Neuwahlen in Österreich

Hallo,

bekanntlich hat Kanzler Kurz sein Absicht verkündet, Neuwahlen zum Nationalrat beim Bundespräsidenten van der Bellen anzuregen. Der BP wird dem natürlich folgen.

Bereits die Erklärung von Kurz, weswegen er diesen Weg geht, sind m.E. nur tlw. glaubwürdig und tlw. laufender (EU-Wahl) sowie anlaufender (Nationalratswahl) Wahlkampf. Da nun die FPÖ de facto nicht mehr Koalitionär ist, kann er einen ganz anderen Tonfall anschlagen (lassen) als mit der FPÖ im Anhang. Es geht hier in keinster Weise darum, wieso er die Koalition beendet. Ich halte den Schritt für strategisch nötig, allein schon um monatelange Diskussionen in Österreich und auch mögliche Prozentverluste bei der ÖVP zu unterlaufen.

  1. Bei der EU-Wahl hat die ÖVP bislang schlechtere Umfrageergebnisse als bei der nationalen Sonntagsfrage. Dies dürfte vor allem wegen der seit Jahrzehnten deutlich niedrigeren Wahlbeteiligung so sein. Das Interesse an der EU-Wahl liegt bei ca. 45%, bei Nationalratswahlen zwischen 75-80%. Ähnliche Werte gibt es btw auch in D. Wird die ÖVP bei der EU-Wahl nun besser abschneiden, weil sie sich von der FPÖ losgesagt hat?

  2. Wird die ÖVP bei der kommenden Nationalratswahl ihre Ergebnisse verbessern können, weil sie von der FPÖ enttäuschten Zulauf erhält? Falls ja, in welchem mutmaßlichen Umfang?

  3. Wird der aktuellen Opposition in A das Ende der Koalition Wähler bei den Nationalratswahlen zuführen?

  4. Mit wem will Kurz nach der Nationalratswahl überhaupt koalieren können? Und wer scheidet als Partner aus welchen Gründen von vornherein aus?

  5. Kommt es nun nach Strache zu einem Lagerbruch innerhalb der FPÖ, bleibt alles beim Alten oder bewegt sich die Partei nach ggf. innerparteilicher Richtungsklärung geschlossen? Falls letztes zutrifft: wohin?

Gruß
vdmaster

Servus

Sie wird besser abschneiden, aber eher deswegen, weil die FPÖ größere (als sonst) Schwierigkeiten haben dürfte, ihre Wähler zu mobilisieren. Vilimsky als FPÖ Spitzenkandidat wurde ja nicht beschädigt und die großen TV Duelle sind alle schon vorbei. Sollte die FPÖ doch noch über 20 Prozent kommen, wäre ich sehr überrascht.

Die ÖVP wird auf jeden Fall Zulauf erhalten, denn die FPÖ Wähler, die nicht einfach zu Hause bleiben, haben sonst keine Partei, bei der sie andocken könnten. Wie groß der Zugewinn ausfällt, hängt imho von zwei Faktoren ab:

  • Wie schnell bzw. gut kann Hofer als neue Parteichef die Partei konsolidieren? Die FPÖ wird (massiv) verlieren, nur ziemlich sicher nicht im Ausmaß von 2002 (-17%). Sollte 2002 ein brauchbarer Indikator sein, kann die ÖVP mit einem Zuwachs rechnen, der in etwa dem Verlust der FPÖ entspricht.
  • Wie reagiert die SPÖ? Imho ist es nicht fix, dass Parteichefin Rendi-Wagner auch als Spitzenkandidatin gesetzt ist. Die Sozis haben es bisher noch nicht geschafft, ihrer Partei nach der Ära (eher ein Ärchen) Kern ein neues Profil zu verschaffen. Eventuell schaffen sie es sogar, in der Arbeiterschicht ein paar Stimmen der FPÖ zu ergattern. Da wird aber eben viel von Hofer abhängen.

Die meisten Parteien schon. Die Grünen dürften auf jeden Fall das Comeback schaffen, während Jetzt (aka Liste Pilz) verdient von der Bildfläche verschwinden wird. Neos dürfen sich ein zweistelliges Ergebnis erwarten können und falls 2002 ein Indikator ist, wird auch die SPÖ etwas dazugewinnen. Die kleineren Parteien dürften aber ein finanzielles Problem bekommen, da sie ja jetzt erst den EU Wahlkampf finanzieren mussten. Besonders hart wird es für die Grünen, die so gut wie keine staatlichen Mitteln bekommt und wohl noch immer am extrem aufwendigen BP Wahlkampf zu knabbern hat.

