Hallo,
dass die Gewalt an Schulen zunimmt, erfahre ich jeden Tag. Ich arbeite mit Schulen zusammen an Programmen, die Kinder stärken sollen und ihnen helfen, mit Konflikten richtig umzugehen. Dass der Umgang miteinander ein anderer ist wie vor 5 Jahren, erlebe ich täglich. Ursachen gibt es dafür viele und ich denke, ich brauche sie uns nicht alle aufzuzählen. Aber es nimmt nicht nur die Gewaltbereitschaft zu, sondern auch die Hilflosigkeit. Ich spreche täglich mit Schulleitern, Lehrern und Eltern, die an ihren Schulen etwas bewegen wollen. Im Grunde genommen wollen alle dasselbe, aber so lange die Kommunikation zwischen allen so verquert ist, sehe ich da wenig Chancen. Selten komme ich an Schulen, an denen ich das Gefühl habe, dass man erkannt hat, dass man im selben Boot sitzt und in dieselbe Richtung rudert. Und so traurig es klingt, es sind nicht die Schulleiter oder Lehrer, die sich quer stellen, es sind oftmals die Eltern. In vielen Gesprächen decke ich Abgründe auf, die von großer Hilflosigkeit sprechen, was Erziehung angeht. Inkonsequenz, das Erziehen zur Unselbstständigkeit, keine Zeit haben, den geringen Wert, den man der Schule beimisst und den man den Kindern vermittelt usw. sind an der Tagesordnung. Von Eltern, deren Kinder zudem an LRS, ADS usw. leiden, wird so viel Kraft gefordert, dass ich verstehe, warum sie manchmal aufgeben und verzagen und Kinder aus ihrer Sicht zu Problemkindern werden. Es ist wunderbar, eine tolle Familie zu haben, den richtigen weg gefunden zu haben. Aber manche Familien haben das leider nicht. Und hieraus erwachsen Probleme.
In unserer Gesellschaft gibt es einfach immense Probleme, die an unseren Kindern nicht spurlos vorüberziehen. Die Ich-Bezogenheit, Freizeitstress, Anforderungen von Schule und Beruf, Geldnöte, Arbeitslosigkeit, Alleinerziehung usw. ein Kreislauf, in dem wir alle schwimmen und selbstverständlich auch unsere Kinder. Wir Erwachsenen können ja selbst nicht richtig unsere Konflikte lösen. Man schaue sich nur die vielen zerstrittenen Familien an, die Mobbingzahlen, die Delikte usw. Wie erwarten von unseren Kindern etwas, worin wir ihnen kein Vorbild sind.
Ich finde es zum Beispiel fatal wie du über Lehrer und Schulleitung sprichst. Sicher sind nicht alle in den Himmel zu heben, aber ich glaube genügende zu kennen, um zu sagen, dass die Mehrheit das gleiche Ziel verfolgt wie du. Glaubst du nicht, dass dieser Umgang und der Ton, den du dabei pflegst, nicht ihren Teil dazu beitragen, deinem Kind zu vermitteln, dass du nicht viel von der Schule hältst? Halte dein Kind nicht für urteilsfähig genug, um zu unterscheiden, was du genau an der Schule bemängelst. Denn wir Erwachsenen tun das ja auch nicht. Ein Lehrer reicht, um alle in einen Topf zu werfen. Das Verhalten eines Schulleiters reicht, um zu wissen, dass alle Schulleiter so sind. Und genau das ist es, wie und warum wir vermitteln, dass Schule ohnehin keinen Wert hat. Im Kleinen beginnt es. Und warum sollte ich mich angemessen an einem Ort verhalten, der doch eh nichts taugt und vom dem ich eh nichts halte. Schließlich halten meine Eltern ja auch nicht viel davon. Verstehst du den Kreislauf? Weißt du, wie es bei der Familie des aggressiven Kindes zugeht?
Hinzu kommen die vielen Probleme, mit denen Kindern konfrontiert werden. An einem Ort, wo sie den halben Tag verbringen, werden Konflikte nun einmal zur Sprache kommen. Das Problem ist dabei nur, dass viele die Sprache des Konfliktes nicht gelernt haben. (Schlimm bei Kindern, deren Eltern prügeln oder deren Eltern schlicht nur inkonsequent sind) Und nun sind sie zudem an einem Ort, von dem sie nicht viel halten.
Hältst du von jemand nicht viel, wird es dir schwer fallen, den nötigen Respekt zu wahren. Hältst du viel von jemand, wirst du auch den Respekt wahren können.
