Hallöchen,
heute morgen, folgende Meldung in den ZDF-Nachrichten:
„Der DGB schätzt, daß im vergangenen Jahr die Zahl der Überstunden um 500.000 auf 1,9 Mrd. gestiegen ist.“
Im Rahmen der Veröffentlichung dieser Zahl fordert man wie gehabt die Reduzierung der Überstunden zugunsten einer Schaffung von Arbeitsplätzen. Rein rechnerisch ergibt sich ein Potential von rund 1 Mio. Arbeitsplätze, wenn man alle Überstunden abbauen könnte.
Nun muß man sich natürlich fragen, wie eine solche Schätzung zustande kommt. In diesem Zusammenhang sollte man sich über die Ziele des DGB im Klaren sein. Die Gewerkschaften wollen ja eigentlich eine Reduzierung der Überstunden. Andererseits können sie ja keine Reduzierung melden, da ja sonst die Anstrengungen zur Reduzierung der Überstunden nachlassen würden bzw. die Forderung nach einer Reduzierung weniger dringlich wirken würde. Aufgrund der ideologischen Nähe zur SPD kann man wiederum annehmen, daß man den Kollegen nicht allzusehr an den Karren fahren will, insbesondere im Wahljahr (obwohl das Wahlvolk diese Meldung bis zur Wahl vergessen haben dürfte). Also nimmt man eine sehr geringe Steigerung. 500.000 Überstunden entsprechen einem Anstieg von rund 0,002 % oder ca. 8 Minuten je Arbeitnehmer pro Jahr (!) (bei rund 36 Mio. Erwerbstätigen; alle Angaben aus dem Statistischen Jahrbuch per Mai 2000). Respekt für jemanden, der so genau schätzen kann.
Und noch eins: Bei rund 780.000 Unternehmen entfallen auf jedes Unternehmen rund 2.400 Überstunden. Das entspricht je Unternehmen (nicht je Betrieb) rund 1,5 Mitarbeiter (bei 35 Stunden/Woche und 6 Wochen Urlaub/Jahr). Mit anderen Worten: Jedes Unternehmen müßte nur 1,5 Mitarbeiter einstellen, um seine Überstunden zu beseitigen. Das hört sich wenig und machbar an. Das Problem ist nur, nicht die ganzen 2.400 Überstunden auf eine Tätigkeit entfallen. D.h. die 1,5 Stellen verteilen sich auf das volle Spektrum der Tätigkeiten in diesem Unternehmen und außerdem nicht gleichmäßig auf das Jahr. Genau dieses ist letztlich der Grund für Überstunden.
Wir haben hier einerseits den Effekt einer sogenannten Scheingenauigkeit. Anstatt einfach zu sagen, daß die Anzahl der Überstunden im Vorjahr wahrscheinlich weiter, wenn auch nur leicht, gestiegen ist, greift man sich irgendeine Zahl und gaukelt damit der Öffentlichkeit eine Genauigkeit vor, die es so gar nicht geben kann. In Unternehmen, die Überstunden bezahlen, mag es Statistiken geben, die evtl. an die Gewerkschaften gemeldet werden, da glaube ich persönlich jedoch nicht dran. Bei uns werden Überstunden von außertariflich bezahlten Mitarbeitern (und das ist der Großteil) nur von jedem einzeln für sich erfaßt, eine Auszahlung oder ein Abfeiern findet nicht statt. Von meinen Überstunden weiß also keiner was.
Scheingenauigkeiten treten gerade in dieser Zeit häufig auf. So werden DM 20 Mio. flugs in € 10,23 Mio. umgerechnet und so die Anzahl der signifikanten Stellen von 1 auf 4 erhöht. Auch diese Vorgehensweise suggeriert eine viel größere Exaktheit, als sie der urprüngliche Verfasser gemeint hat. Bei DM 20 Mio. meinte er vermutlich „zwischen 18 und 22 Mio.“, was einer Unsicherheit von immerhin 22,22% entspricht (und ich habe es auch gerade getan). Mein schönstes Erlebnis war die Übersetzung in einem Roman. Dort stand dann in der deutschen Fassung: „Der Fluß ist 1.602 Meter breit.“ Im Original stand „1 Meile“.
Eine zweite Lehre aus der oben zitierten Pressemitteilung des DGB lautet: „Frage nicht, was jemand sagt, sondern warum er es sagt.“
Gruß
Christian