Notwasserung bei Reisegeschwindigkeit möglich?

Moin,

es gab da ja diesen Flugzeugabsturz in Amsterdam bei dem die rechte Tragfläche so beschädigt war, dass beim einleiten des Landeanflugs und Verringerung der Geschwindigkeit ein einseitiger Strömungsabriss zum Absturz führte:

http://de.wikipedia.org/wiki/El-Al-Flug_1862

Nun steht in dem Artikel:
Wie sich (…) herausstellte, war der Absturz von Flug 1862 nach den Beschädigungen des rechten Flügels durch keine fliegerische Vorgehensweise aufzuhalten.
(…)
Daran hätte sich auch nichts geändert, wenn die Crew das wahre Ausmaß der Beschädigungen gewusst hätte, wozu sie aber gar nicht die Möglichkeiten hatte.

Angenommen, sie hätten es doch alles gewusst, wären sie sicher nicht noch über eine Stadt geflogen sondern vermutlich übers naheliegende Meer.
Was hätten sie dann tun können? Kann man ohne Landeklappen mit „Reisefluggeschwindigkeit“ dicht übers Wasser fliegen? Kann man auf Grund des Bodeneffekts sogar langsamer werden?
Eine Notwasserung ist ja eh immer sehr schwer, aber hätten in dieser Frachtmaschine nicht alle Personen bis auf einen Piloten (das wären drei gewesen) sich an einen „etwas“ sicheren Ort „zurückziehen“ können um ihre Überlebenschance wenigstes etwas zu erhöhen? Kann man in einer Frachtmaschine überhaupt „rumlaufen“?

Dank und Grüße,
J~

Wenn es möglich wäre, dass so ein Flugzeug auf dem Wasser gleitet, hätten sie wohl eine Chance. Aber das passiert real nicht. Irgendein Teil des Flugzeuges taucht ins Wasser ein und wird ruckartig gebremst und vermutlich dabei abgerissen. Das reisst den Flieger aus der Position und sorgt dafür, dass er zerfetzt wird.

Es gibt ein Video von einer mißglückten Notlandung, wo genau das passiert ist - und die hatten Notlandegeschwindigkeit.

Wenn so ein Flugzeug mit Reisegschwindigkeit (zu dem Zeitpunkt wohl so etwa 300 km/h) auf das Wasser aufsetzt, sollte es zu einem extrem schnellen Abbremsen kommen, der das Flugzeug mit einiger Wahrscheinlichkeit in Stücke reisst - die Besatzung ist dann aber vermutlich schon tot, weil kein Mensch die wirkenden Beschleunigungskräfte aushält.

Tach,

Angenommen, sie hätten es doch alles gewusst, wären sie sicher
nicht noch über eine Stadt geflogen sondern vermutlich übers
naheliegende Meer.

Ist natürlich Spekulation… Wenn man sicher WEISS, dass es zum Absturz kommt und trotz der vermutlichen Schockstarre/Panik/Todesangst noch eine heldenhafte Handlung abliefern kann, wird man wohl dahin zu steuern versuchen, wo man keine Dritten gefährdet.

Aber dazu muss man zum einen die Erkenntnis haben, dass es anders keine Rettung mehr gibt, muss zu einer Entscheidungsfindung fähig sein und obendrein noch die Flugrichtung bestimmen können.

Die normale Reaktion, solange einen die Panik nicht völlig lähmt, dürfte der verzweifelte Versuch sein, sein Leben zu retten - und das bedeutet in einem Flugzeug, „land on next suitable airport ASAP“.

Wahrscheinlich wägt ein MEnsch in einer solchen Extremsituation nicht so ab, wie wir hier am grünen Tisch, sondern fokussiert sich reflexhaft auf das Naheliegende, also „Flughafen erreichen“ oder „tödliche Kollision mit „was auch immer“ vermeiden“. Die Idee, wenigstens andere zu retten, dürfte wohl selten bewusst getroffen werden.

Was hätten sie dann tun können? Kann man ohne Landeklappen mit
„Reisefluggeschwindigkeit“ dicht übers Wasser fliegen? Kann
man auf Grund des Bodeneffekts sogar langsamer werden?

Theoretisch kann man auch in geringer Höhe über das Wasser fliegen. Praktisch wird das in einer solchen Situation kaum machbar sein.
Es fehlen Referenzen/Werte für die notwendige Geschwindigkeit - schließlich weiß niemand welchen Auftrieb die beschädigte Tragfläche hat und wie die verlorenen Triebwerke sich aerodynamisch auswirken. Man verliert hier einerseits Schubkraft, hat zugleich aber geringeren Drag…
Angesichts der hydraulischen Ausfälle (schwer eingeschränkte Steuerbarkeit des Flugzeugs) und aerodynamischer Veränderungen hat die Crew keine realistische Chance. Das alles noch in einer solchen Stresssituation…

Eine Notwasserung ist ja eh immer sehr schwer, aber hätten in
dieser Frachtmaschine nicht alle Personen bis auf einen
Piloten (das wären drei gewesen) sich an einen „etwas“
sicheren Ort „zurückziehen“ können um ihre Überlebenschance
wenigstes etwas zu erhöhen? Kann man in einer Frachtmaschine
überhaupt „rumlaufen“?

