Das im Titel genannte Thema ist derzeit ja sehr präsent, wird aber, wo ich ihm begegne, überall nur sehr polemisch und sehr abstrakt (à la „Nein heißt nein“, „sexuelle Selbstbestimmung als Richtschnur“, „relevant sein sollte, ob die sexuelle Handlung einvernehmlich war oder nicht. Jede nicht einverständliche sexuelle Handlung muss unter Strafe gestellt werden“, „die körperliche Gegenwehr des Betroffenen soll nicht relevant sein“) diskutiert, so dass ich -trotz einiger Internetlektüre- nicht recht weiß, worum es denn nun konkret geht.
Was sind denn diese konkreten Lücken im deutschen Sexualstrafrecht, die es zu schließen gäbe, weil sie bisher gar nicht als Straftat verstanden worden sind?
der schnelle Griff zwischen die Beine oder an die Brust (überraschenden Begehung der Tat) ist keine Vergewaltigung im Sinne des § 177 StGB, da weder Drohung noch Gewaltanwendung vorausging. Den Punkt Schutzlosigkeit laße ich außen vor. Er beträfe bspw. Personen im Koma, Schlaf, unter Betäubung (ggf. auch Alk/Drogen). Ein alleiniges „Nein“ ist keine ausreichende Gegenwehr. Bestraft werden kann immer noch mit anderen §§, bspw. https://dejure.org/gesetze/StGB/185.html (Beleidigung)
Ab „Ein Notfall“. Der vorhergehende Teil ist nur Gepöbel über einen FAZler, mit dem der (gern selbstherrlich-polternde) Richter derzeit im Clinch liegt.
Das olympische Motto der meisten Anläufe zu einer (populistischen) StGB-Reform: stets höher, länger, schärfer
Danke für den Link, Wolfgang, aber der Artikel erhellt für mich eigentlich nichts, weil er außerhalb der Fallbeispiele auch sehr abstrakt bleibt.
Den Fall „Anja“ würde ich dem Grundsatz nach eigentlich ganz klar durch den Tatbestand der Vergewaltigung gedeckt sehen (wie die erste Instanz auch). Warum die höhere Instanz dann das Urteil aufgehoben hat, obwohl §177 (1) 2. oder 3. dieses „Nein“ gar nicht verlangt, sagt uns der Text nicht.
Aber auch mit dem „Nein“ wäre es nicht anders geworden. Der Ehemann hätte sie dann vor dem Hintergrund dieses allgemeinen Gewaltklimas in der Ehe genauso zu einem „Ja“ gebracht wie zum stillschweigenden Übersichergehenlassen der Penetration. Ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht wäre so oder so missachtet worden.
Welche Lücke kann da dann konkret geschlossen werden, damit Opfer besser geschützt sind? Dass Gerichte Aussagen des Opfers nicht folgen oder anders bewerten, wird nicht per Gesetz ausgemerzt werden können, aber wie das Urteil der ersten Instanz zeigt, ist in solchen Fällen eine Verurteilung ja auf jeden Fall möglich.
Auf „Assange“ gehe ich nicht ein, weils um schwedisches Recht geht.
Danke.
Ich habe das Gutachten von Prof. Hörnle mit Interesse gelesen, aber als Laie nur die Hälfte verstanden.
Das bleibt aber natürlich auch noch sehr im Abstrakten, überzeugt mich aber, dass ein gewisser Reformbedarf in der Systematik des Sexualstrafrechts. Z.B. das, was sie zur Streichung des §179 ausführt klingt nachvollziehbar. Eventuell auch die grundlegende Umstellung von Sich-wehren und Wehrfähigkeit auf den geäußerten oder mutmaßlichen Willen, wenn ich das richtig verstehe.
Ist dieses „Grapschen“ also tatsächlich ganz konkret der hauptsächliche neu einzuführende Straftatbestand?
Was der Richter hier schreibt entspricht ziemlich genau meinem Eindruck von der aktuellen Debatte. Das bringt mit zwar keinen Erkenntnisgewinn, aber ich fühl mich nicht mehr so allein mit meiner Sichtweise
eigentlich nicht. Auch das war bereits über Beleidigung strafbar, aber eben nicht über Ver-gewalt-igung oder sexuelle Nötigung. Aber dafür gibt es maximal „nur“ zwei Jahre. Und frau/mann kann nicht auch (Opfer mit 20) im Alter von 44 noch Strafanzeige stellen. Und vielleicht käme ein Täter ja auch mit Geldstrafe davon.
Merci für die unterhaltsamen 4 Minuten.
