Hallo Beabel,
die Sicht deines Sohnes kann ich verstehen. Das sportliche Leistungsniveau der Kinder der Klasse meiner Tochter ist allerdings durchweg sehr homogen und hoch, da sie ja gerade das Merkmal der hohen Sportlichkeit eint bzw. sie ganz gezielt nach dieser Stärke ausgewählt wurden (und deshalb auch totale Bewegungsjunkies sind@Franzi ) . Und es gibt eben auch noch zwei weitere Sportklassen als Parallelklassen. Die werden nach konventionaller Manier beim Sport bewertet und tragen regelmäßig ihre 1 im Zeugnis nach Hause. Bei uns sind von 30 solcher bisherigen 1er-Kandidaten nach der neuen Bewertungspraxis nun nur noch 2 Kinder übrig geblieben, die eine 1 haben. Einige sind sogar auf 3 abgerutscht. Die Kids sind allesamt total enttäuscht und traurig bis sauer wegen der empfundenen Ungerechtigkeit, doch der Lehrer schaltet auf stur. Er hat übrigens auch den Charakter der Sportstunde dahingehend verändert, dass sie zu einem großen Teil nur noch aus Theorie besteht und die Kids, die - wie oben schon geschrieben - überaus bewegungsfreudig sind, die Lust am Sportunterricht sukzessive verlieren. Aber das ist noch ein anderes Thema.
Ich gebe dir recht, dass sich Lehrereinschätzungen stark unterscheiden können und auch generell Messlatten unterschiedlich hoch gelegt werden. Wer kennt das nicht aus seiner eigenen Schulzeit, wenn der Lehrer wechselte - im Guten wie im Schlechten. Dennoch ist es so, dass es zumeist klaglos hingenommen wird, wenn in Fächern wie Bio, Physik, Erdkunde o. ä. der eine Lehrer 2-3 Tests schreiben lässt, der andere seine Note ganz ohne schriftliche Nachweise vergibt.
Beim Sport sind diese Komponenten aber eher unüblich - vor allem in der Mittelstufe. Das fand ich auch in Gesprächen durchweg bestätigt, die ich mit Freuden, Bekannten etc. zum Thema führte. Alle vertraten die Auffassung, die Sportnote repräsentiere die motorischen Fähigkeiten eines Kindes, ggfs. floss noch dessen sportliches Sozialverhalten (z. B. beim Aufbau von Parcours, Bereitschaft zur Bewältigung der sportlichen Herausforderung) ein. Keiner meiner Gesprächspartner hatte schriftliche Tests und mündliche Beteiligung auf dem Schirm. Und genau das ist auch mein Kritikpunkt: Die vergebenen Noten verleiten Außenstehende zu einer falschen Interpretation auf Basis dieser gängigen konventionellen Sicht. Man kann leicht zur faktisch völlig verfehlten Annahme gelangen, die Kinder seien lediglich durchschnittlich sportlich. Die Kinder unserer Klasse sind aber genauso hervorragende Sportler wie die Kinder der anderen Sportklassen (das hat sogar unser Sportlehrer bestätigt). Nur bekommen sie eben 2en und 3en, während die anderen weiterhin ihre 1 kriegen.
Jedes Kind ist doch stolz darauf, wenn es etwas ganz besonders gut kann. Kinder von Sportklassen freuen sich über ihre sportlichen Fähigkeiten, die ihnen von diesem Mann nun über eine fragwürdige Gesamtnote abgesprochen werden bzw. mit der sie unter Rechtfertigungsdruck geraten. Die Krux an der Sache ist aber leider, dass sie an vielen Stellen gar nicht erst die Möglichkeit für diese Rechtfertigung bekommen werden. Sie werden einfach als durchschnittliche Sportler aussortiert, wenn dafür einzig die Note für die Bewertung zu Grunde gelegt wird. In Auswahlprozessen ist das gängige Praxis und so sind sie raus.
Idealismus hin und her - mir will es nicht in den Kopf, wie ein junger Sportpädagoge auf diese Weise die Kinder so herunterziehen und ihrer Chancen berauben kann.
LG
Kirsten