hello kitty,
das Kapitel „Gestik“ - neben Körperhaltung und Mimik - ist überaus komplex, komplexer jedenfalls, als daß man es pauschalisierend mit einem Kleinen Einmaleins einer Bedeutungsliste erschöpfend abhandeln könnte. Und Gestiken zu „lesen“ bedarf zusätzlich eines erheblichen Maßes an Übung. Das Vokabular und die Grammatik dieser „Sprache“ ist unerschöpflich. Daher ist zum Beispiel mit „sich ins Gesicht fassen“ allein noch so gut wie gar nicht „gesagt“: Es kommt drauf an, wie und wo und wie lange. Außerdem sind Gesichtsgestiken natürlich vom kulturellen und gesellschaftlichen Kontext abhängig.
Es ist dabei daran zu denken, daß die Gesichtsberührung eine der intimsten Selbstberührungen ist, nach den Lippen und der Zunge im Mund. Und dabei ist in erster Linie zu unterscheiden, ob die Geste eine unwillkürliche Reaktion ist, die ausschließlich person-immanent von Bedeutung ist. oder ob sie zugleich eine interaktive Valenz besitzt, eine Signalwirkung nach außen, speziell an das unmittelbare Gegenüber.
Zu den Letzteren zählt zum Beispiel, wenn eine Frau seitlich durch ihr Haar streicht (ähnlich wenn sie den Kopf leicht anhebt und ihr Haar schüttelt): Signal für einen emotionalen bzw. erotischen Affekt, also ganz das Gegenteil von Unsicherheit.
Zu den Ersteren gehört etwa, daß 9 von 10 Frauen (insbesondere jüngere) die flache Hand vor den Mund halten, wenn sie
- laut lachen
- erstaunt sind
- verlegen sind
- überrascht sind, oder
- erschrocken sind.
Ferner (nicht gender-spezifisch) mit dem Ringfinger der eingerollten Hand die Unterlippe berühren, wenn man zum Beantworten einer Frage überlegen muß.
Ferner den Rücken des Zeigefingers unter die Nase halten („Psst, ich habe ein Geheimnis!“) , oder mit Zeigefinger und Daumen die Nasenspitze fassen, wenn man lügt (nach den Untersuchungen von Paul Ekman neben einigen mimischen Signalen eine eindeutige Geste).
Ferner mit dem Zeigefinger an die seitliche Stirn tippen bei der Exklamation „Ach, das hab ich ja ganz vergessen!“
Einigermaßen eindeutige Zeichen von Verunsicherung gibt es nach meiner Erfahrung unter den Gesichtsberührungen nur wenige. Das eindeutigste ist der Griff zum Ohrläppchen mit Daumen und Rücken des Zeigefingers. Möglich sind dafür sind aber auch, wenn überhaupt, Kinnberührungen: Die Finger der flachen Hand seitlich an den Unterkiefer, oder diesen mit Daumen und Zeigefinger fassen. Viel deutlicher sind aber Mimiken und Gestiken:
Für situative Verunsicherung:
- den Blick seitlich nach unten wenden
- die Lippen zusammenkneifen
- den Mund seitlich verziehen
Für generelle Unsicherheit bzw. Verlegenheit, die mehr in der Persönlichkeitskontur verankert ist:
- beim Sprechen mit Händen und Unterarmen symmetrisch gestikulieren
- die gespreizten Hände an den Fingerkuppen zusammenlegen
und natürlich
- die berühmte Merkel-Raute
Das von dir erwähnte Haar (wenn es lang genug ist) aus dem Gesicht streichen ist nicht eindeutig Zeichen von Unsicherheit. Allerdings, wenn eine Frau verlegen ist, wird es eher passieren. Und wenn, dann jedenfalls nur, wenn es mit einer Hand passiert. Aber umgekehrt dürfte die Schlußfolgerung nicht zulässig sein. Normalerweise hat das nämlich eine andere Valenz („Gesicht zeigen“ und „Hallo, hier bin ich! Schaut mich an!“), die noch deutlicher ist, wenn es parallel mit beiden Händen gemacht wird. Man findet es daher durchgängig bei Frauen, bei denen „Gesicht zeigen“ im Vordergrund ihrer Präsenz steht: Models und Filmschauspielerinnen (und solche, die es gerne wären). Julia Shaw („Das trügerische Gedächtnis - Wie unser Gehirn Erinnerungen fälscht“) macht es auch, aber extrem selten, und die ist nun wahrhaftig alles andere als unsicher. Daher ist es bei ihr gerade sehr auffällig, daß sie es demonstrativ nicht tut. Sie demonstriert, daß sie sich nicht nur ihrer Sache, sondern auch ihrer selbst sehr sicher ist.
Falls es aber manchmal eine Begleiterscheinung von Verlegenheit ist, scheint es mir eine indirekte Signatur zu sein, nämlich gerade die Abwehr von Unsicherheit: Die naheliegendste Signatur wäre ja gerade, das Gesicht unter dem Haar zu verbergen (wie man es in extremer Form bei Nastassja Kinski beobachten kann, die es btw. zugleich (!) auch wieder wegstreicht). Die Signatur wäre demnach: „Nein, ich zeige meine Verlegenheit nicht!“
Gruß
Metapher