Ich wurde gerade von einem Redakteur angerufen, der an der Novemberausgabe einer Finanzfachzeitschrift („Finance“ bastelt (Redaktionsschluß morgen), Thema: Restrukturierungen.
Er wollte mir im Rahmen dieses Themas ein Umfrage durchfürhren, die dann in die Artikel und eine nachfolgend separat veröffentlichte Studie eingehen würde. Folgende Fragen kamen vor:
- Wann war die Restrukturierung?
- Welche Branche?
- Welche Größenordnung?
- Welche Ursachen? Hier gab es diverse Antworten zur Auswahl, aber keine, die so richtig auf den konkreten Fall paßten, an den ich bei meinen vorherigen Antworten dachte. Nun wollte er dann doch genaueres wissen, was ich zum Anlaß nahm, noch einmal genauer nachzufragen, was er denn genau mit meinen Antworten anfangen wolle. Er wolle daraus ein paar Graphiken basteln, die die Hauptursachen usw. von potentiellen Pleiten darstellen sollen und die Informationen in verbaler Form im Leitartikel verwenden. Rückfrage: Wieviele Personen werden befragt? Antwort: Geplant waren 10, werden aber voraussichtlich nicht erreicht.
An der Stelle habe ich ihm dann erklärt, daß ich nicht bereit bin, an einer „Studie“ teilzunehmen, die letztlich vollkommen nutzlos - weil nicht repräsentativ - ist, sondern sich auf die Meinung von ein paar Leuten stützt, die zwischen Tür und Angel am Arbeitsplatz von einer unbekannten Person befragt werden. Wenn er die Leser belügen bzw. ihnen einen falschen/übertriebenen Informationsgehalt vorgaukeln will, soll er das mal ohne mich machen. Er reagierte etwas unverständig, was mich nicht wundert, mir aber umso gleichgültiger ist.
Warum ich das hier schreibe? Ich will nicht unzulässig verallgemeinern, aber auf diese Art und Weise entsteht ein Großteil der Zeitungsartikel, die wir täglich lesen. Es wird nicht, nachlässig oder nur unzureichend recherchiert bzw. aus dem Gedächtnis geschrieben. Wenn die Informationen nicht ausreichen, wird dazugedichtet. Auf dünnster Informationsbasis entstehen Artikel, Studien usw., die eine Allgemeingültigkeit vorgaukeln, die so nicht vorhanden ist. Dies betrifft durchgängig jede Art von Publikation, ob Tages-, Wochen- oder Monatszeitschrift/zeitung.
Ich habe zu dem Thema schon einiges geschrieben, teilweise auch aus eigener Erfahrung in der Branche:
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv……
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv……
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv……
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Das Problem dabei ist: Die Nachrichten in Zeitungen und TV sind unsere hauptsächliche Informationsquelle. Auf dieser Basis diskutieren wir, wählen wir und treffen Entscheidungen. Ob es nun darum geht, heute nachmittag ins Freibad zu gehen oder ein Haus zu kaufen.
Nachdem, was ich in den vergangenen Jahre über meinen Arbeitgeber in der Zeitung gelesen habe, kann ich nur sagen, daß da nicht ein einziger Artikel ohne Fehler war. Daher kann ich mir vorstellen, wie hoch der Wahrheitsgehalt der restlichen Artikeln ist. Ich kann nur jedem empfehlen, bei der Zeitungslektüre mitzudenken und vor allem alles kritisch zu hinterfragen, wo in der Nähe die Wörter „Studie“, „Untersuchung“ oder (und ganz besonders) „Experten“ auftauchen.
Gruß
Christian