Servus,
Aber man sagt nicht,
wenn man sich tags begegnet. „Tolle Nacht, heute!“, oder?
Glaub eher nicht. Das ist jetzt nicht repräsentativ, aber ich hab innerlich geschmunzelt, wenn ich zu fast jeder Tageszeit von den bewußten Wüstensöhnen den Wunsch „Enjoy your meal!“ gehört habe. Ist doch der Gruß „Mahlzeit!“ für mich Inbegriff des ungeliebten Preußentums.
Tag und Nacht sind wegen des bekannten Sonnenuntergangstermins im Ramadan schon was wichtiges, und während dieses Monats steht die Tag- und Nachtrechnung schon auf dem Kopf, aber das kommt nicht vom Kalender, sondern davon, daß die aus christlichem Kulturkreis bekannte weihnächtliche dreitägige Fressorgie im Ramadan für die, die es sich leisten können und persönlich weit genug von dem eigentlichen religiösen Gehalt entfernt sind, nachtsüber stattfindet. Der Ramadan ist schon stark auf die Nächte orientiert. Vor ungefähr hundert Jahren (wohl Mitte der 1980er) habe ich in Tunesien, wo ich eher zufällig in den Ramadan gestolpert bin, in der einzigen französischsprachigen tunesischen Zeitung (irgendwo zwischen Le Monde und Süddeutsche anzusiedeln) einen Leitartikel gelesen, der der Frage gewidmet war, ob es wirklich im Sinn des Fastens wäre, wenn man im Ramadan ein paar Kilo zunimmt, weil man die ganze Nacht lang ausgesuchte Leckereien zu sich nimmt, u.a. Küchlein, die den deutschen Fasnachtskrapfen ähneln, aber nicht in Schmalz, sondern in Zucker schwimmend ausgebacken sind.
Etwas weiter südlich von Tunis gab es dann die Orte, wo kurz vor Sonnenuntergang die Suppe auf dem Tisch steht, und mit Rücksicht darauf, daß nicht so viele Leute Uhren tragen und die tägliche Zeitungsnachricht über den genauen Sonnenuntergang lesen, ein Böller den Zeitpunkt des Sonnenuntergangs verkündet.
Es dauert keine zwei Minuten, bis die Teller auf den Böllerschlag hin vielleicht auch zwei Mal vollgeschöpft und mit einer wenig salbungsvollen Gier leergelöffelt sind.
Diese besondere Nacht-Orientierung ist aber unter dem Einfluss der Rückbesinnung auf den eigentlichen religiösen Inhalt, die gar nicht unbedingt rauschebärtig und messerschwingend sein muss, wohl auf dem Rückzug zu Gunsten eines Verständnisses vom Fasten, das darauf zielt, daß die nächtliche Stärkung kein Widerspruch zum täglichen Fasten sein muß, sondern eine Ergänzung sein kann: Daß da der Teller Gemüsesuppe, den man maximal einnehmen kann, wenn man am anderen Tag wieder ohne Essen und vor allem auch ohne Wasser normal zurecht kommen will, eine ganz besondere Bedeutung bekommt und auf diese Weise eine Vorstellung von Gnade und Dankbarkeit vermittelt.
Interessant dabei, daß es zur gleichen Zeit mit oder ohne 9-11 und den ganzen Unfug, der damit einhergegangen ist, in der christlichen Welt genau analoge „fundamentalistische“ Entwicklungen zum Motiv des Fastens gibt.
Wenn in einem Text Nächtliches betont hervorgehoben ist, kann es dabei eventuell grade um den Ramadan gehen, in seinem städtisch-bürgerlichen Verständnis?
Schöne Grüße
MM