Ich darf also derzeit noch sexuelle Gewalt ausüben, wenn ich die Haustüre nicht abschließe oder zumindest den Schlüssel nicht allzu weit weghänge.
Außerdem darf ich meinen Penis in den Mund eines Mitmenschen gegen dessen Willen einführen, wenn ich nur kreativ genug auf ihr/ihm hocke? So ungefähr habe ich das verstanden.
Ok, aber das wäre ja dann dennoch ganz konkret die „große Neuerung“, auch wenns nur eine Art ‚Verschärfung‘ ist?
(denn das mit dem „Nein = Nein“ wird vermutlich nie irgendwo konkret umgesetzt werden können, auch wenn sich die Kampagne daran so stark aufhängt).
wenn Du derartiges planst, rate ich Dir, Dir im voraus schon den geeigneten Richter (besser keine Richterin) zu suchen. Nicht dass nachher einer andere Vorstellungen von „Gewalt“ ( §177 (1) 1.) und „schutzlos ausgeliefert“ ( §177 (1) 3.) hat.
Aber da die „Anstalt“ normalerweise sehr genau recherchiert, wird es die entsprechenden Urteile gegeben haben, ja.
Gut, dass du mich nochmal rechtzeitig gewarnt hast
Mein Eindruck (des Anstalt-Beitrags, von Wolfgangs Zeit-Artikel und auch der ganzen öffentlichen Debatte generell) ist der, dass da -wenns überhaupt mal konkret wird- über „Lücken im Recht“ debattiert wird, wo es eigentlich um Fragwürdigkeiten in der Rechts sprechung geht. Ich verstehe deine „Warnung“ als Bestätigung dieser Einschätzung (zumindest was die beiden Anstalt-Fallbeispiele betrifft).
naja - das konkrete Problem findet sicher in der Rechtsprechung statt. Das ist ja auch das Hauptargument gegen eine Änderung: Ein „nein“ lässt sich nicht nachweisen, d.h. die Rechtsprechung würde sehr schwierig.
Ich finde es aber schon verwunderlich, dass sexuelle Handlungen gegen den Willen der anderen Person nicht generell mit Strafe bewehrt sind, sondern nur, wenn bestimmte Bedingungen gelten. Und die auch noch ziemlich eng gefasst: „durch Drohung mit gegenwärtiger (!) Gefahr für Leib oder Leben“. Überspitzt gesagt: MIt der Drohung „Wenn Du jetzt nicht mitmachst, bring ich Dich morgen um“ wäre die Vergewaltigung nicht strafbar, weil das Opfer in der Zwischenzeit ja fliehen kann.
Was genau „Gefahr für Leib und Leben“ umfasst weiß ich nicht. Eine Drohung wie „sonst lasse ich Dein Haustier verschwinden“ dürfte z.B. nicht dazugehören.
Und warum die ganzen Auslegungen um „was ist eine schutzlose Lage?“ herausfordern? Wenn eine Frau Sex duldet, weil sie Angst um die Kinder im Nebenzimmer hat - muss da erst jemand herumargumentieren, ob sie nun schutzlos war oder nicht?
Wenn jemand aus Überrumpelung, aus Angst, aus persönlicher Unfähigkeit, für sich einzustehen, zwar deutlich nein sagt, aber die Bedingungen aus §177 StGB nicht erfüllt sind, dann ist Sex wider Willen derzeit nicht strafbar.
Diebstahl ist immer strafbar, egal wie die Drohung lautet und wie sehr ich mich wehre. In diesem Fall ist die Abgrenzung zum Geschenk der Rechtsprechung überlassen. Das halte ich für richtiger.
Auch da wird es Fälle geben, in denen nur zwei Leute anwesend sind und nachher nicht nachweisbar ist, ob etwas freiwillig geschenkt oder gegen den Willen weggenommen wurde.
Ich fände es sehr viel richtiger, dass sexuelle Handlungen gegen den Willen eines/einer Beteiligten grundsätzlich strafbar sind. Die Probleme der Rechtsprechung können dann in der Rechtsprechung bleiben. Man muss sie nicht von vornherein in der Gesetzgebung abbilden.
Vorab gesagt stimmt das ja so nicht ganz. Ich verweise auf den 179 StGB und andere.
Außerdem auf den Fall „Anja“ in Wolfgangs Artikel, in dem in erster Instanz sehr wohl eine Verurteilung auf der Basis der bestehenden Gesetzesordnung erfolgen konnte.
Generell sehe ich es ganz genauso, dass nicht einzusehen ist, wieso ein unmissverständliches Nein nicht genügen sollte. Vielleicht sollte man da tatsächlich einige Passagen reformieren, um diesen Gedanken wenigstens als Grundsatz zu stärken.
