Niederrheinische Verlaufsform

Guten Morgen liebe Sprachbeflissene,

ich war heute Morgen meine Papierkörbe „am aus am Schütten“, da fiel mir diese niederrheinische Verlaufsform wieder ein.
Sie wird angewendet nur bei Verben, die mit einer Präposition gebildet sind, also beispielsweise:

Ich bin am ab am Nehmen
Ich bin am auf am Räumen
Ich bin am zu am Gucken

Diese Konstruktionen habe ich nur am Niederrhein gehört, genauer: am linken Niederrhein.
Oder gibt es die anderswo auch noch?

Gruß - Rolf

Tach Rolf,

zumindest noch im ganzen Ruhrpott kannze die Leute so am sprechen sein hören…

Gruß

Kubi

Hallo

zumindest noch im ganzen Ruhrpott kannze die Leute so am
sprechen sein hören…

Diese Aussage „im g-a-n-z-e-n Ruhrpott“ kann so nicht richtig sein, weder im Kreis Recklinghausen, in Bochum noch in Oberhausen habe jemanden so reden hören
In dem Ruhrgebiet, in dem ich aufgewachsen bin, ist man nur „am aufräumen“, aber nicht „am auf am räumen“.
Sollte Deine obige Ausdrucksweise „Ruhrsprech“ darstellen, möchte ich auch das bezweifeln. Diese Ausdruckweise ist viel zu kompliziert, das „sein“ ist definitiv zu viel.
Allgemein: Wahrscheinlich liegen viele Missverständnisse daran, dass so vermeidliche Erxperten wie Tegtmeier, Schanzara, Atze Schröder nur gekünzelt „Ruhrsprech“ sprechen, da sie dort auch nicht aufgewachsen sind. Das erkennt jeder, der dort aufgewachsen ist, den Unterschied zwischen dem rheinischen und westfälischen Teil sofort hörenb kann. Kurzum: Diese Versuche klingen für uns genauso erbärmlich wie für die Einwohner meiner Wahlheimat Österreich der alberne Versuch der Preußen, einen österreichischen Dialekt nachzumachen.

Grüße
Taju

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Moin Rolf

Oder gibt es die anderswo auch noch?

das ist, soweit ich weiß, im gesamten ripoarischen Sprachgebiet der Fall. http://de.wikipedia.org/wiki/Ripoarisch
siehe Überschrift :wink:

Gandalf

Moin, Rolf,

ich kenne zwar nicht das ganze Ruhrgebiet, sondern nur Gelsenkirchen, Bochum, Essen, Oberhausen, aber

am ab am Nehmen

ist mir in den zwanzig Jahren, die ich da verbracht habe, nicht begegnet. Da kann Atze Schröder noch so viel bellen, so spricht keiner. Vielleicht findet sich ja noch ein Kundiger, der uns bestätigt (oder widerlegt), dass die Verlaufsform am Abnehmen ihre Wurzeln im Polnischen hat.

Gruß Ralf

Guten Morgen, lieber Rolf,

obwohl schon Mittag vorbei. Wie Ralf und Taju halte ich diese Formen keineswegs für Ruhrpöttisch, sondern für ein von Karabettisten verballhorntes. Und dann von manchen Kreisen gern auf- und angenommenes.

Dies Form „am + Verb + sein“ ist übrigens eine gute deutsche Redenweise. Ich habe den lateinischen Satz: Bene navigavi, dum naufragium feci." stets mit: Ich war gerade so schön am schiffen, … übersetzt.

Sie wird angewendet nur bei Verben, die mit einer Präposition gebildet sind, also beispielsweise:

Du meinst die fehlerhaft verhunzte Gebrauchsweise, ja?

Diese Konstruktionen habe ich nur am Niederrhein gehört, genauer: am linken Niederrhein.

Bist du sicher, dass das reginalbedingt, also dialektal ist? oder ist es doch Soziolekt bei einer gewissen Gesellschafts- oder Bildungsschicht.

So wie Kanakdeutsch auch bloß was künstliches ist.

