Kleine philosophische Propädeutik
Hi Rolo,
danke für die Blumen, dennoch pas de qua. Ich versuch mal, zu einigen deiner Ausführungen etwas zu sagen: Befriedigend kann das aber allein aus logischen und aus methodologischen Gründen nicht sein, denn daß ein perpetuiertes rein formelles „ja -aber“-Einwenden eine Methode des systematischen Zweifelns ist, die niemals argumentativ beendet werden kann, ist ebenfalls - es tut mir leid - seit spätestens den Bemühungen der antiken sog. Skepsis bewiesen worden
Eine damit zusammenhängende Erkenntnis(sic!) oder, anderes gesagt, Argumentation, die aber zu etwas Neuem führt und nicht die bloße Widerholung desselben ist, wirst du finden, wenn du dir mal die Zeit nimmst, die ersten beiden der „Meditationen“ von Descartes zu lesen …
Viel mehr ist hier leider nicht möglich zu empfehlen, denn sonst nähme unser kleiner Dialog allmählich die Größenordnung eines propädeutischen Seminars an … Bei einem solchen würde allerdings, bevor man weitergeht, eingefordert, daß du, bevor du ein weiteres „ja - aber“ anbringst, durch Wiedergabe der Ausführungen deines Gesprächspartners bestätigst, daß (bzw. wie) du sie verstanden hast. Danach erst würde dein Gesprächspartner bereit sein, auch dir weiter zuzuhören.
So verläuft eine klassische philosphische Abhandlung ebenfalls. Aristoteles hat das vorbildlich in seiner Vortragssammlung, die später den Namen „Metaphysik“ bekam, ebenfalls gemacht: Er hat zuerst die Gedankengänge seiner zahlreichen Vorgänger referiert (gottseidank, denn teilweise kennt man die heute nur daher), danach hat er angefangen sie kritisch zu betrachten, teilweise sie zu widerlegen, und dann erst(!) hat er seine eigenen Gedankengänge dazugesetzt.
Es steht außer Frage, dass es „Erkenntnisse“ gibt, ich bezweifle allerdings, dass diese verifizierbar sind.
Und wie würde deiner Meinung nach so ein „verifizieren“ vor sich gehen?
Ja eben, es ist nicht möglich. Man kann weder beweisen, dass philosophische Theorien, also u. a. auch Deutungen der Wirklichkeit, mit der Wirklichkeit übereinstimmen, noch, dass sie nicht übereinstimmen.
Hier übersiehst du (da wir ja die Anfänge der Philosophie betrachten) einige nicht unbedeutende Kleinigkeiten:
- daß die Methode des Behauptens erst entwickelt werden mußte: Was muß ich tun, damit eine Behauptung eine begründete Bahauptung ist …
- daß die Methode des Beweisens, ebenso wie die des Widerlegens, erst entwickelt werden mußte: Was muß man tun, um eine Behaupotung zu beweisen, was, um sie zu widerlegen …
- daß die Methode des Schlußfolgerns erst entwickelt werden mußte: Wann ist eine Folgerung (aus Prämissen) falsch, wann ist sie korrekt. Daß es dabei eine endliche, abzählbare Menge von Formen des Schlußfolgerns gibt, ein Teil immer korrekte, ein anderer Teil immer falsche, das kann man wohl zurecht als eine Entdeckung bezeichnen: Eine Entdeckung über die Natur des Denkens …
Und damit gehts gleich zum nächsten Punkt
- Das „Objekt“ philosophischer Bemühungen ist nicht die „Wirklichkeit“, sondern das Denken selbst! „Noesis noeseos“, Denken des Denkens (im Gegensatz zum Denken des Gegenstands des Denkens), nennt es Aristoteles. Damit hängt zusammen eine erste genauere Bestimmung eines Unterschieds wissenschaftlicher Bemühungen: theoretische und empirische Wissenschaften.
Die empirischen WS haben das zu tun, was du oben anführst: Sie prüfen die Korrektheit ihrer Aussagen, Theorien usw. an einer Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, von der jeweils ein Ausschnitt den Objektbereich der jeweils einzelen Wissenschaft bestimmt.
Die theoretischen (philosophischen) Wissenschaften befassen sich dagegen
- z.B. mit der Frage, was „Wirklichkeit“ überhaupt ist oder was ein „Begriff“ überhaupt ist, und, daraus folgend, was „Erkenntnis“ überhaupt ist, wie sie funktioniert, und wieso sie möglich ist. Und damit sind wir bei den Leistungen des Platon, Aristoteles, wie ich schon andeutete.
Trotzdem gelten Platon, Hobbes, Nietzsche, etc. als große Denker, obwohl gar nicht klar ist, ob sie mit ihren Deutungen „richtig“ liegen und beeinflussen ganze Epochen mit ihren Lehren.
Wie schon gesagt: Es steht dir frei, sie zu widerlegen, ihre Ausführungen als sinnlos, zwecklos zu „beweisen“ usw. usw. Aber - leider - müßtest du, damit dir überhaupt jemand zuhört, diese Philosophien sehr genau kennen und durchgearbeitet haben - noch genauer sogar als irgendwer, der sie für sinnvoll hält und ihnen oberflächlich anhängt.
Denn dir wird kaum jemand bei deinen Platon-, Hobbes-, Nietzsche-kritischen Ausführungen zuhören, wenn man schnell bemerkt, daß du sie bestenfalls flüchtig überflogen hast. Meinst du nicht?