De facto sehe ich aber schlicht sehr wenig Unterschied darin, ob nun in diesen Fällen, in denen kein Zeuge dabei ist und so Aussage gegen Aussage steht, vor Gericht um das Nein „herumargumentiert“ werden muss oder um die Schutzlosigkeit. Das läuft absolut auf das Gleiche hinaus, denn wo kein klares Nein erfolgen konnte, gehts letztlich doch auch wieder sofort um die Umstände, weshalb sich das Opfer das Nein nicht trauen konnte.
Ich interpretiere das als deinen Wunsch nach einer eindeutigeren Gesetzeslage und schließe mich an.
Ich frage mich halt, wie das aussehen könnte. Das was derzeit als Reform diskutiert/gefordert wird, zielt m.E. eher auf noch viel mehr Uneindeutigkeiten auf der Ebene der Gesetzgebung.
Das LG Essen hatte konkrete Umstände der fraglichen Taten, die dem Opfer die Gelegenheit zur Abwehr der Tat hätten geben können, gar nicht ausreichend untersucht.
Daher kommt der BGH (Rdnr. 13) zur Schlußfolgerung: Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Es wurde also lediglich an das LG zurückverwiesen, damit die dort ihre Arbeit richtig machen.
Hier ist aber die ausführliche Begründung wichtig.
Zwar ist ein „Klima der Angst“ durchaus ein mitentscheidendes Kriterium für die Frage der Tatvoraussetzung. Es kann aber nicht in jedem Fall ein werdendes Opfer davon befreien, sich der konkreten Tatbegehung zu entziehen, falls die Möglichkeit (objektiv) besteht.
denen ging es eher um die Beleuchtung der Debatte zur Strafrechtsreform. Die Entschiedung des BGH hatte seinerzeit eine erhebliche (moralisierende) Empörungswelle ausgelöst. Das ist ja auch bei falscher, da oberflächlicher und verkürzender Darstellung nachvollziehbar.
IMHO wider besseren Willens wurde er von Frauenrechtsverbänden zur Unterstützung ihrer Sichtwise in die Munitionskiste aufgenommen. Aus pol. Gründen von den Grünen übernommen (Renate Künast war Vorsitzende des Ausschusses) und wird seitdem ständig angeführt,
Real betrachtet verlangte der BGH aber weder mehr noch weniger, dass das LG seinen Arbeitskatalog abarbeitet, weil nur so eine Wahrheitsfindung gewährleistet sein kann.
Würde das nicht passieren, dann käme es auch zukünftig in einem solchem - hypothetischen - Fall zur Verurteilung: Paar auf Gartenparty. Sie ziehen sich ins Gebäude zurück. Er will Verkehr. Sie sagt „Nein“. Er sagt „ich will aber, jetzt hab Dich nicht so, ich hol mal ein Kondom“, geht aus dem Haus an sein Auto und holt ein Kondom aus dem Handschuhfach, kommt zurück zu ihr. Sie (weil ihr Freund ziemlich hacke ist, ihr auch körperlich überlegen und sich mit ihr auch schon (gegenseitig!) prügelte) hat subjektiv Angst, was er aber nicht weiß. Er dringt in sie ein. Zehn Jahre später (direkt nach der Trennnung) erstattet sie Anzeige wg. Vergewaltigung.
Sie hätte die Zeit, in der er das Kondom holte, nutzen können, um das Gebäude zu verlassen. Die Schlafzimmerfenster waren weit offen, ein Hilferuf wäre von den anderen Gästen jederzeit bemerkt worden, weil keine laute Musik spielte.
Nun sollen drei Richtende (Strafkammer LG) sich allein auf die Aussage der Frau verlassen? Und es soll keinen Einfluß spielen, dass sie die Tat durch eigenes Handeln hätte verhindern können?
Du kannst Dir sicher selbst ausmalen, wieviele Anzeigen es im Rahmen von nicht einvernehmlichen Trennungen gäbe, wenn so simpel sich alles nur auf ein verbales „Nein“ fixiert und zu einer Verurteilung führt, ohne dass sonstige Umstände berücksichtigt werden, ja nicht einmal hinterfragt werden sollen. Zumal es für das „Nein“ i.d.R. auch gar keinen Beweis gibt.
Viel interessanter wäre gewesen, was die Nachverhandlung vor dem LG Essen am Ende erbrachte. Da habe ich aber nicht mehr recherchiert, weil es um das Grundproblem selbst ging.