Wollen tut Kurz vermutlich eine Alleinregierung :smile:
Falls es sich rechnerisch ausgeht sind Neos und Grüne (in der Reihenfolge) denkbar. SPÖ wäre der letzte Strohhalm und die FPÖ wird vermutlich wieder 15 Jahre warten müssen, bis sie jemand mit ins (Regierungs)Boot holt.

Hofer ist leiser im Ton als Strache, ideologisch aber stramm auf dessen Linie. Er verdankte seine politische Karriere ja auch Strache. Interessanterweise will sich ja jetzt OÖ Chef Haimbuchner mehr einbringen. Der gilt als strammrechts und veranstaltet schon mal Gedenkfeiern für SS-Offiziere. Ich erwarte jetzt eigentlich ein weiteren Rechtsruck der FPÖ, frei nach dem Motto „jetzt erst recht(s)“.
Es bleibt auch abzuwarten, ob sie nun auch im Burgenland (von da kommt auch Hofer) aus der (Landes)Regierung fliegen wird. Sollte sich die FPÖ auf ihre Kernwählerschaft konzentrieren wollen, um wenigstens dort den Stimmverlust zu minimieren, kann es eigentlich nur weiter nach rechts gehen.

LG

offtopic

Kurz wird nicht nur in Österreich, sondern überall in Europa von sehr vielen Politikern und Bürgern - trotz seines jungen Alters und seiner jungen Karriere - respektiert. Weil er eben handelt, konsequent ist, in vielen Dingen erstaunlich transparent.

Das, was sich in diesen Tagen in Österreich abspielt, diese Veröffentlichung eines alten Videos zu diesem Zeitpunkt (da war auch noch was anderes vor ein paar Tagen, fällt mir gerade nicht ein), der Rücktritt Straches und Co, und die resultierende Feststellung von Kurz „Deadline: So geht es nicht!“ mit der Ansage „Auflösung der Regierung über kurzfristige Neuwahl“
ist ja nicht das politische „Routinegeschäft“ schlechthin.
Nicht einmal in Österreich.
Wegen eines Videos.

Aber es ist das, was diesen Kurz offensichtlich auszeichnet (und noch beliebter machen wird).

Ob „strategisch“ nun die richtige Bezeichnung dafür ist, weiß ich nicht.

awM

Hi!

„Ibiza“ könnte sich noch zum neuen „Knittelfeld“ entwickeln (das werden die nächsten Tage zeigen), jedoch gab es damals die Auf- bzw. Abspaltung und das ist derzeit (noch? - siehe unten bzgl Haimbuchner) nicht der Fall.

So wie die letzten Jahre: Sie bekommt einen Elfmeter nach dem anderen, diesmal sogar ohne Tormann, doch Kurz läuft auf das Feld und versenkt den Ball im Tor.

Hier könnte es sogar zu einer „Wiedervereinigung“ kommen, so wie einst die GAL mit VGÖ und weiteren Kleingruppierungen.

Die Aussage war, das mit „dieser FPÖ“ keine Koalition mehr möglich sei. Nun sind Strache und Gudenus weg, Hofer der neue Frontmann - jetzt kommt es nur noch darauf an, wie es mit Kickl weitergeht.
Und schon könnte ein gestärkte ÖVP wie anno 2002 einen geschwächten Regierungspartner wieder ins Boot holen, den man diesmal mit Almosen abspeisen kann.
Viel spannender wird sein, wie es in der FPÖ wirklich weitergeht.
Von Straches beiden Masterminds tritt jetzt einer ganz nach vorne (Hofer), während der zweite (Kickl) schon wieder hinten bleiben muß. Ob sein Ego das noch lange mitmacht?

Haimbuchner gibt ja auch die Strauß-CSU als Vorbild an („Neben uns ist rechts nur noch die Mauer“) und könnte als Einziger für Hofer gefährlich werden. Landbauer hingegen hat nicht den Rückhalt bzw. überhaupt die politische Macht, hier einzuschreiten.

Wobei die burgenländische FPÖ mit Tschürtz ja eigentlich Vorzeigebeispiel eines kleingehaltenen Juniorpartners ist, der sich mit Almosen zufrieden gab/gibt.

