Mysterienspiel?

Leute wir haben im Religionsunterricht über Mysterienspiele geredet, also z.B. Passions- oder Osterspiel, und haben deren Aufbau teilweise besprochen. Also das es gewisse Zyklen gibt und wie die Spiele entstanden. Ich habe auch versucht mich bei Wiki. ins Thema zu vertiefen aber dort nichts richtiges über den allgemeinen Aufbau gefunden. Könntet ihr mir da helfen?
Danke im Voraus!

Herkunft und Struktur
Hi.

Ich habe auch versucht mich bei Wiki. ins Thema zu vertiefen aber dort nichts richtiges über den allgemeinen Aufbau gefunden.

Die im 14. Jahrhundert entstandenen christlichen Mysterienspiele stehen in der Nachfolge des antiken Theaters, das während der frühmittelalterlichen Jahrhunderte den Weg alles Irdischen ging.

Der Grundgedanke der Mysterienspiele geht auf antike Vorläufer zurück wie z.B. die Eleusinischen, die orphischen und die dionysischen Mysterien sowie die später entstandenen ägyptischen Mysterien um Isis und die noch später entstandenen Mysterien um Mithras und Kybele.

Meistens ging es in den dabei dargestellten Mythen um eine Gottheit, die stirbt und wiederaufersteht.

Bezeichnenderweise behandeln auch die christlichen Spiele das Auferstehungs-Thema. Das ist natürlich kein Zufall, da sich der christliche Auferstehungsmythos stark an die entsprechenden Mythen der vorchristlichen Zeit anlehnt (um es dezent auszudrücken).

Für die Struktur eines mittelalterlichen Spiels gilt, dass in mehreren Hauptabschnitten Szenen aus der biblischen Schilderung des Wirkens der Jesus-Figur aneinandergereiht werden, z.B. vom Einzug in Jerusalem bis zur Kreuzigung und Auferstehung, aber darüber hinaus auch bis hin zur Offenbarung des Johannes.

Da die fünfaktige Struktur im Theater erst im 17. Jhd. eingeführt wurde, kann man davon ausgehen, dass die Spiele im Mittelalter in der Regel in einer dreiaktigen Struktur angelegt waren.

Chan

Danke! Danke! Danke Chan! Hilfreich!
Falls jemand noch etwas weiß könnt ihr gern noch mehr schreiben!

Hallo Ch’an,

Die im 14. Jahrhundert entstandenen christlichen
Mysterienspiele

da bist Du ca. 200 Jahre zu spät - in diese Gattung fällt bereits das älteste überlieferte französische (westnormannische) Theaterstück, das Jeu d’Adam (Adamsspiel) aus dem 12. Jahrhundert. Die Verwandtschaft zu den (lateinischen) biblischen Dramen ist noch recht deutlich (diese wurden idR von und für Kleriker in Kirchen aufgeführt). Beim wenig jüngeren Ju saint Nicolas (Sankt Nikolausspiel) ist auch der Name des Verfassers überliefert - der 1210 verstorbene Jean Bodel aus Arras. Im Lauf des 13. Jahrhunderts entwickelte sich aus dieser frühen Tradition (mit derbrealistischen / komischen Elementen) auch das weltliche Gegenstück, die Farce. Dafür steht insbesondere Adam de le Hale (1237?–1288), genannt Le Bossu (der Bucklige) mit Stücken wie Ju Adan ou de la fucülie (das Spiel Adams oder das
Spiel in der Laube). In dieser Zeit ging die Aufführungspraxis auch von Klerikern und Gelegenheitsschauspielern auf (Laien)spielvereinigungen über, idR Confréries im Rahmen von Zünften. So führte z.B. eine Confrérie der Pariser Schuhmacher im Jahr 1443 ein Mysterienspiel über das Leben der Heiligen Krispin und Krispinian auf (Schutzheilige der Schuhmacher). Am bekanntesten die Confrérie de la Passion, die 1402 für Paris und die banlieue von Charles VI. ein Privileg für die Aufführung geistlicher Spiele erhielt.

stehen in der Nachfolge des antiken Theaters,
das während der frühmittelalterlichen Jahrhunderte den Weg
alles Irdischen ging.

Konkret: des alexandrinischen Mimus Hecyra und des griechisch-römischen Mimus.

