Neue Medien - goldenes Kalb ?

Moin Leute,

aus meiner Arbeit heraus kenne ich Jugendliche, die mir in Minuten ein bestehendes Computersystem zum Absturz bringen.
Am selben System aber ein Referat z.B. über Dürrenmatt zu erstellen, dazu sind sie nicht in der Lage. Wenn ich zusehe wie die Autokorrektur von Winword ein ums andere Mal ein Wort rot unterstreicht tränen mir die Augen ob der Unfähigkeit vernünftiges Deutsch in einen tumben Computer zu tippen.

O-Ton eines Jugendlichen : Ich lese nicht, ist mir zu mühsam !!!

Habe ich den Zug verpaßt ? Bin ich ein Fossil ?

Selber habe ich mit Computern angefangen beim 386, bin Baujahr 1965 und kann die Bücher nicht zählen welche ich gelesen habe und für welche ich kein Zeit hatte.

Bekommt ihr nicht auch eine „Gänsehaut“ , wenn eure Kinder zwar wissen wie man einen DOS (denial of service) startet, aber nicht in der Lage sind eine Interpretation in Deutsch, einen Aufsatz in Physik etc. zu verfassen ???

Lesen , schreiben , rechnen, sind unglaublich wichtige Kulturerungenschaften.

Meines Erachtens kommen diese Lehrinhalte eh´ schon zu kurz im heutigen Unterricht. Es wird bestimmt nicht dadurch besser Computer anstatt von Lehrern einzusetzen !

Meine Frage also: Wäre es nicht besser uns auf die Fähigkeiten unserer Lehrer zu besinnen und „neue Medien“ vielleicht als gesondertes Fach einzuführen ? Oder: „Neue Medien“ gut und schön, aber nur der "gebildete Mensch ist in der Lage sie einzuschätzen und zu nutzen ???

Setzen wir die Zukunft unserer Kinder leichtfertig aufs Spiel, weil wir einem Hype hinterher laufen ?

Gruß, Lutz

also, zum einen muss ich dir recht geben, dass den medien im moment eine zu große bedeutung zugeschrieben wird, dass den kindern und jugendlichen die notwendigkeit und unabkömmlichkeit der neuen medien schon viel zu früh suggeriert wird. ich habe an schulen gesehen, dass computer, die im fremdsprachenunterricht eingesetzt wurden, ziemlich schnell von den schülern manipuliert werden konnten, so dass sie unbemerkt vom lehrer doch surfen, ihre mails abrufen oder chatten konnten. der eigentliche sinn, den schülern fremdsprachen durchs neue medium näher zu bringen, war meiner meinung nach in diesen speziellen fällen von vorneherein zum scheitern verurteilt.
was das andere angeht, dass jugendliche zwar cracks im it-bereich, nulpen in lesen, schreiben, rechnen seien, denke ich, dass diese einstellung zu pessimistisch ist. das hoffe ich zumindest. ich selber bin eine ziemliche leseratte, hatte aber zwischen 13 und 17 auch lesefaule jahre, war schließlich uncool. den jugendlichen heute geht es sicher nicht anders!
in diesem sinne
dommas

ps.: die fähigkeiten der lehrer…ich sitze gerade an der uni und muss die ausbildung zum lehrer durchstehen. nur so als nebenbemerkung: an den unis wird niemand zu fähigen lehrern ausgebildet!!!