Deswegen werden die Verluste auch nicht diese Ausmaße von 2002 erreichen, weil die gesamte Gesellschaft nach rechts gerückt ist :pensive:

Grüße,
Tomh

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Die sehe ich auch nicht. Aber eben einen deutlichen Rechtsruck.

:smile:

Niemals. Pilz hat damals alle Brücken gesprengt und dass Voggenhuber für Pilz in den EU Ring stieg, hat die Trennung zementiert. Jetzt wird in der Versenkung verschwinden und das ist gut so.

Der Gedanke, dass die FPÖ Spitze (inkl. Hofer und Kickl) nichts von der Ibizasache gewusst hätten, ist absurd. Die Frage ist nicht ob sondern wann die beiden ebenfalls davon betroffen sind. Bei Kickl beginnt es schon:
Ein bekannter Geschäftsmann wurde laut eigener Aussage von Heinz-Christian Strache (FPÖ) und Herbert Kickl (FPÖ) gebeten, für einen bislang unauffälligen Verein im Parteiumfeld zu spenden. Der Geschäftsmann berichtet von einem anonymen Treffen mit den FPÖ-Politikern im Frühling 2017. Kickl und Strache fragten, ob er die Partei finanziell unterstützen möchte.

Offenbar hat Strache auch im Video gesagt, dass Hofer sein Nachfolger wäre und ich kann mir nicht vorstellen, dass Kickl so etwas schmeckt.

Stimmt, aber ist erst mal Blut im Wasser, geht das große Fressen los. Die Burgenländer hätten eh in einem Jahr wählen müssen, da ist die vorgezogene Wahl im Herbst kein großes Drama. Und einen besseren Zeitpunkt wird es lange nicht mehr geben. Ich warte jetzt nur noch, bis die Steiermark nachzieht. Die haben gleichzeitig mit dem Burgenland gewählt und die blauen haben damals massiv dazugewonnen. Schützenhofer wäre ein Narr, wenn er sich diese Gelegenheit entgehen lassen würde.

Interessantes Detail am Rande: Vilimisky wollte gestern im TV eine mögliche Rückkehr von Strache nicht ausschließen :smirk:

Hi!

„Austria in motion“ - heute auch im Kurier.

Das hat aber glaube ich mehr mit der Einfältigkeit Vilimskys zu tun und damit, das sein Messias und geistiger Ziehvater abgetreten ist.

Grüße,
Tomh

Dein Wort in Gottes Ohr. Strache bekommt in der Tat viel Zuspruch auf FB und es gibt genug Stimmen, die sich gar nicht so sehr daran stören, was er alles von sich gegeben hat sondern a), dass das ja alles illegal aufgenommen wurde und/oder b), dass er sich bei etwas erwischen hat lassen, dass eh alle machen.

Gudenus ist weg vom Fenster (Parteiaustritt inklusive) und könnte damit zum Sündenbock/Opferlamm der ganzen Geschichte werden. Allerdings soll es ja weitere Videos geben, also schaun wir mal.

Man darf halt nicht vergessen, dass Strache spätestens seit 13. April (Böhermanns Rede bei der Romy) wusste, dass es das Video auf jeden Fall gibt und der Inhalt bekannt ist. Reagiert hat er gar nicht sondern es einfach mal darauf ankommen lassen. Spricht ja auch Bände über seinen Charakter…

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Kleiner Nachtrag:
Wiener FPÖ: Verwirrung um möglichen Strache-Verbleib

In einer Whatsapp-Nachricht an seine Parteifreunde schrieb Strache, wie der Standard berichtet, auch nach seinem Abgang am Samstag noch kämpferisch: „Wir werden denen einheizen.“ Er selbst soll am Samstagabend in dieser Nachricht außerdem betont haben, der Wiener Vorstand wolle einstimmig seinen Verbleib als Landesobmann.
Hat Strache noch Ambitionen? Dafür spräche, dass er nach KURIER-Informationen nicht einmal als Vizekanzler zu einem Rücktritt bereit gewesen soll, nachdem er mit dem Video konfrontiert worden war. Strache soll geglaubt haben, die Ibiza-Affäre überstehen zu können.

In FPÖ-Kreisen soll es Gedankenspiele geben, Strache könnte zumindest auf Landesebene in führender Rolle aktiv bleiben, wenn vom Ibiza-Video nichts strafrechtlich Relevantes bleibe.

Von Einsicht keine Spur und der moralische Kompass scheint eher ein Brummkreisel zu sein.

