Nietzsche und der getötete Gott

Wer hilft mir, mit ein paar kleinen Zeilen eine riesige Bildungslücke zu stopfen? Es heißt immer, daß Nietzsche der Dreh-und Angelpunkt der (ästhetischen) Moderne sei. Ich kenne leider nur die gängigen Phrasen zu dem Thema, weiß also noch nicht einmal, ob Nietzsche wirklich den altbekannten Ausspruch :„Gott ist tot“ überhaupt gemacht hat. Kann mir jemand kurz etwas dazu schreiben, so nach dem Motto: ‚Was ist eigentlich das Neue an den Thesen dieses Mannes gewesen .Vielleicht sitzt ja gerade ein(e) Hobbyphilosoph(in) vor dem Bildschirm kann noch nicht schlafen und denkt sich:"Ehe ich die ‚Alte‘ dumm sterben lasse, erzähl‘ ich der mal was über den Friedrich." Wär’ schön!

Liebe Frau Drumm,

zu diesem Thema habe ich vor Kurzem in einem ähnlichen Kontext einer Bekannten geschrieben:

"Wenn Sie eine Stunde reines Vergnügen genießen wollen, lesen Sie Heines Beschreibung dieses Vorgangs (gemeint ist der Tod Gottes) in seiner Schrift „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“. Ich zitiere aus der lobenswerten Ausgabe des Ostberliner Aufbauverlages. Nachdem Heine geschildert hatte, wie Kant mit allen Gottesbeweisen aufgeräumt, Gott als unerreichbar für die Menschenvernunft dargestellt hat, - Heine vergleicht diesen Gottesmord, 40 Jahre vor Nietzsche! mit dem Königsmord der Französischen Revolution -, fährt er fort:
„Diese betrübende Todesnachricht bedarf vielleicht einiger Jahrhunderte, ehe sie sich allgemein verbreitet hat - wir aber haben längst Trauer angelegt. De profundis!
Ihr meint, wir könnten jetzt nach Hause gehen? Beileibe! es wird noch ein Stück aufgeführt. Nach der Tragödie kommt die Farce. Immanuel Kant hat bis hier den unerbittlichen Philosophen tractiert, er hat den Himmel gestürmt, er hat die ganze Besatzung über die Klinge springen lassen, der Oberherr der Welt schwimmt unbewiesen in seinem Blut, es gibt jetzt keine Allbarmherzigkeit mehr, keine Vatergüte, keine jenseitige Belohnung für diesseitige Enthaltsamkeit, die Unsterblichkeit der Seele liegt in den letzten Zügen - das röchelt, das stöhnt - und der alte Lampe steht dabei mit seinem Regenschirm unterm Arm, als betrübter Zuschauer, und Angstschweiß und Tränen rinnen ihm vom Gesichte. Da erbarmt sich Immanuel Kant und zeigt, dass er nicht bloß ein großer Philosoph, sondern auch ein guter Mensch ist, und er überlegt, und halb gutmütig und halb ironisch spricht er: „Der alte Lampe muss einen Gott haben, sonst kann der arme Mensch nicht glücklich sein - der Mensch soll aber auf der Welt glücklich sein - das sagt die praktische Vernunft - meinetwegen - so mag die praktische Vernunft die Existenz Gottes verbürgen.“

Lampe ist der langjährige Kammerdiener Kants. Der Anfang des Zitats hat vielleicht Nietzsches Aphorismus 125 „Der tolle Mensch“ aus der „Fröhlichen Wissenschaft“ angeregt, in dem er den Tod Gottes verkündet. Heines Darstellung könnte übrigens von Jean Pauls „Rede des toten Christus herab von Weltgebäude, dass kein Gott sei“ aus „Siebenkäs“ inspiriert sein.

Hiermit: also „Aphorismus 125 „Der tolle Mensch“ aus der „Fröhlichen Wissenschaft““ ist die Stelle genannt, wo Nietzsche zum ersten Mal explizit und ausführlich vom Tod Gottes spricht. Dazu sind zwei Vorläufer, nämlich Heinrich Heine und Jean Paul, genannt.

Gemeint ist jedesmal, dass durch die Entwicklung der „objektiven Wissenschaft“ und deren Suche nach der Wahrheit, die in Kants kritischer Philosophie gipfelt, die tradierten Voraussetzungen eben dieser Wahrheit - Gott, reale Welt, Bewusstsein - als Illusion und zwar vielleicht als für den Menschen notwendige, aber eben doch nur Illusion entlarvt wird.

Damit ist jeder Sicherheit, jeder Gewissheit die Basis entzogen; darum sagt Dostojewski: „Wenn Gott tot ist, dann ist alles erlaubt.“ Das meint, dass auch jeder Moral die Grundlage und Begründung weggebrochen ist.

Wenn Sie nicht als „dumme Alte“ sterben wollen. lesen Sie die angegebenen Stücke von Jean Paul, Heine und die ganze „Fröhliche Wissenschaft“ von Nietzsche. Als Einstieg in Nietzsches Denken ist dieses nicht all zu umfangreiche Buch sicher sehr geeignet und dazu in vielerlei Hinsicht ein vergnüglicher Augenöffner.

Mit allerbesten Grüßen
Fritz Ruppricht

Hi,
Nietzsches Werke sind wissenschaftlich betrachtet auch heute noch aktuell. Wenn man seine werke studiert, sein persönliches
curriculum vitae mit hineinbezieht und dann irgendwo liest Gott ist tot,ist das einfach nur ein wissenschaftlicher Begriff, philosophisch definiert, der von jedem Individium differenziert verstanden wird. An sich war Nietz.ja ein tief religiöser Mensch, im Elternhaus sehr religiös erzogen, und im Laufe seines Lebens im Zusammenhang mit seiner ethischen Betrachtungsweise und seinen soziologischen Studien ist diese Religiösität umgeschlagen und sowie ich meine, aus seinen Zweifeln an den Gottglauben ist dieser Ausspruch dann von ihm getätigt worden.
Kann nur empfehlen, dich mal in seine Werke zu vertiefen und zur Kenntnis zu nehmen, wie er über dieses Thema philosophiert.
frdl. Gruß

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Vielen herzlichen Dank, Herr Ruppricht!
Sie haben mir ja schon mal geholfen, und damals war ich aehnlich begeistert, wie jetzt auch ueber ihre heutige ausfuehrliche Antwort.Ihre Beitraege sind wirklich gut lesbar und helfen wirklich weiter.
Ich werde mir Ihren Tipp zu Herzen nehmen, und hoffe, dass Sie WER-Weiss-Was noch lange ‚treu‘ sind.
Liebe Gruesse
Marcela

Wenn ich demnaechst Zeit habe, werde ich in der Tat versuchen, nicht nur ueber sondern auch von diesem Philosophen etwas zu lesen.Danke fuer Deine Antwort.
Marcela