Eltern, Lehrer, Schule, Kinder - wir alle müssen daran arbeiten, dass Schule wieder etwas bedeutet. Denn schließlich ist es ein Ort, an dem unsere Kinder viel Zeit verbringen.
Bedeutet mir als Schüler meine Schule etwas, verhalte ich mich anders. Bedeutet mir als Lehrer meine Schule etwas, dann bedeuten mir auch meine Schüler etwas. Bedeutet mir als Schulleiter meine Schule etwas, bedeutet mir das Klima an meiner Schule auch etwas. Bedeutet mir als Vater oder Mutter die Schule etwas, kann ich meinem Kind auch einen Wert vermitteln und ich werde die Schule neu verstehen und mich gegenüber ihr anders verhalten. Das, was Lehrer sagen, bekommt einen neuen Wert, Schulaufgaben, Bildung - das alles bekommt einen neuen Wert. Es beginnt in den Anfängen.
Wir setzen an den Symptomen an. Das kann nicht viel bringen.
Programme, die in der Schule versuchen, Konfliktumgang aufzuzeigen, verpuffen, denn im Alltag ist niemand da, der die Kinder indem unterstützt, was sie gelernt haben. Die Eltern fragen nicht nach, was sie in den Stunden gelernt haben - signalisieren kaum Interesse - und versucht das Kind, das Gelernte zu Hause umzusetzen, wird es von den Geschwistern ausgelacht und die Eltern schmunzeln. Aber warum wird da über Aktives Zuhören gelacht? Warum wird ein Kind von seinen Geschwistern belächelt, wenn es versucht, den Streit um etwas, sachlich zu lösen? (Ich weiß den Grund)
In der Schule haben die Lehrer keine Zeit intensiv Konflikte zu lösen, Vermittler zu spielen. Wer sollte es ihnen verübeln? Ist es wirklich ihre Aufgaben, da zu erziehen, wo das Elternhaus schlicht versagt hat oder überfordert ist? Eine Lehrerin erzählte mir, dass sie nach dem Programm versucht habe, sich Zeit zu nehmen für Konflikte. Letztendlich habe es toll funktioniert, aber den Unterrichtsstoff hätte sie kicken können und zudem in Kauf nehmen müssen, dass der Rest der Klasse unbeaufsichtigt gewesen wäre. Aber wie sonst hätte sie den Konfliktfall lösen sollen, wenn nicht sofort, um den Schülern zu zeigen, dass sie sie ernst nimmt und mithelfen will, das Klassenklima zu verbessern. Zudem hat sie einen Klassenrat eingeführt, der sie wöchentlich aber eine Stunde ihrer Unterrichtszeit kostet. Sie erzählte mir, dass die Schüler so viele Anliegen hätten, dass sie drei Stunden opfern könnte. Und sie sei sehr überrascht, wie diszipliniert die Kinder im Klassenrat miteinander umgehen würden und welch tolle Erfolge erzielt werden würden - auch mit schwierigen Schülern. Alles prima. Aber zum einen: wo soll die Schule die Zeit hernehmen? Und zum anderen: wie kann dies nachhaltig unterstützt werden, wenn im Elternhaus alles so weitergeht wie bisher? Und warum haben Kinder überhaupt so viele Anliegen? Hat man keine Zeit zu Hause für sie?
Sorry, aber wenn eine Zusammenarbeit gefordert wird, dann muss die im Kopf beginnen und sich auf alle Bereiche erstrecken lernen. Ziehe ich als Vater oder Mutter über die Schule her, brauche ich mich nicht wundern, dass dies der Ort ist, an dem alles zusammenkommt. Gerade an einem Ort, wo auch die Kinder spüren, dass die Aufsichtspflichtigen überfordert sind, es eigentlich um andere Dinge gehen müsste etc. merken sie, dass keine Zeit für sie da ist.
Zeit haben - eines der Zauberwörter. Verständnis, nicht nur in der eigenen Welt leben - eines der Zauberwörter. Zusammenarbeit - eines der Zauberwörter.
Nur wenige Eltern und Schulen haben das verstanden. Aber die, welche es verstanden haben, berichten mir noch heute davon, wie unser Programm zum Anstoß einer Veränderung wurde. Das freut mich natürlich und zeigt mir, dass es nicht Utopie sein muss.
Aber am Anfang steht immer: sich erst einmal selbst an die Nase fassen, die Ursachen begreifen und zusammenkommen. Miteinander hat schon immer besser funktioniert als gegeneinander.
Grüße von Kim