Noch mal nachgefragt

Hallo Hanzo,

so leicht ist das nicht zu durchschauen, wer Christ ist, und wer nicht. Dein Beispiel mit dem Formel-1-Fahrer ist insofern eher unpassend, da ja niemand sagt, er „sei“ Rennfahrer, wenn er nicht Rennen fährt, höchstens er belügt andere, um ihnen zu imponieren, aber das meinte ich nicht. Vielmehr geht es darum, dass Menschen kulturell eine Identität besitzen, zum Beispiel ein Totem. Das Totem ist der absolut höchste Wert. Alle Mitglieder der (primitiven) Kultur sind damit identifiziert. Zum Beispiel kann ein abgeschnittener Fuß eines Büffels, als Trophäe, zu einem Totem werden, das wie ein Gott verehrt wird, und das Totem wird dann für alle Stammesmitglieder zu einem Tabu, das nicht in seiner „Wahrheit“ bezweifelt werden darf, darüber wachen die Machthaber des Stammes.

Wenn jetzt noch dazu der abgeschnittene Büffelfuß in gelbe Farbe getaucht wurde, vom Schamane oder Medizinmann, dann identifizieren sich alle Stammesmitglieder mit dem gelben Büffelfuß noch sehr viel intensiver, und der Stamm definiert sich deshalb z. B. als Gelbfußindianer, die sich die Füße gelb anmalen, um anderen außerhalb des Stammes zu signalisieren: Seht, ich bin Mitglied des Stammes der Gelbfüßler!

Dasselbe geschieht meines Erachtens, allerdings auf einem sehr, sehr viel höheren Niveau, wenn viele Christen ein Kreuz offen sichtbar tragen, das Kreuz wird zu einem äußerlichen Signal und zum Zeichen der Identität.

In Bezug auf Hitler ist das nicht so einfach, aber er wurde als Christ erzogen, und nach den O-Texten, die mir aus seinem Buch „Mein Kampf“ vorliegen, identifizierte er sich auch als Christ, ebenso wie der philosophisch gebildete Dr. Josef Goebbels als sein Propagandaminister. Auch viele andere Nazi-Größen waren jedenfalls ebenso (esoterische) Christen. Die Frage ist die, ob man als Außenstehender einem seinen Glauben absprechen kann, wenn er sich damit selber identifizieren will?!

Und in der Philosophie, und allgemein in der Menschheitsgeschichte, ist meines Erachtens die Frage nach der eigenen Identität die Kernfrage, die alle Menschen seit den Anfängen der Kultur, beschäftigt. So auch zum Beispiel, wenn Descartes allen Glauben zuerst in Zweifel zieht, um dann in seinen „Meditationen“ sich selbst zum Mittelpunkt seiner Identität zu machen, mit dem berühmten Satz: "Ich denke, also BIN ich!"

Dieses logische Beweisführung der eigenen (aufgeklärten) Identität ist natürlich für jede Art von Glauben nachzuvollziehen, war aber nicht die Frage. Die Frage war, kann ich die Identität eines anderen infrage stellen, wie z. B. bei Hitler, indem ich sage: Der war bestimmt kein Christ!? Aber, wenn er sich doch damit seit seiner Kindheit, bewusst oder unbewusst, damit identifizierte, so ähnlich, wie ja ein Christ nicht nur sagt, ich glaube an die Lehre von Jesus Christus, sondern sagt:

Ich BIN Christ!!!

Es geht mir also nicht nur um den oberflächlichen Glauben an eine Konfession, sondern um die verinnerlichte Identität, die ja schon mit der Erziehung beginnt und auch unbewusst als Tatsache empirisch nachweisbar ist, durch automatische Reaktionen. Und meine Frage bezüglich Hitler, ist die, kann man Hitler als Außenstehender, auch wenn er unbestritten von mir der größte Verbrecher der ganzen Menschheitsgeschichte war, seine Identität, die ja allein schon durch seine Erziehung ein fester innerer Bestandteil seiner Identität ist, absprechen, das würde mich interessieren, das geht viel tiefer, als nur ein bekennender Glaube. Meines Erachtens ist diese Frage auch der ganze Kern der Philosophie, zumindest seit Sokrates, über Schelling, bis zu dem deutschen Fernsehphilosophen und Buchautor Dr. Richard David Precht, mit seiner Grundsatzfrage: „Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?“

Eine universelle Theorie aus dieser philosophischen Grundsatzfrage ist die Selbst-Modell-Theorie, wobei das größte Problem der heutigen Philosophie und Wissenschaft das ist, was man das Problem der QUALIA nennt. Meines Erachtens ist das Problem der inneren Qualiät des subjektiven Empfindens, allein wissenschaftlich nicht lösbar, auch nicht mit der Selbst-Modell-Theorie, mit der man auch alle Religionen einschließt.

Gruß
C.