Gruß Fritz

Liebe Freunde,

danke erstmal für Eure zahlreichen Antworten.
Ich muß aber eins festhalten: Ich habe nie behauptet, diese Redeweise stamme aus dem Ruhrpott. Gehört habe ich sie von meiner eigenen Großmutter in einem Vorort von Krefeld; die ist 1973 gestorben und hat Tegtmeier oder irgendeinen Kabarettisten ganz bestimmt nie gehört.
Dann habe ich es gehört von meinem Freund und Nachbarn Hans in Schwalmtal, Kreis Viersen. Auch der kennt bestimmt keinen Kabarettisten.

Dies sind die beiden Personen, deren Stimmen ich noch im Ohr habe wenn ich an diese Konstruktion denke.

Gruß - Rolf

Lieber Rolg.
zu Deiner Beruhigung,

danke erstmal für Eure zahlreichen Antworten.
Ich muß aber eins festhalten: Ich habe nie behauptet,
diese Redeweise stamme aus dem Ruhrpott. Gehört habe ich sie

Deswegen habe ich zumindest auch nicht auf Dein Posting, sondern auf Kubis geantwortet.

von meiner eigenen Großmutter in einem Vorort von Krefeld; die
ist 1973 gestorben und hat Tegtmeier oder irgendeinen
Kabarettisten ganz bestimmt nie gehört.
Dann habe ich es gehört von meinem Freund und Nachbarn Hans in
Schwalmtal, Kreis Viersen. Auch der kennt bestimmt keinen
Kabarettisten.
Dies sind die beiden Personen, deren Stimmen ich noch im Ohr
habe wenn ich an diese Konstruktion denke.

WObei mir das wieder einen Anlass gibt, danach zu fragen, ob man so mit Dialekt, Soziolekt etc. immer weiterkommt, denn jedenfalls in meiner Familie gibt es auch eigene Konstruktionen, die sonst keiner kennt oder versteht. Eben legendäre Versprecher und auch Redewendungen, auch Verhörer - gerade auch bei grammatischen Konstruktionen.

Wie gesagt, ich wollte Dich sicher nicht angreifen. Nur etwas übellaunig muss man schon reagieren, wenn ständig „schiefes“ Deutsch immer gleich ins Ruhrgebiet verfrachtet wird. Witzig daran ist, dass Deutsche, um so weiter weg sie vom Ruhrgebiet wohnen, sich um so mehr als Experten dafür ansehen.

Grüße
Taju

Lieber Rolf,

zu solchen „schiefen“ Übernahmen kann es auf wunderlichten Wegen kommen.

Keiner muss Tegtmeier und Konsorten nicht am kennen sein, um nicht eine von diesen unter die Leute gebrachte Redeweise zu kopieren.

Und niemand muss Arkan und Stefan und wie die alle heißen kennen, um nicht mal zu sagen: Was du gugge. Isch disch mach Krankenhaus.

Dies sind die beiden Personen, deren Stimmen ich noch im Ohr habe wenn ich an diese Konstruktion denke.

Aha, alter Theologe, so hast aus zwei Fällen eine Regel gemacht. Nennt man sowas nicht eine erschlichene Veralgemeinerung? :wink:

Taju wies schon darauf hin, dass in Kleingruppen, seien es nun Familien oder Skatkränzchen oder Teerunden gern Wendungen geprägt werden, die von andern nicht verstanden werden können.

Unter uns Geschwistern - und wir sind ein starkes habes Dutzend hat das Wort „Golgafrincham“ eine klar umschrieben Bedeutung, die man anderen, die nicht Adams’ Hitchhiker gelesen, nur schwer klarmachen kann.

Mir geht es da ähnlich wie Taju. Es wird nicht schwäbischer oder schweizererdeutscher, wenn man an jedes Wort ein „le“ oder „li“ anhängt.

Aber wir wollen nun keine allzu bierernsthafte Sache draus machen. Ich finde solche Schnörkel der Sprache meist eher spaßig.

