgenden Link eine kurze Übersicht über die Rechte und Pflichten: http://infonet-frsh.de/aufenthalt0/die_duldung/
Die Rechte, die dort benannt werden, z. B. darauf, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, werden in der Praxis jedoch sehr viel rigoroser abgelehnt, als es theoretisch den Anschein hat. Ich weiß wovon ich rede, weil ich jahrelang Menschen mit dem Duldungsstatus in die Ausländerbehörde begleitet habe: selbst wenn sie sich anmaßen, eine Stelle als Geringfügig Beschäftigte à 10 Stunden die Woche annehmen zu wollen, um sich wenigstens etwas mehr leisten zu können, wie beispielsweise Nachhilfe für ihre Kinder oder auch Sprachkurse, die meistens nicht kostenlos angeboten werden, wird ihnen das in der Regel verwehrt. Das Prozedere ist nämlich so, dass die freie Stelle, die sie ausfindig gemacht haben, zu allererst als freie Stelle dem Arbeitsamt gemeldet wird und wenn es einen Deutschen gibt, der diese übernehmen könnte, ist die Stelle weg und die Arbeitserlaubnis wird abgelehnt.
Das Gleiche gilt für Kinder, die den Status der Duldung haben: wenn diese versuchen, eine Ausbildungsstelle zu finden, ist die Minderheit der Verantwortlichen der jeweiligen Ausbildungsstellen selbst bei grundsätzlichem Interesse nicht dazu bereit, ihnen die Ausbildungsstelle zu geben, weil ihre potentiellen Lehrlinge/Auszubildende schließlich noch während der Ausbildung abgeschoben werden könnten (eine Duldungszyklus beläuft sich jeweils auf einige Wochen oder maximal einige Monate, die zwar auch verlängert werden, aber es gibt eben keine Garantie dafür). Es gibt über diese desolate Situation der betroffenen Jugendlichen eine sehenswerte Dokumentation, die ich nur wärmstens empfehlen kann: http://www.statusgeduldet-derfilm.de/
So viel zum Punkt „Schmarotzertum“. Es ist sehr leicht zu behaupten, dass alle „Ausländer“ nicht arbeiten oder sich nicht integrieren wollen. Dass es jedoch strukturelle Benachteiligungen gibt, die sie vom Arbeitsmarkt ausschließen, fällt dabei aber meistens unter dem Tisch. Auf diese Weise wird das Urteil jedoch verfälscht. Es unterstellt eine mangelnde Motivation, obwohl es sich tatsächlich um strukturelle Benachteiligungen handelt (welche übrigens - das muss man der Vollständigheit halber wenigstens auch kurz erwähnen - nicht nur „geduldete“ Menschen betrifft, sondern auch generell ökonomisch schlechter gestellte Menschen - die BRD wird nicht umsonst häufiger für ihre diskriminierendes Bildungssystem gerügt).
Oder um wiederum im Bild zu
bleiben: Mein Sohn randaliert mit seinem Freund in meinem Haus
herum. Mein Sohn geht auf sein Zimmer und wird später
bestraft, der Freund hingegen wird rausgeschmissen. Wer ist
nun schlimmer dran? Und wer von beiden wollte sich ob der ihm
zuteil werdenden Behandlung gegenüber dem anderen
benachteiligt fühlen?
Mit Verlaub, aber das ist wirklich kein Beispiel, das du als Vergleich heranziehen kannst: Der Freund deines Sohnes verliert durch den Rausschmiss nicht sein komplettes Lebensumfeld und landet auch nicht an einem Ort, der ihm möglicherweise sein Leben kosten könnte.
Umgekehrt gibt es in Deutschland Gesetze, gegen die nur
Deutsche, nicht aber Ausländer verstoßen könne, so zum
Beispiel die Wehrgesetzgebung oder das Beamtenrecht.
OK, der Hinweis ist berechtigt. Die Wehrgesetzgebung halte ich tatsächlich auch für höchst problematisch, aber das gehört ja auch bald der Vergangenheit an.
Trotzdem halte ich beides nicht für vergleichbar. Deshalb zur Residenzpflicht noch eine Bemerkung: Die Residenzpflicht untersagt dir, ein Bundesland (manchmal auch nur einen Stadtbezirk) zu verlassen: es schränkt dich massiv in deiner Bewegungsfreiheit ein. Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, was das für die Betroffenen bedeutet?
Da ihre Familienangehörige teilweise über das ganze Land verstreut leben (sie haben kein Mitspracherecht, in welchem Bundesland sie leben dürfen), können sie andere Familienangehöre nicht besuchen, selbst wenn diese schwer krank sind. Es kann auch mal sein, dass sie die Hilfe eines Arztes in einem anderen Bundesland benötigen, weil es diese Spezialisten in deinem eigenen Bundesland nicht gibt.
