Neue spirituelle Revolution?

Der weltberühmte Arzt Prof. Dr. Sigmund Freud definierte bekanntlich die Religion als „Zwangsneurose“. Das von Freud erforschte „ozeanische Gefühl“ hielt er für eine „infantile Regression“. So sahen es bisher auch die meisten Psychologen. Als die „Wissenschaftler vom Menschen“ erfahren angehende Psychologen in ihrem Universitätsstudium allerdings so gut wie nichts, warum Menschen sich zur Spiritualität motiviert fühlen, und das mit oder ohne Religion.

Angesichts des sprunghaft angestiegenen Interesses an einer neuen Spiritualität in den westlichen Gesellschaften, sprechen jetzt aufeinmal angesehene Psychologen von einer neuen „spirituellen Revolution“ (z. B. der Amerikaner Robert Emmons). Die Website „PsychInfo on Silverplatter“, auf der weltweit die wichtigste psychologische Literatur gesammelt wird, warf am 28.4.2003 zu „spirituality“ 3.880 Titel aus. Knapp ein Jahr später registrierte die Website 4.387 Titel, die sich mit dem Thema der Spiritualität psychologisch auseinandersetzen… 

Es gibt neben der alten „rationalen Intelligenz“ jetzt auch eine neu entdeckte „emotionale Intelligenz“ sowie eine noch neuer entdeckte „spirituelle Intelligenz“. Wo diese Intelligenzen sehr unterentwickelt seien, so lehren uns diese neuen Forschungen, könne es nicht nur zu schweren Gesundheitsproblemen kommen, sondern sogar auch zu extremen Lebensverkürzungen.

Wie lässt sich diese neue „spirituelle Revolution“ aus religionswissenschaftlicher Sicht kommentieren?
CJW

Du fragst richtig nach Religion.
Psychologie ist eine Naturwissenschaft. Wenn Psychologen plötzlich fremd gehen, spinnen die. Soll ja menschlich sein, aber eben nicht naturwissenschaftlich.
Freud hat auch philosophiert, sich anthropologisch interessiert, aber keine (experimentelle naturwissenschaftliche Psychologie betrieben.
Also lass den raus.
Die spirituelle Seite wird von dem 4. Weg, der transpersonalen „Psychologie“ betrieben und ist nicht neu.

  1. Weg: Analyse
  2. Weg: Behaviorismus
  3. Weg: Humanismus etc. (siehe auch anthropologische Therapie etwa Binswanger)
  4. Weg: Transpersonale
    Klugscheißmodus ende

‚Neu‘ ist gut :wink:
Servus

Der weltberühmte Arzt Prof. Dr. Sigmund Freud definierte
bekanntlich die Religion als „Zwangsneurose“. Das von Freud
erforschte „ozeanische Gefühl“ hielt er für eine „infantile
Regression“.

Naja, in seinem Briefwechsel mit Romain Rolland hat er diesem das „ozeanische Gefühl“ ja fast beneidet: „Drum freue sich, wer da atmet im rosigen Licht“.

Wie lässt sich diese neue „spirituelle Revolution“ aus
religionswissenschaftlicher Sicht kommentieren?

So neu ist die ja nun auch nicht. Diese „New-Age“-Geschichte gibt es ja seit den 70er Jahren. Da ist viel Interessantes gesagt und geschrieben worden, aber auch viel Müll.
Es grüßt dich
Branden

Kategorienfehler
Wenn man die Psychologie in vier Kategorien einteilt, wie beispielsweise: 1. Psychoanalyse, 2. Behaviorismus, 3. Humanistische Psychologie, 4. Transpersonale Psychologie, so bezieht sich das auf das Fachwissen der Psychologie, wobei sich trefflich darüber streiten lässt, ob man diese 4. Kategorie überhaupt explizit herausstellen soll, weil die ja schon in der 3. Kategorie der Humanistischen Psychologie enthalten sein kann (vergleiche dazu das Hauptwerk von Prof. Dr. Abraham Maslow „Psychologie des Seins“, das 1968 erschien. Man erinnere sich an die „wilden 68er“, die gegen die alten Traditionen rebellierten!).