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Die SPÖ stagniert seit langem und der Zugewinn dürfte nach aktueller Umfragelage marginal sein. Hauptprofiteur ist aktuell die ÖVP selbst, minimalen Zuwachs erhalten auch die Neos. Auch die Grünen - politisch Gegenpart - können nicht mit nennenswertem Zugewinn rechnen.

Wieso Jetzt/Pilz „verdient“ verschwindet, erschliesst sich nicht. Strafrechtlich relevante Vorwürfe gegen ihn erhärteten sich nicht. Da ist wohl eher der Wunsch nach Wegfall einer Konkurrenz im Milieu für die Grünen der Vater des Gedankens.

Bzgl. der Neos stimme ich zu. Bei den Grünen sehe ich auch nicht ansatzweise eine Chance. Kurz würde keinen grossen Schwenk bei der Flüchtlingspolitik machen wollen und genau das würden die Grünen zur Grundbedingung machen.

vdmaster

Die Veröffentlichung war gezielt auf die EU-Wahl abgestimmt, falls es stimmt, dass bspw. Böhmermann bereits vor Monaten Teilinfos hatte. Das aus den USA bekannte Dirty Campaigning wird eben auch diesseits des Atlantiks immer beliebter.

Mir ist nur eine Post-Ibiza Umfragen bekannt:

Die ÖVP hat also die Verluste der FPÖ 1:1 geschluckt. Neos konnten erwartungsgemäß dazugewinnen und dass die SPÖ sogar verliert liegt imho hauptsächlich an der inferioren Performance der Parteichefin Rendi-Wagner. Sollte sie so weitermachen wie bisher, dürfte es sogar noch weiter runter gehen.

Die Grünen sind mir eigentlich herzhaft wurscht. Liste Pilz/Jetzt hat aber seit der Wahl nur dann für Schlagzeilen gesorgt, wenn sich deren Mitglieder um Posten, Geld oder die Parteiführung stritten. Bei den Fernsehauftritten (zB Fr. Stern letztens im ORF) muss man sich zudem fragen, auf welchem Planeten die sich überhaupt wähnen…

Schon 2002 waren die Grünen erster Anwärter, bevor es dann noch wieder die Blauen würden. Auf Länderebene gibt es schwarzgrüne Zusammenarbeit in vier Bundesländern und auch in mehreren Städten klappt es ziemlich gut.
Die Flüchtlingspolitik ist imho ausgelutscht und Kurz kann angesichts der Aslyzahlen in Österreich (hochgerechnet 11.500 Anträge für 2019 - der niedrigste Wert seit 2010) ohne Probleme die Asylkrise für beendet erklären. Das wäre jetzt auch kein dramatischer Schwenk mehr.

Das ist keine Umfrage, sondern eine mehrmonatige Trendgrafik. Daher sieht man den Zustand vor und nach Ibiza nicht gut. Nimmt man https://neuwal.com/wahlumfragen/umfragewerte.php, grenzt die Region auf „Österreich“ ein und schaut sich Research Affairs an, dann hat man eine gute Vergleichbarkeit. Bei mehreren Instituten kommt die Ungenauigkeit durch unterschiedliche Institutsformeln hinzu.

Zuwachs bei der SPÖ 2%, Bei Neos 1%, bei Grünen 0%, bei Jetzt 0%. Die FPÖ verliert 5% und die ÖVP legt 4 zu. Berücksichtig man die statistische Schwankungsbreite in der Umfrage 04/19 und die Unbrauchbarkeit der Umfrage in 05/19 aufgrund statistisch nicht mehr ernstzunehmender 500 Personen, dann ist man hinterher genauso schlau wie zuvor.

Die letzten Werte stammen (wie man unschwer erkennen könnte) von einer Umfrage vom 20.05. und auch die restlichen Werte sind ident mit den Umfragen von Neuwal.

In Österreich bedeuten die 500 Personen eine Schwankungsbreite von 4,3% im Vergleich zu 3,1% bei 1000. Das sind keine wirklich hohen Werte, aber natürlich würde ich mir auch mehr Umfragewerte wünschen. Ich fürchte, dass erst die Wahl am Sonntag neue Zahlen bringen wird und selbst da haben wir ja nur ältere Umfragen als Vergleichswerte.

Die Werte aus der EU-Wahl sind allerdings allein schon aufgrund der extrem niedrigeren Wahlbeteiligung im Vergleich zu der dem Wähler wichtigeren Nationalratswahl (ca. 45% zu 75-80%) wenig aussagekräftig.