Wenn du sie aber gründlich durcharbeitest hast, wirst du sie nicht mehr für sinnlos halten, sondern mindestens für anregend, nämlich anregend genau für deine Kontroversen. Ob sie „richtig“ sind, diese Frage wird dir beim Durcharbeiten eh aus dem Kopf geraten: Du wirst sehen, daß es um „richtig“ und „falsch“ darin überhaupt gar nicht geht …
Das ist so ähnlich, als würde ein Archäologe für seine Behauptung, er habe Atlantis entdeckt, den Nobelpreis bekommen, obwohl er nur vermutet, wo es liegen könnte.
Philosophie ist keine empirische Wissenschaft. Und daß „sinnvolle“ Wissenschaft ausschließlch empirische Wissenschaft sei, daß ist wiederum Inhalt und These bestimmter Philosophien! (Empirismus, Rationalismus, Positivismus usw. seien nur ein paar Stichworte, die hierher gehören).
Wenn ich Methoden und Kriterien erarbeite, um sinnvolle Aussagen, Fragestellungen und Dialoge zu ermöglichen, dann will ich doch gerade NICHT sinnvolle Aussagen, etc. vermeiden. Wo ist der Unterschied zwischen „sinnvoll“ und „nicht sinnvoll“ wenn es nicht um Wahrheit geht?
Um - nur um ein Beispiel zu nehmen - eine dialogische Einigung zu erzielen darüber, was man unter „Wahrheit“ verstehen möchte, braucht es Dialoge, Argumentationen, begründete Aussagen, Beweis- und Widerlegungsverfahren (für Aussagen!), Grundbegriffe von Identität und Widerspruch usw., damit sich der Dialog nicht im Hamsterrad verflüchtigt.
Man kann die Theorien und Gedankenmodelle von Platon, Hobbes, Rousseau, Hegel oder Nietzsche für „richtig“ halten, oder aber auch nicht.
Wer hat je bezweifelt, daß man das kann?
Klar, aber dann ist doch das gesamte Unterfangen eine Farce.
Das ist eine sogenannte unbegründete Behauptung (= ein destruktives Dialogelement). Denn das, dem du den Anschein einer Begründung gibst, trifft auf das zu Begründende gar nicht zu …
Wer würde denn Aktien eines Unternehmens kaufen, von dem man nicht weiß, ob es existiert?
… denn die Philosophien von Platon, Hobbes, Rousseau, Hegel oder Nietzsche existieren.
Ob du sie dagegen für dich persönlich als „erhellend“ ansiehst oder nicht, wen interesiert das außer dir selbst? Aber um selbst das zu wissen, mußt du von diesen Philosophien mehr wissen, als nur die Namen ihrer Autoren. Meinst du nicht?
Falls du diese Autoren also noch nicht schon durchgeackert hast (und selbst dafür benötigst du viele viele andere Philosophien zusätzlich), können wir gerne in 3 bis 5 Jahren (diese Zeit benötigst du mindestens für ein begründetes Urteil) diese selbe Unterhaltung fortsetzen. Ich bezweifle allerdings (aus Erfahrung), daß du dann noch dieselben Fragen in derselben Weise stellen wirst.
Wie wollte man denn beweisen, dass z. B. Hegel mit seiner Geschichtstheorie recht hat oder ob es eben „nur“ Gedankenexperimente sind?
Wo ist der Unterschied?
Da es sich letztlich um Deutungen der Wirklichkeit handelt, können diese Deutungen der Wirklichkeit entsprechen, dann sind es zutreffende Deutungen, oder aber auch nicht. Auch wenn man es nie erfahren wird, weil eine Verifizierung nicht möglich ist.
Geschichtsphilosophien haben unter anderem, aber auch mindestens, das Anliegen, zu bestimmen, was „historische Wirklichkeit“ überhaupt ist. Das ist die Voraussetzung dafür, um eine Konfrontation einer Theorie mit der (dadurch erst bestimmten) „Wirklichkeit“ zu leisten …
Es kann doch nicht egal sein, ob z. B. Hegel zutreffende Behauptungen aufstellt oder unzutreffende. Wie gesagt, man kann Hegel nicht widerlegen, aber er kann auch nicht beweisen, dass er mit seiner Deutung der Wirklichkeit die Wirklichkeit trifft.
Kennst du Hegels Geschichtsphilosophie? Oder seine Philosophie der Philosophiegeschichte?
Wie Du ja bereits erwähnt hast, haben Platons Schriften die Geisteshaltung des gesamten Abendlandes geprägt. Mit welcher Berechtigung?
Z.B. mit der Berechtigung, daß du sonst diese deine Fragen gar nicht stellen könntest …
Sorry, will Dich nicht zu sehr nerven. Wahrscheinlich kann jemand wie Du gar nicht nachvollziehen, wie einer auf die Idee kommen kann, solche Fragen zu stellen
Im Gegenteil, es war mir ein Vergnügen, denn für einen Philosophen ist nichts spannender, als mit Fragen konfrontiert zu sein (auch, wenn er solche wie diese im Leben schon 100 mal durchgeackert hat, wie du sicher voraussetzt). Und solche Unterhaltungen gehören für mich zu denen, für die dieses Brett eigentlich gedacht ist.
Schönen Gruß
Metapher