Nach den 68ern entstand eine neue aus Amerika kommende weltweite Jugend-Protest-Bewegung, das waren die so genannten „Hippies“. Diese waren eine Gegenbewegung zu den 68ern. Es ging statt politischer Rebellion, um jetzt eine „sanfte Verschwörung“. In dieser Zeit gruppierte sich eine Gruppe von Intellektuellen am Esalen-Institut in Kalifornien. Der Millionärssohn und studierter Psychologe Michael Murphy hatte an der Steilküste des Pazifiks von Big Sur ein altes Hotel aufgekauft und organisierte dort psychologische und spirituelle Seminare. Daraus entwuchs mit der Zeit eine neue geistige Bewegung, die sich als „New Age“ verstanden wissen wollte, deren prominentester Vordenker der US-Philosoph Ken Wilber wurde, der die östliche Philosophie mit westlicher Wissenschaft zur Synthese verband.

Wenn man jetzt das gesamte Wissen der Psychologie in drei oder vier Kategorien einteilt, und die „transpersonaler Psychologie“ extra herausnimmt, dann ist das genauso relativ, wie die Kategorien der Psychologie in 1. Klinische Psychologie, 2. Pädagogische Psychologie, 3. Lern- und Organisationspsychologie, und 4. in die Rechtspsychologie. Aber, um was genau geht es eigentlich? Es geht um eine Kategorisierung der Psychologie unter dem Aspekt der Spiritualität oder um eine Kategorisierung, die den Aspekt der Spiritualität ausschließen und nicht in der wissenschaftlichen Psychologie anerkennen will, darum geht es.

Es geht also um dieses Ein- oder Ausschließens der Spiritualität in der Psychologie! Deshalb war auch das, was Ken Wilber und die „New Ager“ wollten, von vornherein immer schon ESOTERIK, die bis zum heutigen Tage unterschieden wird von der wissenschaftlichen Psychologie. Deshalb ist es unter dem zuvor beschrieben Aspekt für mich neu, dass im Jahre 2012 eine Studie veröffentlicht wurde unter dem Titel „Psychologie der Spiritualität“. Was ist hierbei so neu gegenüber der früheren Kategorisierung? Es wird hier ja nicht die Psychologie als Wissenschaft kategorisiert, sondern im Gegenteil genau umgekehrt: Es wird der Aspekt der Spiritualität, die in der ganzen Menschheitsgeschichte immer eine Domäne der Religion war als ein nicht mehr zu ignorierendes menschliches Bedürfnis anerkannt und in die wissenschaftliche Psychologie integriert bzw. nicht mehr länger als ESOTERIK ausgeschlossen.

Der US-Philosoph Ken Wilber kategorisiert die Psychologie von der östlichen Religion aus betrachtet in eine so genannte „transpersonale Psychologie“. Jetzt aber geht die wissenschaftliche Psychologie her, nachdem sie die Spiritualität nicht mehr länger als ESOTERIK ignorieren kann, und kategorisiert die Spiritualität aus dem Aspekt der Psychologie. Das ist neu! Denn das ist ein Unterschied zwischen der Religion und der Psychologie. Es geht also um die unterschiedlichen Kategorien von Psychologie und Religion, aus welcher Perspektive heraus die Spiritualität völlig unterschiedlich betrachtet wird. Es ist meines Erachtens ein Kategorienfehler, wenn man beide Methoden miteinander verwechselt.
CJW

Der weltberühmte Arzt Prof. Dr. Sigmund Freud definierte
bekanntlich die Religion als „Zwangsneurose“.

Das tat er „bekanntlich“ nicht. Jedenfalls ist dies Menschen bekannt, die Freud sinnentnehmend gelesen haben. Wurde hier schon eingehend diskutiert: http://www.wer-weiss-was.de/religionswissenschaft/fr…

Als die „Wissenschaftler vom Menschen“ erfahren angehende
Psychologen in ihrem Universitätsstudium allerdings so gut wie
nichts, warum Menschen sich zur Spiritualität motiviert
fühlen, und das mit oder ohne Religion.