Kann man. Aber wohin soll man gehen? Wenn das Flugzeug mit einigen hundert Stundenkilometern aufprallt wird es sehr wahrscheinlich in Millionen Teile zerbersten. Die Beschleunigungskräfte sind so enorm, dass der menschliche Körper rein biodynamisch zerfetzt wird. Ob man dabei hinten zwischen den Frachtpaletten kauert oder vorne sitzt ist am Ende egal.

Offenbar war der Crew ja nicht bekannt, dass sie die Geschwindigkeit nicht reduzieren kann. Sie hätten mit einer hydraulisch beschädigten Maschine eh kein lehrbuchmäßiges Ditching hinbekommen, wären vermutlich irgendwann wie ein Stein herabgefallen.

Bei Swissair 111 war das größte unbeschädigte Körperteil, das später gefunden wurde, eine Kniescheibe. Bei 229 Menschen an Bord gibt dir das einen ungefähren Anhaltspunkt, welche Kräfte dort gewirkt haben müssen…

Gruß,

MecFleih

Es gibt ein Video von einer mißglückten Notlandung, wo genau
das passiert ist - und die hatten Notlandegeschwindigkeit.

Das war eine Ethopian Airlines B767, die entführt worden war. Die Entführer wollten nach Australien, wofür die Maschine aber nicht betankt war.
Weil die Täter das aber nicht glauben wollten war irgendwann der Treibstoff verbraucht, die Triebwerke sind erloschen. Damit stand auch die gewohnte Hydraulik nicht mehr zur Verfügung, es gab nur noch die lebensnotwendigsten Funktionen über ein Notsystem.

Das Flugzeug hatte daher keine „Notlandegeschwindigkeit“, sondern war mit einer eigentlich noch viel zu hohen Geschwindigkeit unterwegs. Allerdings hatte der Kapitän die Geschwindigkeit in einer fliegerischen Meisterleistung dennoch so weit reduziert, wie es ihm unter diesen Bedingungen und angesichts der Vorgeschichte möglich war.

Gruß,

MecFleih

Hallo,

es gab da ja diesen Flugzeugabsturz in Amsterdam bei dem die
rechte Tragfläche so beschädigt war, dass beim einleiten des
Landeanflugs und Verringerung der Geschwindigkeit ein
einseitiger Strömungsabriss zum Absturz führte:

Weil ich gerade in der letzten Woche in einer Doku: „Mayday, Alarm im Cocpit“ diesen Unfall und die nachfolgenden Untersuchungen sah, kann ich mich erinnern, dass die Maschine abstürzte, als die Geschwindigkeit ca. 500 km/h unterschritt. Bis zu dieser Geschwindigkeit reichte der Auftrieb der rechten Tragfläche gerade noch aus (das wußten die Piloten natürlich nicht).
Mit dieser Geschwindigkeit auf dem Wasser aufzusetzen, hätte die Maschine sicherlich zerfetzt. Die Opfer in den Häusern hätten vermieden werden können.
Den Piloten ist kein Vorwurf zu machen. Sie wollten halt auf dem Flugplatz landen und ahnten den Zusammenhang mit der Fluggeschwindigkeit nicht.
Es war ein grauenhafter Unfall.
Die Piloten konnten trotz der beiden abgefallenen Triebwerke
noch -glaube ich- ca. 10 Minuten die Maschine in der Luft halten.

Gruß:
Manni

Hallo J~,

prinzipiell ja. Je nach Gewicht des Flugzeugs liegt z.B. bei einem A340 die normale Mindestgeschwindigkeit ohne Klappen in Meereshöhe zwischen ~200 und 270 kts. Langsamer kann man natürlich noch werden, allerdings ist irgendwann die Grenze erreicht. Idealerweise wird man so langsam wie möglich und setzt dann mit ~15-17° Anstellwinkel auf der Wasseroberfläche auf.
Prinzipiell ist so eine Landung zu überleben, ABER: Der alte Spruch ist wahr: Wasser ist wie Beton, wenn Du schnell bist. Eine blöde Welle, ein falsch eingeschätzter Abstand zwischen zwei Wellenbergen, eine Milisekunden zuerst aufsetzende Engine (vor der auf der anderen Seite) - und schon kann es Dich zerreißen…

Gruß,

Nabla

Hallo,

ich denke das war ja das Gemeine an der Situation in der die Piloten waren: Eine Tragfläche war mehr oder weniger Trümmerwerk, die andere intakt.

Dies führte dazu, dass eine Fläche ständig kurz vorm Stall war, die andere fühlte sich noch wohlumströmt.

Bei einer Wasserlandung wäre also selbst unter Ausreizung des Groundeffekts irgendwann die rechte Fläche zuerst runtergegangen. Und das gibt dann das, was man in der Segelfliegerei einen „Ringelpietz“ nennt. Nur dass ein Segelflugzeug das (meistens) überlebt, ein Jumbo wäre wohl in alle Einzelteile zerlegt.

Aber letztendlich hatten die Piloten nicht die Informationen, nach letztem Kenntnisstand haben die ihren Job souverän beherrscht und ich finde das sollte man einfach so stehen lassen.

Grüße
Lumpi