Mündlich überlieferte oder traditionelle Lieder?

Hallo, Musikwissenschafter/innen

Die meisten ‚Volkslieder‘ wurden und werden nicht mündlich
überliefert; man kennt deren Komponist/in. Es handelt sich einfach um
Lieder, die jedermann kennt und singt, alte und neue, jeden Stils.

Sofern jedermann sie kennt und singt, bezeichne ich mündlich
überlieferte Lieder natürlich auch als ‚Volkslieder‘.

Es gibt jedoch zahlreiche ‚mündlich überlieferte Lieder‘, die niemand
kennt und singt. Diese Gruppe möchte ich deshalb nicht ‚Volkslieder‘
nennen.

Sind in diesem Fall die Bezeichnungen ‚mündlich überlieferte Lieder‘
und/oder ‚traditionelle Lieder‘ treffend?

Gruss & Dank
Adam

Hallo,
ich bin zwar kein Musikwissenschaftler, würde aber genau umgekehrt definieren:

Volkslieder sind Lieder, deren Komponist unbekannt ist (sonst sind es einfach nur Lieder „im Volkston“ bzw. volkstümliche Lieder).

Sie kommen „aus dem Volk“.

Deshalb sind sie in der Regel auch nur mündlich überliefert - obwohl natürlich inzwischen fast jedes Lied auch schriftlich verfügbar ist.

Äußerungen wie „jeder/niemand kennt sie“ sind meiner Meinung nach problematisch! - Was heißt „jeder“ bzw. „niemand“?

Der Grad der Bekanntheit sagt auf jeden Fall nichts darüber aus, ob ein Stück ein Volkslied ist, denn sonst wäre z.B. „Yesterday“ von den Beatles ein Volkslied (weil es extrem bekannt ist), was man aber wohl nicht behaupten kann, oder?

Grüße
Osso

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Hallo Adam,

also, das ist so: Der Begriff „Volkslied“ wurde von Johann Gottfried Herder (1744-1803) geprägt. Er hat ihn von dem anglikanischen Bischof Thomas Percy, der in seiner Sammlung (Reliques Of Ancient English Poetry, 1765) von „popular songs“ sprach, und übersetze den Begriff mit Volkslied. - Es ist die Sammelbezeichnung für traditionelles Liedgut, das „aus dem Volk“ stammt (im Gegensatz zu Liedern, deren Komponisten wir kennen (!) und die „in aller Munde“ volksTÜMLICH geworden sind.

Im 18. Jahrhundert wurden diese - zunächst mündlich überlieferten, und nur ist Texten (also ohne Noten) niedergeschriebenen - Lieder erstmals von Herder 1778/79 in einer vierbändigen Volksliedsammlung publiziert. - 1893 folgten Liedsammlungen (mit Noten), etwa von Ludwig Erk und Franz Böhme (u. a.) …

Die Idee war, das Lied und das spezielle kulturelle und historische Umfeld zu bewahren, zu erneuern und wieder neu zu beleben - es also als Dokument über eine Zeit, ein Land, eine Begebenheit zu erhalten. Herder Auffassung war nämlich: „Orpheus Leier … hat mehr getan als Herkules’ Keule“!!

Ich (u.a. Muwilerin) hoffe, dir mit dieser kurzen Beschreibung geholfen zu haben!
Gruß,
Beate

Doch, Yesterday von den Beatles ist ein Volkslied

Hallo,

aus, ob ein Stück ein Volkslied ist, denn sonst wäre z.B.
„Yesterday“ von den Beatles ein Volkslied (weil es extrem
bekannt ist), was man aber wohl nicht behaupten kann, oder?

Doch, gerade dies behaupte ich.

Gruss
Adam

Und Lieder von Komponisten, die alle singen?

Danke, Beate

Ich kenne die ursprüngliche Definition. Die Aufarbeitung des Liedguts
um den ‚Röseligarte‘ hat mir jedoch gezeigt, dass sie den heutigen
Gegebenheiten nicht mehr entspricht, und deshalb habe ich ja hier die
Frage aufgeworfen.

Wie willst du denn Lieder von Komponisten bezeichnen, die alle kennen
und singen, wenn nicht ‚Volkslieder‘? Schlägst du für diesen Bereich
einen anderen Begriff vor?

