Servus Fred,
kein Experte in rebus theologicis, aber ein in illis engagierter Dilletant, geb ich Dir einmal ein paar Krümelchen dazu:
Die Neuapostolische Kirche ist nach der einzigen nachprüfbaren Definition (nämlich nach der Zahl der Mitglieder) keine „Sekte“: Heute die viertgrößte christliche Kirche der Welt, wenn man alle orthodoxen Kirchen zusammenfasst. Wenn man diese als Einzelkirchen auffasst, die drittgrößte.
Ich habe einmal kurz einen Bäckermeister kennen gelernt, der qua Geburt (also nicht als „Bekehrter“) Mitglied der Neuapostolischen Kirche ist. Ein fleißiger, engagierter, ehrlicher und nicht sehr dummer Mensch, mehr oder weniger begeisterter Moppedfahrer, lieber Freund seiner Partnerin, deren Leben manchmal eher einem Balanceakt auf der Rasierklinge ähnelt. Nuja, niemand, der jetzt eine besonders charismatische Ausstrahlung hätte, ein Mensch halt. Sicher keiner der wertlosesten.
Der allerdings in religiösen Dingen ein wenig darunter leidet, dass die Leute in seiner Gemeinde ein ziemlich starkes Gemeinschaftsgefühl entwickeln. Wie das in ziemlich vielen Diasporagemeinden halt so ist, in der CH wirst Dus kennen von Katholiken in calvinistischem Gebiet, Reformierten in katholischem Gebiet etc.
„Was wollen die Mitglieder der Neuapostolischen Kirche“? Sie wollen, wie alle Christen, gerne der Erlösung von der Erbsünde teilhaftig werden, die ihnen durch den Kreuzestod ihres Erlösers gegeben ist. Eine Besonderheit ist, daß sie die baldige Wiederkunft ihres Erlösers beschleunigen wollen, indem sie die Apostelämter neu begründet haben, weil sie glauben, daß dieses eine Voraussetzung dafür ist, dass das endlich losgeht mit dem Jüngsten Tag.
In der Zwischenzeit versuchen sie gottgefällig zu leben - auch das etwas, was man bei Christen häufig findet -, was sich bei der Neuapostolischen Kirche durch ein vorbildliches Sozialwesen und ausgeprägtes Bewusstsein vom Wert gegenseitiger Hilfe (eine Moppedfahrerkirche, sozusagen) äußert. Andererseits auch durch gewisse Tendenzen zum Glucken im Kreis der eigenen Gemeinde, so wie das auch charismatisch orientierte Katholiken, Baptisten, Calvinisten etc. tun.
Die Neuapostolische Kirche hat ziemlich ökumenische Züge: Einerseits kennt sie das Priesteramt und eine ziemlich straffe Hierarchie, so wie die Catholica. Andererseits ruht sie auf der Schrift in Gestalt der Lutherbibel. Diese allerdings ergänzt durch wenigstens einige apokryphen Bücher. Die Liturgie ist derjenigen der anglikanischen Kirche ziemlich ähnlich.
Es gibt ein neuapostolisches Sakrament, das sonst nicht so populär ist: Die „Heilige Versiegelung“, das ist sowas wie die Taufe mit dem Heiligen Geist. Die Wassertaufe der Neuapostolischen Kirche wird von der Catholica und den Evangelischen Kirchen anerkannt (und umgekehrt), alldieweil sie im Namen der Hl. Dreieinigkeit stattfindet.
Ferner spielt bei der Neuapostolischen Kirche das ziemlich stark ritualisierte „Entschlafenenwesen“ eine bedeutende Rolle, die mehr Raum einnimmt als die einfache Fürbitte für die Seelen der Verstorbenen in anderen christlichen Kirchen. Man kann sich das vielleicht so ähnlich vorstellen wie bei der katholischen Kirche des Mittelalters, die ja auch ausgesprochene Gruftie-Züge hatte.
Der Missionsauftrag Christi wird bei der Neuapostolischen Kirche ziemlich ernst genommen. Das mag sie im Vergleich zu den mehr oder weniger Staats- und Karteikirchen gewordenen christlichen Kirchen in den Ruch der Sekte bringen. Wie halt jeder angefeindet wird, der die diversen Empfehlungen, Aufträge und Anweisungen Christi ernst nimmt - aber das sollte ihn nicht überraschen, es ist ihm so angekündigt worden: Er hat die Katze nicht im Sack gekauft.
Schöne Grüße
MM