Mal abgesehen davon, dass „Spiritualität“ die Bezeichnung ‚Begriff‘ nicht wirklich verdient, weil er undifferenziert für allen möglichen Unfug ge- und modisch missbraucht wird, ist das auch kein Thema der Psychologie, sondern für Psychologen allenfalls eine Freizeitbeschäftigung und Anlass für fröhliches Dilettieren. Dilettieren kann man angesichts einer reichlich schmalen religionswissenschaftlichen Wissensbasis übrigens ohne weiteres auch Freud bescheinigen …

Nebenbei bemerkt ist ‚Spiritualität‘ Titelthema der aktuellen Ausgabe von Publik Forum: http://www.publik-forum.de/Publik-Forum-12-2014/waru… - lesenswerte „Selbstbefragung“ von Fulbert Steffensky.

Angesichts des sprunghaft angestiegenen Interesses an einer
neuen Spiritualität in den westlichen Gesellschaften

… die näher besehen nur der alte faule Zauber in neuen Gewändern ist …

Wie lässt sich diese neue „spirituelle Revolution“ aus
religionswissenschaftlicher Sicht kommentieren?

Am Abend werfen selbst Zwerge lange Schatten. Eine Gesellschaft, die statt Theologen Psychologen die Deutungshoheit über das „metyphysische Bedürfnis“ (Schopenhauer) einräumt, wechselt nur das Personal. Revolution geht anders.

Freundliche Grüße,
Ralf

Re: ‚Neu‘ ist gut :wink:
Salü,

So neu ist die ja nun auch nicht. Diese „New-Age“-Geschichte
gibt es ja seit den 70er Jahren.

… und die war schon damals nicht „neu“. Adorno charakterisiert diese „Bewusstseinsrückbildung“ sehr schön in seinen 1946/47 verfassten ‚Thesen gegen den Okkultismus‘, veröffentlicht in den ‚Minima Moralia‘.

Gruß,
Ralf

Evolution der Wissenschaft

Mal abgesehen davon, dass „Spiritualität“ die Bezeichnung
‚Begriff‘ nicht wirklich verdient

Ich glaube, dass die Wissenschaft der Psychologie, die sich professionell mit dem Menschen und seinem Verhalten, seinen Problemen und Entwicklungsmöglichkeiten beschäftigt, nicht so unwissend ist, wie du dies hier unterstellst, wenn es um Spiritualität geht.

Es geht dieser Wissenschaft vom Menschen nicht um weltanschauliche Kriege, wie bei den Religionen untereinander, von denen jede von sich in Anspruch nimmt, die einzige und absolute „Wahrheit“ zu verbreiten, sondern es geht in der Psychologie um allen Menschen zu-eigene Grundbedürfnisse, wie beispielsweise Hunger, Durst, Schlaf, Sexualität, Sicherheit, Zugehörigkeitsgefühle, Streben nach Anerkennung und Selbstverwirklichung usw., die nicht nur kulturell, sondern dem inneren Wesen de Natur entsprechen.

Das ist ein Unterschied.

weil er undifferenziert für
allen möglichen Unfug ge- und modisch missbraucht wird,

Das ist deine Weltanschauung,meine Weltanschauung ist das genaue Gegenteil, soll heißen, religiöse Traditionen sind für mich nicht eine Verbindlichkeit zur Identität, sondern relativ.

ist kein Thema der Psychologie, sondern für Psychologen

Das ist unrichtig. Richtig ist, dass sich die wissenschaftliche Psychologie heute vermehrt dem Thema der Spiritualität als einem scheinbar „impliziten“ Bedürfnis des Menschen zuwendet.

allenfalls eine Freizeitbeschäftigung und Anlass für
fröhliches Dilettieren.

Ignoranz und Unwissenheit ist diese Behauptung und zeigt den bekannten „Kampf der Kulturen“, das ist nach dem Harvard-Prof. Dr. Samuel P. Huntington die politisch aktuelle Weltanalyse.

Angesichts des sprunghaft angestiegenen Interesses an einer
neuen Spiritualität in den westlichen Gesellschaften

… die näher besehen nur der alte faule Zauber in neuen
Gewändern ist …

„Der alte faule Zauber“ steckt doch vielmehr in der Ignoranz und Unwissenheit der Menschheit als in der Zunahme an Wissen über die Welt und über den Menschen selbst. Aber wenn diese Zunahme an Wissen wiederum nur „der alte faule Zauber“ sein sollte als Illusion des Scheins, hättest du natürlich recht. Aber wenn alles nur Schein ist, ist es auch der religiöse GLAUBE nur das, was du so exakt auf den Punkt bringst „nur der alte faule Zauber“.

