Hallo Herbert,
ich werde wohl nbicht auf alles eine Antwort formulieren können, möchte aber doch mal meine Meinung kund tun:
Aber was passiert denn, wenn der Vertrag nicht zustande kommt?
Wenn die Iren nein sagen?
Es wird in weiteren Runden abgestimmt, bis das „gewünschte“ Resultat vorliegt oder die Sache wird irgendwie juristisch geregelt. Die Iren müssen sich nur mal ein Beispiel nehmen am deutschen Umgang mit der Verfassung (und das ist NICHT ironisch gemeint).
Ein Europa der verschiedenen
Geschwindigkeiten? Ein Europa wo die einen politische Nähe
suchen und die anderen ‚nur’ eine reine
Wirtschaftsgemeinschaft? Müssen wir alle Gewinner sein, oder
darf es auch Verlierer geben?
Aber, wenn es Gegner des Vertrages gibt, worin liegen die
Gründe? Vielleicht nicht am Vertrag.
Kaum jemand wird diesen Wälzer von Vertrag gelesen haben. Insofern liegt es wohl nicht primär daran. Aber einige Sachen sind doch bereits durchgesickert, zusammengefasst von fleißigen Wissenschaftlern. Eine andere Frage ist tatsächlich, ob das dann jemanden interessiert.
Vielleicht hat man die
Bürger vergessen. Die hat man nicht mitgenommen. Vielleicht
wollen die ja sogar mehr Europa? Ein ‚menschliches’ Europa, in
dem man nicht nur die Bürokratie spürt?
Aber gerade das wird mit dem Vertrag nicht geschaffen.
Zweifellos hat die
große Gemeinschaft Vorteile für Arbeitsplätze, zumindest oder
vor allem in Irland und auch Österreich, aber sehen das die
Bürger? Geht es ihnen besser? Und hier liegt vielleicht das
Problem. Die Bürger fühlen sich alleingelassen, mit den hohen
Lebensmittel- und Treibstoffpreisen. Aber kann da die EU
wirklich was machen? Hätte sie mehr tun können?
Auf jeden Fall fehlt die Diskussion. Nicht unter den Experten,
sondern unter den Politdilettanten wie mir (und vielen von uns
die sich für Experten halten) Vielleicht gelingt es ja hier?
Für ein bürgernahes Europa
Euer Herbie
Eine EU-Reform ist an sich durchaus nötig, nur leider wird versäumt, mal Tacheles zu reden und zu sagen, warum das eigentlich so ist. Vordringlichstes Problem ist, dass in der erweiterten Union die Entscheidungsfindung zunehmend schwieriger wird, aufgrund der vielen beteiligten Staaten. Baldwin/Widgren haben das Problem in der Studie „Council voting in the Constitutional Treaty: Devil in the details“ beschrieben: sie haben die Wahrscheinlichkeit berechnet, mit der ein beliebiger Punkt bei einer Ministerrats-Entscheidung angenommen wird (=Entscheidungseffizienz). In einer EU6 der Gründungsstaaten lag die Entscheidungseffizienz bei 21,9%, EU9 bereits bei 14,7%, EU15 bei nur noch 7,8%.
Ab hier begann man sich Gedanken um eine Reform der Stimmenverteilung zu machen, um der absehbaren Blockade zu begegnen. Es gibt drei konkurrierende Entwürfe betreffend diesen Punkt: die „alte Ordnung“, der die oben genannten Zahlen entsprechen, dann die „Nizza-Regeln“ und schließlich die Bestimmungen des Vertrags, um den es aktuell geht.
In einer EU27 liegt die Entscheidungseffizienz nach alter Regelung bei 2,8%, nach Nizza bei 3,6%, nach dem Vertrag bei: 10,1%.
Das ist der Kern des Reformprogrammes.
Damit geht allerdings eine andere äußerst wichtige Frage einher, nämlich danach, wie die Machtverteilung zwischen kleinen und großen Staaten aussieht. Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten, wenn es um die kleinen und mittleren Staaten geht. Alle Staaten bis auf BRD, F, GB und I stehen im Ministerrat nach den Vertragsregeln SCHLECHTER da.
Allerdings stößt man dann sehr bald auf die „Kerneuropa“-Debatte. Ich will kurz diesen Gedanken erläutern, so wie ich ihn verstehe:
BRD und Frankreich werden das größte Gewicht in der EU nach Vertragsregeln haben. Offensichtlich ist geplant, Europa wirtschaftlich derart zu gestalten, dass ein Zentrum in F und BRD entsteht, in dem Hochtechnologie Platz findet, während in einem ersten Ring drumherum (der selbstverständlich leicht nach Westen ausgebeult sein wird) die nächst niedrigere Stufe der Industrie angesiedelt wird, was niedrigere Löhne, Sozialstandards und dergleichen bedeutet. Daran schließt sich ein nächster Ring an, in dem Massenwarenproduktion und arbeitsintensive Industrien bei Niedriglohnpolitik angesiedelt sein sollen.
Soviel zu Kerneuropa und der Entscheidungseffizienz des Ministerrats.
Eine weitere bedeutende Frage ist die vertraglich vorgeschriebene Militarisierung der EU (zumindest diesen Teil des Vertrags sollte jeder Mal gelesen haben).
Naja, und schlussendlich liegt dem Vertrag ein neoliberales Wirtschaftsmodell zugrunde. Da wird zwar mit Sachzwängen und Globalisierung argumentiert, aber ich denke, viele Menschen wünschen sich doch einen alternativen Entwurf, der nicht so ultimativ kapitalistisch und undemokratisch wäre.
Well, mehr fällt mir jetzt dazu nicht ein, ich will auch nicht großartig abschweifen, aber das sind, denke ich die Knackpunkte. Was meint ihr?
LG
Gambit