Gruss
Adam

Wie willst du denn Lieder von Komponisten bezeichnen, die alle
kennen
und singen, wenn nicht ‚Volkslieder‘? Schlägst du für diesen
Bereich
einen anderen Begriff vor?

beliebte lieder?

deine begrifflichkeit wirft zwei probleme auf:

erstens haben sich die bezeichungen, die du hier verwendest, anders eingebürgert. auch wenn sich die form der tradierung inzwischen geändert hat, sind volkslieder die lieder, die früher nur mündlich überliefert waren und heute daher oft in mehreren formen parallel existieren. es gibt kein richtig und kein falsch, im gegensatz zu yesterday.

zweitens wirfst du hier einzelne, voneinander unabhängige exemplare in einen großen topf, und ignorierst dabei, daß nicht nur kein zusammenhang existiert, sondern du auch noch einige andere zusammenhänge zerreißt. beispielsweise müßte neben yesterday auch komm lieber mai von mozart nach deiner definition als volkslied gelten, wohingegen viele lieder der beatles und viele von mozart nicht in diese kategorie fallen. das würde bedeuten, daß die beatles einerseits volkslieder und andererseits… was anderes im programm hatten. hmm…

du kannst nicht hergehen und einen anerkannten terminus plötzlich anders verwenden, vor allem nicht, wenn du auf die ursprüngliche definition ganz verzichtest. und daß du einen fachbegriff, der sehr wohl einiges über die musik aussagt, plötzlich rein auf die rezeption beziehst, ist eine unzulässige vereinfachung.

Sicher, ‚Komm lieber Mai‘ ist ein Volkslied

Hallo

neben yesterday auch komm lieber mai von mozart nach deiner
definition als volkslied gelten, wohingegen viele lieder der
beatles und viele von mozart nicht in diese kategorie fallen.

Sicher, ‚Komm lieber Mai‘ von Mozart ist ein Volkslied.

Gruss
Adam

Sicher, ‚Komm lieber Mai‘ von Mozart ist ein Volkslied.

ich mag deine art zu argumentieren :wink:

@ mod: eventuell wäre es sinnvoll, diesen thread, in dem einer einfach behauptungen aufstellt und auf die argumente der anderen nicht eingeht, einfach zu schließen?

Wir benötigen zwei verschiedene Bezeichnungen

Danke, Gyuri

Nochmals:

Ich kenne die ursprüngliche Definition. Die Aufarbeitung des Liedguts
um den ‚Röseligarte‘ hat mir jedoch gezeigt, dass sie den heutigen
Gegebenheiten nicht mehr entspricht, und deshalb habe ich ja hier die
Frage aufgeworfen.

Wie willst du denn Lieder von Komponisten bezeichnen, die alle kennen
und singen, wenn nicht ‚Volkslieder‘? Schlägst du für diesen Bereich
einen anderen Begriff vor?

Wir benötigen zwei verschiedene Bezeichnungen für zwei verschiedene
Liedbereiche.

Gruss
Adam

Wie willst du denn Lieder von Komponisten bezeichnen, die alle
kennen
und singen, wenn nicht ‚Volkslieder‘? Schlägst du für diesen
Bereich
einen anderen Begriff vor?

ganz abgesehen davon, daß ich schon einen begriff vorgeschlagen habe, möchte ich anmerken, daß es sich dabei im gegensatz zu den üblichen nicht um eine reale und homogene kategorie handelt. es gibt de facto keine lieder, die tatsächlich alle kennen und singen, daher ist deine annahme schon eine grobe näherung.

und selbst wenn wir ausschließlich die rezeption als ausschlaggebend hernehmen, gibt es zusätzlich zu den bereits angesprochenen problemen noch eins: mode ändert sich. heutzutage singt sicher nicht mal annähernd jeder komm lieber mai, ich würde sogar behaupten, daß es ein großteil der deutschsprachigen bevölkerung noch nie gesungen hat. heutzutage kennen aber viele sowas wie… hmm, apologize, zumindest in den kreisen, in denen ich verkehre. ist das jetzt auch ein volkslied? und verliert es aber nach ein paar monaten oder jahren auch diesen status? also wird ein lied eventuell irgendwann zum volkslied und dann wieder nicht mehr?

deine bezeichung ist rein subjektiv, dafür könnte jedes andere wort genau herhalten. du negierst folgende aspekte:

  • eine gattungsbezeichnung sollte sich auf musikalische gemeinsamkeiten beziehen, nicht nur auf die rezeption
  • eine gattungsbezeichnung sollte unabhängig von modeströmungen konstant bleiben
  • es gibt heute keine homogene gruppe ‚volk‘, die die selben lieder singt
  • die bezeichnung existiert schon und bedeutet im allgemeinen konsens etwas anderes, klar definiertes.

nenne es wie du willst, aber dann tut es neben ‚volkslied‘ auch ‚pflaumenkompott‘. wenn du allerdings nach einer wissenschaftlichen argumentation für deine subjektive wahl fragst, mußt du auch damit leben, daß es gegenargumente gibt.

Ich danke allen und sehe nun, wo das Problem liegt

Ich danke allen und sehe nun, wo das Problem liegt.

Gruss
Adam