Der Grundgedanke der Mysterienspiele geht auf antike Vorläufer
zurück wie z.B. die Eleusinischen, die orphischen und die
dionysischen Mysterien sowie die später entstandenen
ägyptischen Mysterien um Isis und die noch später entstandenen
Mysterien um Mithras und Kybele.

… nur weil es da um ‚Mysterien‘ geht, hat das noch nichts mit mittelalterlichen Mysterienspielen zu tun. Ich vermute, Du hast noch nie eines gelesen. Deine erste, oben zitierte Aussage über die Herkunft (-> mimus) ist deutlich sinnvoller.

Für die Struktur eines mittelalterlichen Spiels gilt,

… dass diese Gattung eine jahrhundertelange Entwicklung durchgemacht hat und schon aus diesem Grund Pauschalaussagen über Struktur oder Aufbau unsinnig wären. Der Religionslehrer / die Religionslehrerin hat offensichtlich selbst nicht viel Ahnung von dem Thema.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hallo Ch’an,

nur ein Detail schnell zwischendurch: Das wohl am häufigsten aufgeführte Mysterienspiel ist das Krippenspiel - also garnicht unbedingt Auferstehung im Zentrum.

Gruss,
Mike

Osiris und Jesus im Mysterienspiel
Hi Ralf.

da bist Du ca. 200 Jahre zu spät - in diese Gattung fällt
bereits das älteste überlieferte französische
(westnormannische) Theaterstück, das Jeu d’Adam (Adamsspiel)
aus dem 12. Jahrhundert.

Gebongt.

Der Grundgedanke der Mysterienspiele geht auf antike Vorläufer
zurück wie z.B. die Eleusinischen, die orphischen und die
dionysischen Mysterien sowie die später entstandenen
ägyptischen Mysterien um Isis und die noch später entstandenen
Mysterien um Mithras und Kybele.

… nur weil es da um ‚Mysterien‘ geht, hat das noch nichts
mit mittelalterlichen Mysterienspielen zu tun.

Da hast du die von mir angeführte Begründung übersehen. Ich schrieb:

Meistens ging es in den dabei dargestellten Mythen um eine Gottheit, die stirbt und wiederaufersteht.

Bezeichnenderweise behandeln auch die christlichen Spiele das Auferstehungs-Thema. Das ist natürlich kein Zufall, da sich der christliche Auferstehungsmythos stark an die entsprechenden Mythen der vorchristlichen Zeit anlehnt (um es dezent auszudrücken).

Das Basisthema der antiken Mythen ist also absolut kongruent zum Basisthema der christlichen Spiele (zumindest der meisten): Tod und Auferstehung eines Gottes oder Gottessohnes. Bultmann schrieb über das Verhältnis der Christusgestalt zu den Mysteriengöttern:

Der Kyrios Jesus Christus wurde nach Art einer Mysteriengottheit verstanden, an deren Tod und Auferstehung der Gläubige durch den Empfang der Sakramente teilnimmt.

Im oberägyptischen Abydos z.B. wurden jährlich Osiris-Spiele veranstaltet, die den Tod und die Auferstehung des Gottes Osiris darstellten - lange vor der Entstehung des Christentums.

Chan

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Hallo Ch’an,

Bezeichnenderweise behandeln auch die christlichen Spiele das Auferstehungs-Thema.

nein, lediglich eine verhältnismäßig kleine Untergruppe - und zwar die sog. Osterspiele, deren inhaltlicher Ursprung auf den Quem-quaeritis-Tropus der Ostermesse (9. Jahrhundert) zurückgeführt wird. Selbst wenn man vom deutschen Begriff des Mysterienspiels ausgeht (der enger gefasst ist als der französische), so ist da der Haupttypus das Passionsspiel. Und da geht es bekanntlich um das Sterben des Rabbi Jeschua und nicht seine Auferstehung. Ähnlich alt ist der Typus des Krippenspiels (das sich zum Weihnachtsspiel, Drei-Königs-Spiel usw. weiterentwickelte), auf das schon Mike hinwies und das ebenfalls mit Auferstehung nichts zu tun hat.