Wie lässt sich diese neue „spirituelle Revolution“ aus
religionswissenschaftlicher Sicht kommentieren?

Am Abend werfen selbst Zwerge lange Schatten. Eine
Gesellschaft, die statt Theologen Psychologen die

„“:smiley:eutungshoheit über das „metyphysische Bedürfnis“

(Schopenhauer) einräumt, wechselt nur das Personal.

Claro!!!

Revolution geht anders.

Der Ausdruck „spirituelle Revolution“ stammt ja nicht von mir, sondern von dem angesehenen Psychologen Robert Emmons, seines Zeichens Professor an der Universität von Kalifornien. Spiritualität wird inzwischen methodisch und universitär erforscht. Das ist allerdings dann keine Revolution als vielmehr eine Evolution der Wissenschaft.

Aber Schein verkauft sich bekanntlich gut. Das sehe ich nicht etwa als etwas grundsätzlich Negatives, wie Schopenhauer, sondern notwendig zum Überleben, wie Nietzsche.

Gruß
CJW

Problematik des Spiritualitätsbegriffs
Hi.

Ich stimmte dir darin zu, dass der Spiritualitätsbegriff eine Bandbreite umfasst, die seine Verwendung sehr problematisch macht. Ich selbst habe das öfters betont und ziehe den Ausdruck ´Mystik´ vor, um das zu bezeichnen, was ich persönlich unter ´Spiritualität´ verstehe. Allerdings ist der Mystik-Begriff im WWW ein weißer Fleck auf der Landkarte, niemand außer mir hat ihn je verwendet. Von Spiritualität habe ich wiederholt gesprochen, aber nur in provisorischer Weise, damit überhaupt irgendwas bei den Lesern klingelt.

In buddhistischen Kreisen wird ´Spiritualität´ übrigens relativ unbefangen verwendet, siehe:

http://www.buddhismuskunde.uni-hamburg.de/fileadmin/…

oder auch (dir wohl vertraut):

http://onlinestreet.de/67811-deutsche-buddhistische-…

(Zitat einer Liste von der Seite)

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Chan

Spirituelle Revolution in den 1960ern
Hi.

Was die ´spirituelle Revolution´ betrifft, so hat sich diese schon längst ereignet, und zwar in den 1960ern Jahren, als Timothy Learys Aktivitäten zu einer gravierenden Zunahme des ´spirituellen´ Interesses in der amerikanischen und internationalen Bevölkerung führten. Im Fahrwasser dieser Strömung konnten auch asiatische Religionen deutlich besser im Westen Fuß fassen als zuvor.

Es gibt im Menschen ein angeborenes ´spirituelles´ Bedürfnis, das sich nicht unterdrücken lässt. Die historischen Anfänge liegen etwa 40.000 Jahre zurück, als die paläolithischen Menschen den Schamanismus entwickelten, d.h. den methodischen Kontakt mit dem Übernatürlichen. Dazu Zitate zweier einflussreicher Wissenschaftler zu diesem Thema:

„Harnessing the Brain: Vision and Shamanism in Upper Paleolithic Western Europe“, S. 323:

(von J.D. Lewis-Williams, Professor für Archäologie in Johannesburg, Südafrika)

In the first place, hunter-gatherer shamanism is fundamentally posited on a range of institutionalized altered states of consciousness. Secondly, the visual, aural and somatic experiences of altered states of consciousness give rise to conceptions of an alternative reality that is frequently tiered. Thirdly, people with special powers and skills, the shamans, are believed to have access to this alternative reality. Fourthly, the behavior of the human nervous system in certain altered states creates the illusion of dissociation from one’s body (less commonly understood in hunting and gathering shamanic societies as possession). Shamans use dissociation and other experiences of altered states of consciousness to achieve at least four ends; these ends constitute the next four features of hunter-gatherer shamanism. Shamans are believed to contact spirits and supernatural entities; they heal the sick (usw.)

„Shamanism as the original Neurotheology“, S. 200:

(von Michael Winkelman, Professor für Anthropologie in Arizona)

The shamanic ASC (= Altered State of Consciousness) is referred to by terms like ´soul flight´ and ´soul journey´and has direct homologies to modern out-of-body-experiences and astral projection, reflecting experiences of traveling to and encounting entities from the spiritual oder supernatural world.