Du meinst, da wird doch bestimmt eine Ausnahme gemacht? Nein, machen sie nicht. Anträge auf eine befristete Aussetzung der Residenzpflicht werden von den Beamten der Ausländerbehörde mit der flapsigen Bemerkung kommentiert: „Ist doch nicht mein Problem.“ Das haben ich (und viele weitere Mitglieder von Flüchtlingsberatungssstellen) wie gesagt mehrmals erlebt. Um „Einzelfälle“ handelt es sich dabei nicht. Das hat System: sie sollen zermürbt werden, damit sie das Land „freiwillig“ verlassen.
Übrigens
ist die „Residenzpflicht“ in meinem Haus so geregelt, dass
nicht alle Gäste zu jedem Zimmer Zutritt haben.
Nochmals: auch dieses Beispiel halte ich für unzulässig. Hier geht es nicht darum, dass Leute in deinen Privatbereich eindringen wollen, sondern sich lediglich im Land frei bewegen wollen. Sollen sie es doch trotzdem machen, fällt schon nicht auf?
Pustekuchen: Gerade Migranten werden wegen ihres vermeintlich „fremden“ Aussehens x-Male häufiger von Sicherheitskräften aller Art kontrolliert. Das bedeutet, dass ihre „kriminelle“ Handlung nicht nur keine Handlung ist, die der Gesellschaft Schaden zufügt, sondern auch insbesondere dass diese „Täter“ auch viel häufiger bei ihrer „Tat“ „erwischt“ werden und deshalb erheblich schneller in die Kategorie „Kriminelle Ausländer“ rutschen, bei denen eine Abschiebung „berechtigt“ erscheint. Das einmal ganz grundsätzlich dazu.
Was den gern angeführten Punkt der Gewalt betrifft, bestehe ich darauf, dass es sich um ein soziales Problem handelt und nicht um ein kulturelles: Perspektivlosigkeit und mangelnde Akzeptanz als Mensch führt zum Rückzug oder zu Gewalt, aber diese Perspektivlosigkeit ist ein politisch und sozial verursachtes Problem, von dem ebenso auch Deutsche betroffen sind, die nicht minder gewaltlos agieren. Viele sind angesichts ihrer Situation frustriert. Sie gehören zu den „Überflüssigen“ und das wird ihnen auch in jeder Situation deutlich gemacht. Das ist keine Frage der „Kultur“, die Stellung in der sozialen Hierarchie ist hier das entscheidende, aber auch das wird natürlich ungern öffentlich thematisiert.
Aber so wie ich deine Argumentation verstehe, verneinst du von
vornherein das Recht von Gesellschaften, Staaten zu gründen
und den Zutritt dorthin zu beschränken.
Ja, genauso meine ich das. Es mag im vorletzten Jahrhundert eine Zeit gegeben haben, in der die Nationsbildung als eine Lösung erschien, aber die Bildung von Nationen hat auch dazu geführt, dass Migration - ein seit Beginn der Menschheit existierendes Phänomen - zu einem Problem stilisiert wurde. Dabei hat jede Nation davon „profitiert“, dass es zu einem Austausch gekommen ist.
Bis dahin einstweilen meine Antithese: Die Aushöhlung der
Demokratiefähigkeit und der Bereitschaft zur Achtung
universeller Menschenrechte erfolgt primär durch die Anwälte
einer kriminellen Minderheit, die den durchaus vorhandenen
Langmut der Mehrheit gegenüber dieser kriminellen Minderheit
überstrapazieren und ihr damit letztlich einen Bärendienst
erweisen.
… weil diese „Anwälte“ die strukturellen Benachteiligungen nicht ausblenden wollen. Wenn das Recht auf Chancengleichheit und das Recht auf Partizipation am gesellschaftlichen und politischen Leben wirklich gegeben wären, bräuchte es auch diese „Anwälte“ nicht.
Die Schweiz ist kein Zufall, sie ist notwendige
Folge der Bewusstwerdung der Mehrheit, zu der die Minderheit
sich so lange so sehr in Kontrast setzt, dass sie als ein
Problem der Mehrheit schlicht nicht mehr ignoriert werden
kann. Die einzelnen Mitglieder der Minderheit werden dann
selbstverständlich zu „billigsten“ Preisen unschädlich
gemacht: Die einen (integrierten), indem man sie festsetzt,
die anderen (nicht integrierten), indem man sie rauswirft.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich hier richtig verstehe: Sagst du damit, dass sich die Minderheit von der Mehrheit selbst abgegrenzt hat und deshalb zu einem Problem für die Mehrheit geworden ist, auf das die Mehrheit notwendigerweise reagieren musste? Dann verstehe ich aber die Einleitung zu deinem zweiten Satz nicht, denn unter dieser Voraussetzung wäre die Festsetzung doch die notwendige Konsequenz aus der Problematisierung der Minderheit? Was mir daran das Verständnis erschwert, ist, dass du schreibst, dass sie "„zu den „billigsten“ Preisen unschädlich gemacht werden“: Ich lese einen Hauch Kritik an dem Vorgehen heraus, der aber mit dem Rest deiner Aussagen nicht zusammenpasst. Oder meinst du die Aussage wirklich sinngemäß genauso, wie du es schreibst: sie „unschädlich“ zu machen?
Gruß
menschine