Hallo Lutz,

meine Tochter geht noch in die Grundschule. Da ich mich nebenbei sehr für unsere Schule engagiere, weiss ich, dass (zumindest hier in Bayern) auf Rechtschreibung großen Wert gelegt wird.
Ich zitiere kurz aus dem offiziellen Lehrplan für die 3. Jahrgangsstufe:
„Zusammen mit der kontinuierlichen Erweiterung ihres Wortschatzes werden den Schülern neben der lautgetreuen Schreibweise orthographische Schreibweisen immer geläufiger…Wörter mit orthographischen Merkstellen sollen die Schüler in ihren Besonderheiten erkennen, sich einprägen und durch häufiges Schreiben in eigenen Sätzen und Texten sichern…“
Nun bin ich über Dein Posting schon erstaunt, denn wird die Rechtschreibung ab einer bestimmten Jahrgangsstufe nicht mehr bewertet, und lässt dann die Fähigkeit der Schüler Wörter richtig zu schreiben so dramatisch nach?
Ich kann mich an meine Schulzeit erinnern. Egal, ob man gerne las oder nicht, viel schrieb oder nicht, man konnte sich beim schönsten Aufsatz mit zu vielen Rechtschreibfehlern ziemlich schlechte Noten einhandeln. Das war, glaube ich ab der 5.Klasse.
Ist das heute anders? Wird es den Schülern ab einem bestimmten Alter selbst überlassen, sich um ihre orthografischen Kenntnisse zu kümmern? Wenn dem so ist, dann kann ich schon verstehen, das die Jugendlichen lieber das Kalb Computer anbeten, statt sich um Texterstellung zu kümmern. Das ist weniger mühsam, macht mehr Spass und ist anerkannter, als Briefe zu schreiben oder Bücher zu lesen.
Übrigens finde ich es hier in unseren Gymnasien bedauerlich, dass es Lehrer gibt, die von ihren Schülern den Besitz von Computern Zuhause erwarten. Es grenzt Schüler ohne PC aus, und wer einen PC hat, sitzt vermutlich in seiner Freizeit lange genug dran, dass nicht auch noch der Aufsatz mittels Tastatur und Flimmerbildschirm geschrieben werden muss.

Nichtsdestoweniger, da stimme ich Dir absolut zu. Rechtschreibung ist das mindeste, was man irgendwann einmal einigermaßen beherrschen sollte. Es ist nur die Frage, wer das von Schülern in ihrer Schulzeit gezielt abverlangen sollte: das Elternhaus oder die Schule.

viele Grüße
Claudia

Moin Claudia,

ich wollte die Fragestellung nicht auf die Rechtschreibung reduzieren. Vielleicht ist das falsch rübergekommen.

Bedenken habe ich vielmehr dabei, zu erleben wie Stellenabbau bei Lehrern, Reduzierung von zu erteilenden Stunden etc. auf der einen Seite und der Einsatz von Computern auf der anderen Seite (eventuell mit dem Hintergedanken somit effektiver Wissen vermitteln zu können ???) dazu führen, daß die Fähigkeiten unserer Kinder in Bezug auf die genannten Kulturerungenschaften wohl eher schrumpfen als wachsen.
Der Computer an sich ist dumm und immer nur so schlau wie der, der ihn bedient.
Die Wissensvermittler in unseren Tagen sind die hoffentlich guten Lehrer unserer Schulen und halt nicht Computer.

Gruß, Lutz

Moin Thomas,

die Berufung zum Lehrer muß wohl noch ein jeder angehende für sich selbst entdecken :wink: . Die Uni kann da wohl nur das Fundament an Didaktik und Methodik legen. Immer noch, so denke ich, macht erst der Einsatz der eigenen Persönlichkeit den guten Lehrer.

Was die pessimistische Einstellung angeht: Hier habe ich von eigenen Erfahrungen an einer Schule geschrieben.

Gruß, Lutz

langweiliges Deutsch im Fernsehen
Hallo Lutz,

guten Abend :wink:))

Bedenken habe ich vielmehr dabei, zu erleben wie Stellenabbau
bei Lehrern, Reduzierung von zu erteilenden Stunden etc. auf
der einen Seite und der Einsatz von Computern auf der anderen
Seite (eventuell mit dem Hintergedanken somit effektiver
Wissen vermitteln zu können ???) dazu führen, daß die
Fähigkeiten unserer Kinder in Bezug auf die genannten
Kulturerungenschaften wohl eher schrumpfen als wachsen.
Der Computer an sich ist dumm und immer nur so schlau wie der,
der ihn bedient.
Die Wissensvermittler in unseren Tagen sind die hoffentlich
guten Lehrer unserer Schulen und halt nicht Computer.

