Moral / Wertewandel damals

„Der Geizige, der erfolgreich seinen Besitz mehrt
und dabei die Armen ignoriert,
gilt im 17. Jahrhundert noch als gottgefällig,
später ändert sich das grundlegend.“

So hoerte ich im Radio.

Passt ja wohl analog zu:

„Dem der hat, wird gegeben,
wer wenig hat, dem wird auch dies genommen“

Doch wenn die obige Darstellung vom „guten Geizigen“ stimmt, dann wuerde mich interessieren, ob das in den Kirchen tatsaechlich - und in der Gesellschaft damals - so war, dass man ARME ignorierte? Und wie das begruendet wurde?

Servus,

interessant wäre, für welche Gegend und ggf. welche Religion respektive Konfession das gelten sollte. Bestand in der Sendung, in der Du das gehört hast, ein thematischer Zusammenhang zu Calvinismus in Europa?

Schöne Grüße

MM

Mir kam auch sogleich der Calvinismus in den Sinn.
http://de.wikipedia.org/wiki/Calvinismus
Wurde aber nicht erwaehnt.

Servus,

überall sonst wurde und wird im Christentum zumindest der Form nach Matth. 25,31-46 durchaus konkret verstanden und ernst genommen.

Die Vorstellung von Erfolg und Reichtum als diesseitigem Anzeichen für Auserwähltsein durch den Herrn ist unmittelbar mit Calvins Prädestinationslehre verbunden; auch die Geringschätzung der guten Werke ist sozusagen die Kehrseite des calvinschen „sola fide“; bei Luther findet man zwar die Frage „wie kriege ich einen gnädigen Gott“ auch in diese Richtung gehend beantwortet, aber nicht in der abstrakten Radikalität Calvins.

Schöne Grüße

MM

Sozialwesen in der Renaissance

  • die älteste Sozialsiedlung der Welt, die Fuggerei in Augsburg, wurde von dem damals mutmaßlich reichsten Mann im Reich 1521 gestiftet, ist also durchaus ein Kind der gar nicht so kaltschnäuzig-frühkapitalistischen Renaissance - man wohnt dort übrigens bis heute mit der Auflage, für den Stifter Jakob Fugger zu beten.

So isches noch au wieder

moint

MM

Genau der Calvinismus kann nicht gemeint gewesen sein, denn Calvin und in seinem Gefolge alle reformierten Theologen haben einen ganz großen Wert auf die Fürsorge für die Armen gelegt.
Calvin hat am 30. 10. 1555 eine Predigt über Deuteronomium 15, 11-15 gehalten, in der er klarmachte, dass eine Gemeinde ohne Fürsorge für die Armen keine christliche Gemeinde ist. In der Gemeinde, in der ich jetzt zu Hause bin, ist 1664 nach ihrer Gründung noch kein Konsistorium (= Presbyterium) gewählt worden, weil sie so klein war, wohl aber noch am Tag der Pfarrwahl auch ein Diakon, der für die Armenfürsorge zuständig war.

Auch gerade die calvinistischen Gemeinden haben wirtschaftliches Handeln immer unter dem Aspekt der „Königsherrschaft Christi“ gesehen. In der niederdeutsch-reformioerten Gemeinde in Amsterdam wurde der Kaufmann Hans Martens für einige Jahre aus der Gemeinde ausgeschlossen, weil er als Diakon monopolistischer und damit unchristlicher oder unevangelischer Praktiken beschuldigt wurde.

Gruß - Rolf

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Die Vorstellung von Erfolg und Reichtum als diesseitigem
Anzeichen für Auserwähltsein durch den Herrn ist unmittelbar
mit Calvins Prädestinationslehre verbunden;

Nein, lieber Martin, das ist sie nicht. Das mit der innerweltlichen Askese und so ist eine Idee von Max Weber gewesen, die er in seiner „protestantischen Ethik“ ausgebreitet hat. Die ist aber längst als falsch erwiesen; Calvin hat sich in seiner Institutio ausdrücklich gegen eine solche Verbindung gewehrt. Und die Prädestinationslehre war in Calvins Gedankenwelt viel eher ein tröstendes Konstrukt für die in Frankreich verfolgten Hugenotten, die als Flüchtlinge nach Genf strömten.
Zu dieser unmenschlichen Lehre mit der doppelten Prädestination - zum Heil und zur Hölle - wurde sie erst in der Orthodoxie, und da besonders auf der Synode von Dordrecht. Da ist ja Oldenbaarneveld noch hingerichtet worden, weil er diese Zuspitzung der Prädestination nicht mitmachen wollte.

Gruß - Rolf

Hallo Rolf,

das „unmittelbar“ ist ein grober Schnitzer, das ist richtig. Bei nochmaligem Lesen fällt mir nicht mehr ein, warum ich das an diese Stelle gesetzt habe.

Eine Verbindung ist sicherlich da, aber eben keine unmittelbare und auch keine originäre.

Schöne Grüße

MM

Hallo, Multivista,
dazu vielleicht interessant Max Weber
Gruß
Eckard