Davon abgesehen ist es nicht nur unfundiert, sondern auch völlig unwahrscheinlich, dass die frühmittelalterlichen Kleriker, die aus liturgischen Motiven und nach dem Muster des Mimus das lateinische Bibeldrama entwickelten (aus dem wiederum das volkssprachliche Mysterienspiel entstand) auch nur die geringste Ahnung von den antiken Mysterien hatten - schließlich handelte es sich im wesentlichen um geheime Riten (und nicht um dramatische Aufführungen). Bestenfalls kannte man Hippolyts Philosophumena und die dort enthaltenen dürftigen Hinweise auf die eleusinischen Mysterien - und wenn, dann dürfte dies kaum einen Kleriker zur Nachahmung motiviert haben.

Davon abgesehen - im einen Fall wird ein mythisches Geschehen in ritueller Form (häufig als Initiationsritus) als religiöse Praxis von einem Adepten nachvollzogen, im anderen Fall wird ein mythisches Geschehen in dramatischer Form zur Unterhaltung und Erbauung eines Publikums auf einer Bühne aufgeführt. Beides hat miteinander in etwa soviel zu tun wie das Ohnsorgtheater mit Morenos Psychodrama.

Freundliche Grüße,
Ralf

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nein Ahnung hat sie nicht!!!

Leute!

Leute wir haben im Religionsunterricht über Mysterienspiele
geredet, (…)

Brüll!

Ja, Leute!

Leute wir haben im Religionsunterricht über Mysterienspiele
geredet, (…)

Brüll!

„Leute“ ist eine in unserem Kulturkreis durchaus übliche Anrede.
Der Ursprungsposter hat lediglich das Komma vergessen.
Besser hätte es geheißen:
Leute, wir haben im …

Hanna

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Christus in der Tradition der Mysteriengötter

Bezeichnenderweise behandeln auch die christlichen Spiele das Auferstehungs-Thema.
nein, lediglich eine verhältnismäßig kleine Untergruppe - und
zwar die sog. Osterspiele, deren inhaltlicher Ursprung auf den
Quem-quaeritis-Tropus der Ostermesse (9. Jahrhundert)
zurückgeführt wird.

Die Gruppe mag quantitativ klein sein, aber du wirst wohl nicht widersprechen, wenn ich behaupte, sie sei die wichtigste. Was kann für einen Christen wichtiger sein als das Geschehen um Tod und Auferstehung seines Helden? Das ist die Basis und Quelle des christlichen Glaubens. Jedes andere Thema ist sekundär.

Das Osterspiel, das ursprünglich nur Tod und Auferstehung behandelt, entstand drei Jahrhunderte vor dem Passionsspiel, dessen Schwerpunkt zunächst auf der Leidensgeschichte lag. Die meisten späteren Passionsspiele enden aber österlich, beinhalten auch die Auferstehung (siehe ganz unten angefügtes Zitat). Die Oberammergauer Spiele, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, inszenieren die Auferstehung.

so ist da der Haupttypus das Passionsspiel. Und
da geht es bekanntlich um das Sterben des Rabbi Jeschua und
nicht seine Auferstehung.

Das ist, wie oben angedeutet, nicht richtig. Als Beleg füge ich unten ein Zitat an. Auch andere Quellen zeigen, dass die meisten Passionsspiele die Auferstehung einschließen.

Ähnlich alt ist der Typus des
Krippenspiels (das sich zum Weihnachtsspiel, Drei-Königs-Spiel
usw. weiterentwickelte), auf das schon Mike hinwies und das
ebenfalls mit Auferstehung nichts zu tun hat.

Das sind Untergruppen mit wenig „theologischer“ Bedeutung. Entscheidend ist der geistige Stellenwert eines Spieltypus, und was den betrifft, liegen die Oster- und Passionsspiele am Platz 1.

Davon abgesehen ist es nicht nur unfundiert, sondern auch
völlig unwahrscheinlich, dass die frühmittelalterlichen
Kleriker, die aus liturgischen Motiven und nach dem Muster des
Mimus das lateinische Bibeldrama entwickelten (aus dem
wiederum das volkssprachliche Mysterienspiel entstand) auch
nur die geringste Ahnung von den antiken Mysterien hatten

Da hast du sicher Recht. Ich hatte auch gar nicht eine bewusste Übernahme antiker Motive im Sinn. Eher kann man von einer inneren, motivischen Verwandtschaft sprechen, die wichtiger ist als der rein historische Zusammmenhang von antikem und mittelalterlichen Mysterienspiel: Die Christus-Gestalt figuriert im christlichen Mythos als eine Variante des antiken Gottes vom Typ ´Tod und Auferstehung´. Für Religionswissenschaftlicher ist diese Relation gesichertes Basiswissen.