Gruß Fritz

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Wie gesagt, ich wollte Dich sicher nicht angreifen. Nur etwas
übellaunig muss man schon reagieren, wenn ständig „schiefes“
Deutsch immer gleich ins Ruhrgebiet verfrachtet wird. Witzig
daran ist, dass Deutsche, um so weiter weg sie vom Ruhrgebiet
wohnen, sich um so mehr als Experten dafür ansehen.

Liebe Taju,

ich habe mich nicht angegriffen gefühlt. Und: ich liebe das Ruhrgebiet, seine Bewohner, seine Sprache und seinen Humor.

Witzig daran ist, dass Deutsche, um so weiter weg sie vom Ruhrgebiet
wohnen, sich um so mehr als Experten dafür ansehen.

Aber doch wohl eher für die Unbewohnbarkeit desselben, oder?

Gruß - Rolf

Moin, Rolf,

Aber doch wohl eher für die Unbewohnbarkeit desselben, oder?

51 % der Fläche von Essen sind Grünflächen; gibt es im Süden eine Großstadt, die das von sich sagen kann? 1990 habe ich meine Verwandtschaft einen ganzen Tag lang kreuz und quer durch das Ruhrgebiet kutschiert, ohne dass sie auch nur ein Fitzelchen vom Tatort-Klischee gesehen hätten.

Gruß Ralf

Tach Ralf,

ich weiß das, weil meine Frau aus Bochum kam und lange in Essen gewohnt hat. Ich kenne das Herz des Ruhrgebiets ziemlich gut.
Aber - und das ist die alles entscheidende Frage - weiß das auch der Rest der Republik?
Und Du hast schon einen Teil der Antwort gegeben: Schimanski ist nicht ganz unschuldig am Ruf des Ruhrpotts.

Gruß - Rolf

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo Rolf,

obwohl ich im Schwäbischen aufwuchs, waren diese Konstruktionen in
meinem Elternhaus gang und gäbe. Es war uns bewußt, daß es nicht
gutes Deutsch ist, weshalb ich sie - wie manche andere Wort- oder
Satzschöpfungen - für familiären Ulk hielt.
Doch meine Mutter kam aus Dortmund und mein Vater aus Krefeld und
dieser Sprachgebrauch war zu einer Zeit üblich, als es im ganzen Ort
weder Fernsehen noch andere Möglichkeiten gab, von denen man sich das
hätte aneignen können.
Allerdings kenne ich niemand anderen als meine Eltern - und die kann
ich nicht mehr danach fragen - der diese Konstruktionen benützte. Das
aber mag vor allem daran liegen, daß ich im schwäbischen bzw.
schwäbisch-fränkischen Umkreis aufwuchs und lebe.

Schönen Gruß
Putna

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Servus,

das nicht reduplizierte „am“ + substantivierter Infinitiv ist im Schwäbischen normal: ich bin am Kochen, wir sind am Aufbrechen etc.

Schöne Grüße

MM

Hallo,

das nicht reduplizierte „am“ + substantivierter Infinitiv ist
im Schwäbischen normal: ich bin am Kochen, wir sind am
Aufbrechen etc.

ich bezog mich auf die Beispiele von Rolf, in denen jeweils 2x „am“
vorkommt, nicht auf die mir bekannte und auch selbst benutzte Version
1x „am“ + substantiviertem Infinitv. Ich hätte diese Form nicht
einmal auf das Schwäbische begrenzt. Auch lt. Duden Bd.9, Richtiges
und gutes Deutsch, 3. Auflage, S. 44, wird angegeben, daß es sich bei
dieser Verlaufsform um „landschaftliche Umgangssprache“ handelt
„(v.a. im Rheinland und Westfalen)“.

Schöne Grüße
Putna

Moin,

Diese Aussage „im g-a-n-z-e-n Ruhrpott“ kann so nicht richtig
sein,

Das mag sein.

weder im Kreis Recklinghausen, in Bochum noch in
Oberhausen habe jemanden so reden hören

Ich schon. In Oberhausen und Duisburg bin ich aufgewachsen, und ich kann Dir versichern, daß da Leute so sprechen.