Da bin ich absolut Deiner Meinung.
Was Sprechen und Schreiben anbetrifft habe ich den Eindruck, dass den Kindern privat so wenig vermittelt wird (vorallem in Bereichen, die sie zu interessieren scheint), dass die Schule wahrscheinlich gar nicht mehr mitkommen kann. Mir fällt es vorallem im Fernsehen auf, wieviel Raum Dialekt oder Slang in Dialogen eingeräumt wird. Und selbst in hochdeutscher Sprache sind Dialoge ziemlich farblos und plakativ geworden, wobei doch gerade die Sprache eine Eigenheit einer Persönlichkeit zum Ausdruck bringen kann. Aber so sind viele Wortwechsel vorhersehbar und eintönig geworden.
Aber das alles ist eher ein gesellschaftliches Problem, das Deutschlehrer meiner Ansicht nach nicht alleine bewältigen können. Sie können bestenfalls Vorbilder und Forderer sein, mehr wird wohl nicht möglich sein.

Ich persönlich bin eine begeisterte Briefschreiberin,
und habe es schon immer bedauert, dass es kaum Menschen gibt, die wie ich am Schreiben Spass haben. Und eigenartigerweise - ich habe schon öfters darüber nachgedacht - habe ich in älteren Leuten (z.B. Schwiegermutter, meine Mutter) die treuesten Brieffreunde. Ob das mit auch an dieser Generation liegt?

Immerhin ist die Sprache ein Mittel für Kreativität, wie ein Pinsel und Farbe die Möglichkeit zum Bilder gestalten bietet. So kommt es mir vor, als wäre es „in“ mit wenig Farbe und mit nur einer Sorte Pinsel Bilder zu malen. Schade um all die Phantasien, die da brach liegen oder verkümmern.

viele Grüße
Claudia

2 Like

Hallo Lutz,

_:aus meiner Arbeit heraus kenne ich Jugendliche, die mir in

Minuten ein bestehendes Computersystem zum Absturz bringen.
Am selben System aber ein Referat z.B. über Dürrenmatt zu
erstellen, dazu sind sie nicht in der Lage. Wenn ich zusehe
wie die Autokorrektur von Winword ein ums andere Mal ein Wort
rot unterstreicht tränen mir die Augen ob der Unfähigkeit
vernünftiges Deutsch in einen tumben Computer zu tippen._

ein weithin bekanntes und immer wieder beklagtes Phänomen.

Ich für meinen Teil führe es auf den fehlenden Realitätsbezug des Lehrstoffes zurück. Kaum einem Schüler dürfte klar sein WARUM er sich mit Referaten über Dürrematt, Interpretationen der geistigen Ergüsse ihm unbekannter Autoren oder physikalischer Dinge die er mangels geeigneter Präsentationsform ohnehin nicht wirklich nachvollzieht, befassen soll. Worin der Nutzen für ihn liegt und wie er ihn selbst messen und beurteilen kann.

Und er erfährt es auch nicht.

Schon gar nicht in einer ihm verständlichen Sprache.

Versetzt man den gleichen Schüler raus aus der Einheitsschule und rein ins tatsächliche Leben, so „explodieren“ seine Fähigkeiten oft geradezu - häufig bei Praktika, Projekttagen, Exkursionen usw. zu beobachten. Da wachen die schulisch sedierten Teilnehmer förmlich auf aus ihrer Schul(schlaf)pflicht.

Gibt es einem nicht zu denken, dass der scheinbar lernbehinderte Schüler der in der Schule nichts zustandebringt die Lebensläufe aller Bundesligaspieler auswendig hersagen kann? Genau weiss wie ein Router im Netzwerk funktioniert und wo seine technischen Schwachstellen liegen. Wie man ein Programm auf den PC runterlädt, installiert und einrichtet. Mit Freunden in deutsch und englisch flüssig kommunizieren kann. Ein Auto kurzschließen, ausparken und wegfahren kann …

Wo hat er das alles nur gelernt wenn er schulisch gesehen grenzdebil ist?