In Griechenland waren die Mysterienspiele die Vorläufer des Theaters. Als das antike Theater im Mittelalter aus moralischen Gründen abgeschafft wurde und der Wunsch nach der szenischen Vergegenwärtigung biblischer Motive aufkam, lag es nahe, die Form des Theaters, aber ausschließlich in Verbindung mit religiösen Inhalten, wieder aufleben zu lassen.

Das Ergebnis in dieser Transformationskette sind die Passionsspiele, deren Urahn also das antike Mysterienspiel ist.

Davon abgesehen - im einen Fall wird ein mythisches Geschehen
in ritueller Form (häufig als Initiationsritus) als religiöse
Praxis von einem Adepten nachvollzogen, im anderen Fall wird
ein mythisches Geschehen in dramatischer Form zur Unterhaltung
und Erbauung eines Publikums auf einer Bühne aufgeführt.
Beides hat miteinander in etwa soviel zu tun wie das
Ohnsorgtheater mit Morenos Psychodrama.

Dieser Einwand trifft nicht die Sache. Es geht nicht um Trash vs. Hochglanz. Wenn das Ohnesorgtheater das gleiche Motiv behandelt wie Moreno, dann hat beides ziemlich viel miteinander zu tun. Entscheidend für die inhaltliche Parallelität der antiken/christlichen Mysterienspiele ist nicht die Qualität der Performance oder der Grad der Einbeziehung des Zuschauers, sondern die Kernaussage. Da sich diese in beiden Fällen auf das Thema ´Tod und Auferstehung eines Gottes´ bezieht, liegt eine strukturelle Kongruenz der Kernaussagen vor.

Chan

PS.

_http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/155518.html

Dies ist auch das nächste Merkmal der Passionsspiele: die inhaltliche Vielfalt. Es wurde nicht die Passion Christi im engeren Sinne, also sein Leidensweg bis zum Kreuzestod auf Golgatha, thematisiert und szenisch dargestellt; sondern vielmehr die durch die Leiden und das Sterben Christi ermöglichte Erlösung der Menschheit.30Dazu gehört auch, dass die Sündhaftigkeit der Menschen und ihre Bedürftigkeit zur Erlösung veranschaulicht und vermittelt wurden, was Einfluss auf die Szenenwahl hatte.31Die Handlung verdichtet sich zwar um die Passion, greift aber in der gesamten Heilsgeschichte typologisch vor und zurück.32Somit wird der Rahmen der eigentlichen Passion gesprengt und ein heilsgeschichtliches Kontinuum gespannt, das von der Erschaffung der Welt und dem Sündenfall bis zu Christi Himmelfahrt reichen kann.33Die Szenenwahl und ihre Abfolge sind mannigfaltig und es ergibt sich an Hand der überlieferten Quellenlage kein einheitliches Bild.34
Dennoch gibt es in der Nähe von der eigentlichen Passion und der Kreuzigung gewisse Themen, die szenisch verarbeitet werden und in den meisten Passionsspielen enthalten sind : Jesu Wirken im öffentlichen Leben, Leben und Bekehrung der Maria Magdalena, Klage Mariens, Höllenfahrt Christi und die Auferstehung.35_

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Nachtrag: Antike Bildung im Christenkloster
In der Frage, ob die Autoren der frühmittelalterlichen Osterspiele Kenntnis von den antiken Mysterienspielen hatte, möchte ich mein Statement im unteren Artikel dahin korrigieren, dass sie diese vermutlich hatten. Siehe z.B.:

http://kulturschnitte.de/Kodikologie/scriptorium.htm

Die Klöster waren die wichtigsten Bildungsstätten vom frühen bis zum hohen Mittelalter in Europa. Das Mönchtum - und damit auch das Kloster - war Hüter und Vermittler des erhaltenen antiken Wissens. Große Klöster unterhielten eine Lateinschule, eine Bibliothek und ein Skriptorium. Kloster- und Domschulen waren die Hauptpfeiler des frühmittelalterlichen Bildungssystems; Laienschulen gab es noch nicht. In den Bibliotheken überlebten die großen Werke der antiken Autoren, in den Skriptorien wurden sie vervielfältigt und in den Schulen wurden sie unterrichtet.

Chan

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