Schamanen - zunächst mehrheitlich Frauen, siehe Forschung von Prof. Dean Snow - praktizierten neben anderen Methoden wie Trommeln und Tanzen die Anwendung psychoaktiver Pflanzen, um in einen ASC zu geraten. Schamanistische Praktiken überlebten im mesopotamischen und mediterranen Bereich bis in die Antike und prägten das religiöse Leben ganz erheblich. Den sumerischen Mythos über die Reise der Göttin Inanna in die Unterwelt z.B. kann man als literarischen Niederschlag schamanischer Erfahrung verstehen. Die ägyptische Seelen-Triade von Ba, Ka und Ach, die als eigenständige Seelen den Körper des Menschen nach seinem Tod verlassen, kann auf die schamanische Erfahrung von mehreren Seelen im Menschen, die aus dem Körper austreten können, zurückgeführt werden.

Vermutlich geht die ´Erfindung´ der Philosophie durch Parmenides auf dessen schamanische Erfahrungen zurück (siehe Forschung von Walter Burkert, Altphilologe). Daneben verlief eine davon zu unterscheidende Strömung, nämlich die antiken Mysterien in Ägypten (Isis-Kult) und Griechenland (Eleusis, Samothrake). Die griechischen Mysterien implizierten mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls die Verwendung von Psychaktiva. So heißt es bei dem bekannten Psychologen Wolfgang Schmidbauer:

http://www.samorini.it/doc1/alt_aut/sz/schmid.pdf

Am 29. September brach eine große (öffentliche) Prozession vom
Demeterheiligtum in Athen nach Eleusis auf. Die Besucher der eigentlichen Mysterien waren in drei Klassen geteilt: die Laien, die Mysten und die Epopten (Schauenden). Wer des Allerheiligsten teilheftig werden wollte, der mußte Eleusis also mindestens zweimal
gesehen haben. Wir kennen die Formel noch, die der Myste sprechen mußte: »Ich fastete. Ich trank den kykeon. Ich nahm aus der kiste. Ich vollzog die Handlung. Ich legte wieder in den Korb, und aus dem Korb in die Kiste." Man ist sich heute einig, daß in der Kiste, dem Schrein der Demeter, ein Abbild des weiblichen Schoßes war. Solche Sexualsymbolik ist in Fruchtbarkeitskulten nichts Ungewöhnliches. Was die heilige Handlung war, wissen wir nicht. Vielleicht ein symbolischer Koitus, bei dem der Myste mit einem Phallos den Schoß berührte.

Das ´kykeon´ könnte, so manche Forscher, mit Fliegenpilz versetzt gewesen sein. Die weibliche Sexualsymbolik geht auf den prähistorischen Kult der Großen Göttin zurück, der über Jahrzehntausende das religiöse Leben der Menschen global prägte, bis das Königtum im Zuge der sozialen Entwertung des Weiblichen das religiöse Denken patriarchalisierte.

All das zeigt, dass das ´spirituelle´ Bedürfnis im Menschen, also der Drang nach Erkenntnis des und Kontakt mit dem ´Supranaturalen´, eine wichtige Konstante in der kulturellen Evolution darstellt. Es wurde seit dem späten Neolithikum (Aufkommen des Königtums) leider in den Dienst machtorientierter Ideologien gestellt und dadurch pervertiert, konnte sich daneben aber auch immer authentische Strömungen halten, die bis zur Machterringung des Christentums offiziell anerkannt und sogar einen hohen sozialen Stellenwert genossen. Christliche Mythologie und Rituale gründen selbst im Gedankengut der Mysterien, siehe z.B.:

http://www.radikalkritik.de/Mysterien.htm

Die ´heidnischen´ Mysterien wurde von der Staats-Kirche, die um ihr Monopol fürchtete, natürlich systematisch unterdrückt. Mysterienideengut überlebte aber z.B. in Form des Hermetismus (Kult um Hermes Trismegistos = Mix aus griechischem Gott Hermes und ägyptischem Gott Thot) und der Mysterien der Katharer (von der Kirche im 13. Jh. brutal verfolgt und vernichtet). Spätere wichtige Bewegungen waren die Rosenkreuzer und, ab dem 18. Jahrhundert, die Freimaurer (darunter Goethe, Mozart und evt. Schiller).