Viele Grüße,

Guido Strunck

Moin Guido,

vorausgestzt die Lehrinhalte z. B. im Fach Deutsch sind veraltet, realitätsfern oder sprechen die Schüler in ihrer aktuellen Situation nicht an, könnte man ja über eine Änderung des Lehrplanes diskutieren.
Mein Posting zielt aber mehr darauf, daß die Vermittlung des Lehrstoffes selten besser gelingt wenn man dazu Computer einsetzt. Ich denke ein qualifizierter Lehrer ist einfach nicht durch die Maschine zu ersetzen.
Was den „sedierten“ Schüler angeht: Ich habe nie behauptet daß unser Schulsystem wirklich für alle Schüler eine „Offenbarung“ ist. Eine größere Flexibilität und die individuelle Förderung der Schüler ist gewiß wünschenswert, wenn nicht schon lange nötig ! Aber wie der Barde singt : „Wer soll das bezahlen…“
( Glaube mittlerweile den Song hat ein Kultusminister geschrieben :wink: )

In diesem Sinne, Lutz

PS: Wenn du weißt was du willst, fang an. Wenn Du nicht weißt was Du willst, frag dein Herz. :wink:

Hallo Lutz,

_:vorausgestzt die Lehrinhalte z. B. im Fach Deutsch sind

veraltet, realitätsfern oder sprechen die Schüler in ihrer
aktuellen Situation nicht an, könnte man ja über eine Änderung
des Lehrplanes diskutieren._

diskutiert wird da schon seit Jahrzehnten…

Ohne nennenswerte Ergebnisse. Scheint eher eine Form bezahlter Beschäftigungstherapie zu sein.

Bezeichnenderweise haben diejenigen die es am ehesten betrifft (Schüler und ihre Eltern) keinerlei Mitwirkungsmöglichkeiten an diesem Prozess.

_:Mein Posting zielt aber mehr darauf, daß die Vermittlung des

Lehrstoffes selten besser gelingt wenn man dazu Computer
einsetzt._

Das Thema e-Learning steht erst am Beginn seiner Entwicklung. Gerade für Schulzwecke dürfte es da kaum brauchbare Software geben, da deren Entwicklung sehr teuer ist. Am weitesten entwickelt sind e-Learning-Tools im Bereich fachlich-beruflicher Weiterbildung zu gut eingrenzbaren Fachthemen.

Weit fortgeschritten sind auch kommerzielle Fernstudienanbieter, bei denen viele Fernstudiengänge online begleitet werden.

Oder Einrichtungen wie die Fernuni Hagen (http://www.fernuni-hagen.de/) oder die virtuelle Hochschule Bayern (http://www.vhb.org/).

In den Firmen die e-Learning einsetzen wird mittlerweise „blended learning“ favorisiert, d.h. Lernmix aus e-Learning, Gruppenlernen, Seminar und Instruktion.

_Ich denke ein qualifizierter Lehrer ist einfach

nicht durch die Maschine zu ersetzen._

Sehe ich ähnlich.

Zumal gerade Schüler noch nicht über das Methodenwissen verfügen um weitgehend selbstständig und autonom lernen und arbeiten zu können.

Allerdings wird das an der Schule im Regelfall auch nicht vermittelt - qualifizierte Lehrkräfte hin oder her.

Oft scheitert der Computereinsatz ja schon deshalb, weil die laufenden Kosten für den Systembetrieb nicht einkalkuliert werden.

_:Aber wie der Barde singt : „Wer soll das bezahlen…“

( Glaube mittlerweile den Song hat ein Kultusminister
geschrieben :wink: )_

z.B. mit einem Teil des Geldes das der Bund der Steuerzahler jährlich in seinem Schwarzbuch ausweist. Für 2001 waren das immerhin ca. 30 Milliarden Euro. Reicht das?

Geld sehe ich somit als das kleinste der Probleme an.

Viele Grüße,

Guido Strunck