In dem Ruhrgebiet, in dem ich aufgewachsen bin, ist man nur
„am aufräumen“, aber nicht „am auf am räumen“.

Normalerweise nicht, das stimmt schon, aber vorkommen tut’s schon.

Sollte Deine obige Ausdrucksweise „Ruhrsprech“ darstellen,
möchte ich auch das bezweifeln. Diese Ausdruckweise ist viel
zu kompliziert, das „sein“ ist definitiv zu viel.

Das stimmt allerdings, da habe ich auch bewußt übertrieben.

Allgemein: Wahrscheinlich liegen viele Missverständnisse
daran, dass so vermeidliche Erxperten wie Tegtmeier,
Schanzara, Atze Schröder nur gekünzelt „Ruhrsprech“ sprechen,
da sie dort auch nicht aufgewachsen sind.

Wie gesagt, ich bin dort aufgewachsen und habe so einiges gehört.

Grüße

Kubi

Lieber Rolf,

Witzig daran ist, dass Deutsche, um so weiter weg sie vom Ruhrgebiet
wohnen, sich um so mehr als Experten dafür ansehen.

Aber doch wohl eher für die Unbewohnbarkeit desselben, oder?

Ich jedenfalls habe kein Problem damit, wenn jemand das Ruhrgebiet nicht schön findet oder hier nicht leben möchte (wenn er mal da war), ich bekomme auch nach spätestens drei Tagen Depressionen in den Alpen… Die Städte sind halt nicht putzig, in Städten wie Gelsenkichen sieht man den Menschen die Armut immer mehr an, wer fährt freiwillig durch Duisburg-Bruckhausen? Für mich ist Heimat, über die A43 zu fahren und hinter Haltern über Lippe und Kanal, wohinter sich die CWH (so heißen sie immer noch bei mir) erstrecken. Wenn hinter diesem riesigen Chemiewerk die Sonne untergeht, sollte man „Bochum“ hören, und sollte man gerade schwanger sein, fängt man an zu heulen:wink:
Die Menschen des Ruhrgebiets sind ja auch nicht durch die Grünflächen geprägt, sondern durch die Industrie, und diese „Hässlichkeit“ gehört deswegen zu dem, was die Region schön macht. Aber wenn AUßenstehende es nicht mögen, kein Problem.
Mich stören eher diese von außen, zur Steigerung des eigenen Egos herangetragenen Urteile über Kultur und Lebensart, wobei ersteres angeblich nicht existent, letzteres primitiv sei, und die erbärmlichen Absetzbewegungen Ex-Ruhrgebietler gerade in akademischen Kreisen (da liegt Essen dann auch mal im Rheinland), wo man sich dann lieber mit Bayern oder B-W identifiziert. Die Rest-Deutschen glauben auch irgendwelche relevanten Aussagen treffen zu können, machen für alle Grammatikfehler das Ruhrgebiet verantwortlich ebenso wie natürlich der Ballermann nur von Pöttern bevölkert sei, was man hören könne…
Genauso übel der Sozialkitsch, bei dem man im Bergarbeiter den einfachen, ehrlichen aber selbstverständlich etwas dummen Mann sieht, garniert am Besten mit Hinweis auf die späte Gründung einer UNiversität im Ruhrgebiet, was aber jene Pseudointellektuellen wenigstens als geschichtsfern entlarvt.

Andererseits egal, wenn sich jemand an meiner Sprache stört, dann werde ich nie begreifen, warum ein süddeutscher Dialekt irgendeinen Mehrwert für sich beanspruchen sollte, oder, kurz, „Ich komm auch woher“:wink:

Dem Mod sei Dank für die Toleranz:wink:
Grüße
Taju

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Servus Taju,

das schöne an www ist, daß man immer wieder auf sprachliche und inhaltliche Juwelen stößt, wie hier.
Danke und Gruß aus einem putzigen Dorf im Speckgürtel von München.

Kai