Das 19. Jahrhundert war ´spirituell´ durch die Weiterentwicklung des Freimaurertums und das Aufkommen der Theosophie gekennzeichnet sowie durch ein zunehmendes Interesse für asiatische Religionen (auch durch die Theosophie propagiert).

Der nächste Entwicklungssprung - die vom UP angesprochene ´spirituelle Revolution´ - fand wie eingangs erwähnt in den 1960er Jahren statt.

Chan

Es geht um die Psychologie

spirituelle Revolution´ - fand wie eingangs erwähnt in den
1960er Jahren statt

Du erzählst mir was, was ich doch eh schon seit gut vierzig Jahren weiß. Aber darum geht es doch gar nicht. Es geht darum, dass die akademische Psychologie diese „spirituelle Revolution“ der 1960er Jahre nicht anerkannte und sogar massiv bekämpft hat. Aber angesichts der zunehmenden Bedürftigkeit breiterer Volksschichten erkennt jetzt auch die Psychologie an den westlichen Universitäten dieses spirituelle Bedürfnis zunehmend an und erforscht es mit wissenschaftlichen Methoden. Und das ist neu! Es geht nicht darum, aus der Sicht der Religion dieses Bedürfnis zu erforschen, sondern es geht um die Sicht der Psychologie.
CJW

Hallo,

In buddhistischen Kreisen wird ´Spiritualität´ übrigens
relativ unbefangen verwendet, siehe:

http://www.buddhismuskunde.uni-hamburg.de/fileadmin/…

Dr. Maitrimurthi verdeutlicht gleich im ersten Satz seines Papers, was er in seiner Abhandlung unter „Spiritualität“ verstanden haben will:

_>>Wenn ich über die „Spiritualität“ des frühen Buddhismus spreche, dann meine ich das Bestreben nach einer religiös-ethischen Lebensgestaltung, die auf das Heil oder Heilsame gerichtet ist, mitsamt dem Ziel, dem Heils- oder Erlösungszustand, wie dies im Palikanon dargestellt wird

Das ist gerade nicht"unbefangen" bzw. unreflektiert. So - sauber eingeführt und hinsichtlich seiner funktionalen Rolle definiert - kann man ‚Spiritualität‘ auch sinnvoll als Begriff verwenden. Mit der herkömmlichen Verwendung von ‚Spiritualität‘ als diffuser Platzhalter für eine reichlich inhomogene Vielzahl von Einstellungen, Meinungen, Überzeugungen, Verhaltensweisen usw. usf. - nicht zuletzt auch bei unserem UP - hat das freilich wenig zu tun.

oder auch (dir wohl vertraut):

http://onlinestreet.de/67811-deutsche-buddhistische-…

Hmm - mit über Werbung finanzierten ‚Webverzeichnissen‘ wie onlinestreet bin ich eher weniger vertraut. Die haben halt eine Kategorie ‚Gesellschaft‘ mit Unterkategorien, darunter ‚Religion und Spiritualität‘. Da findet man dann neben buddhistischen Webseiten u.a. auch die des Bundes freimaurerisch arbeitender Frauen, die des Bundes der religiösen Sozialistinnen und Sozialisten Deutschlands sowie die der Telefonseelsorge, aber auch z.B. www.kirchenaustritt.de … Selbstverständlich auch die Webseite der deutschen Bischofskonferenz oder die des Evangelischen Pressedienstes. Egal - ist alles irgendwie „spirituell“ oder so …

Freundliche Grüße,
Ralf_

Mit der herkömmlichen Verwendung von
‚Spiritualität‘ als diffuser Platzhalter für eine reichlich
inhomogene Vielzahl von Einstellungen, Meinungen,
Überzeugungen, Verhaltensweisen usw. usf. - nicht zuletzt
auch bei unserem UP - hat das freilich wenig zu tun.

So ist es! Diese trennscharfe Unterscheidung zu speziellen religiösen Traditionen und der von mir angesprochenen und davon bewusst abweichenden „säkularisierten Spiritualität“, die sich nicht mit der Religion einschränken lässt, macht ja den Unterschied. Und es ist mir auch gleichgültig, welche Definition bestimmte religiöse Gruppen für ihre Traditionen konstituieren.
CJW