Ökostrom - Fragen zum Stromseemodell und zum Stromhandel

Hallo,

wenn es um das Thema Ökostrombezug geht, wird gerne auf das Stromseemodell
verwiesen, um zu erklären, wie sich der Bezug von Ökostrom ökologisch positiv auf dessen Mischungsverhältnis auswirkt. Dazu möchte ich ein paar Fragen stellen.

Es heißt, dass die Ökostromanbieter den von ihren Kunden bezogenen Strom in den See einspeisen müssen, und damit andere Stromquellen verdrängen. Daher Frage #1: wie soll diese Verdrängung funktionieren? Dazu aber erst ein paar Gedanken meinerseits:

Der Ökostromanbieter ist ja verpflichtet, den Strom, den er an seine Kunden verkauft, von den entsprechenden Erzeugern einzukaufen. Bei den Erzeugern handelt es sich dann beispielsweise um die Betreiber von Wasserkraftwerken, Windkraftanlagen, Photovoltaikanlagen, etc.

Aber: würden die Betreiber dieser Anlagen den Strom nicht an den Ökostromanbieter verkaufen, so müssten sie den erzeugten Strom doch so oder so verscherbeln, oder? Der Anlagenbetreiber geht ja nicht hin und stellt sein Windrad oder seine Wassermühle ab, nur weil am Markt nicht genug Kunden explizit nach Ökostrom nachfragen. Nein, seine Einspeisung erfolgt einzig nach dem physikalischen Gegebenheiten des Wetters. Erzeugt er mehr Ökostrom, als am Markt explizit nachgefragt wird, wird dieser, wenn ich richtig informiert bin, einfach als Graustrom an der Börse verkauft (liege ich da richtig? = Frage #2).

Fest steht doch: er muss seinen erzeugten Strom auf irgendeinem Wege loswerden, sei es explizit als Ökostrom über entsprechende Anbieter, oder sei es als Graustrom über die Börse, oder wie auch immer (welche Optionen gäbe es denn da noch? = Frage #3). Ladenhüterdasein geht bei Strom ja schlecht…

Worin besteht denn dann der besagte Verdrängungseffekt? Der entschiedene Wechsel einiger Kunden zu Ökostromanbietern führt dann doch letztlich nur dazu, dass von dem ohnehin erzeugten Ökostrom ein größerer Anteil auch explizit als solcher ausgewiesen wird, oder?

Wie ich gelesen haben, garantieren manche besonders streng zertifizierte Ökostromprodukte anscheinend sogar eine zeitgleiche Einspeisung, also einen Einkauf unter Berücksichtigung der zeitlichen Bedarfsschwankungen der Kunden anhand deren Lastprofile. Wenn dies der Fall sein sollte, kann ich nachvollziehen, dass durch den Bezug solchermaßen zertifizierten Ökostroms gewährleistet ist, dass die bezogene Strommenge auch tatsächlich irgendwo zeitgleich in EE-Anlagen erzeugt wird. Doch wie bereits angesprochen: das wäre sie doch so oder so, also auch wenn man sich nicht zu einem Wechsel zu einem Ökostromanbieter aufgerappelt hätte – oder?

Beim Ausformulieren dieser Frage, habe ich womöglich gerade eine Erklärung auf meine Frage #1 gefunden. Besteht der gewünschte Verdrängungseffekt also darin, dass der Kunde eines streng zertifizierten, lastprofilgerechten Ökostromproduktes quasi für einen höheren Mindeststandard sorgt mit Bezug auf die Ökostrommenge, die im Mischungsverhältnis in den deutschen Stromsee einfließt? Denn der Strom, den er als Kunde bezieht, muss in diesen See einfließen. Es kann zwar sein, dass seine bezogene Strommenge auch ohne seinen Anbieterwechsel in den See eingeflossen wäre. Durch seinen Ökostrombezug sorgt er aber in dieser Sache immerhin für Garantie. Und durch das Setzen eines solchen Mindeststandards besteht wiederum auf Seite der Anlagenbetreiber ein wirtschaftlicher Anreiz und/oder technischer Druck, die nachgefragte Menge auch erzeugen zu können. Wenn dies aber aufgrund einer steigenden deutschlandweiten Anzahl an Ökostromkunden nicht mehr möglich sein sollte, sollte dieser Umstand dazu führen, dass er und andere Betreiber ihre Erzeugungsanlagen aufstocken.
Was mich zu einer weiteren Frage führt: Was machen die streng zertifizierten Ökostromanbieter eigentlich, sollte auf Betreiberseite nicht genug Einspeisung möglich sein? Müssten sie dann tatsächlich Kunden ablehnen? (= Frage #4)

Was Frage #1 betrifft: Liege ich mit dieser Erklärung, die ich mir gerade selbst zurechtgelegt habe, aus Eurer Sicht richtig? Der Stromhandel ist ein ziemlich abstraktes Geschäft, daher können hier aus meiner Sicht leicht Missverständnisse aufkommen. Habe ich etwas womöglich nicht richtig verstanden? Oder seid ihr ganz anderer Auffassung?

Bin gespannt auf Eure Antworten!

Danke und beste Grüße
Irmfried

Ja.

Ja.

Ja, oder er schaltet seine Anlage ab.

Das gute Geld wírd aus dem Geldbeutel irgendeines Naivlings verdrängt. Die Stromanbieter müssen ohnehin den Ökostrom einkaufen, sie kaufen aber nicht mehr oder weniger davon ein, nur weil irgendwelche Naivlinge ihnen einen überteuerten Tarif bezahlen.

Schau mal in die AGB der Anbieter, da gibt es dann schon Schlupflöcher.

Im Steuerrecht kennen wir ja eine besondere Steuer, die nicht vom Staat, sondern von Finanzmaklern, Versicherungsvertretern, Heilpraktikern und eben auch Ökostromanbietern erhoben wird: die Dummensteuer.

Servus,

das ist derzeit eine akademische Frage. Der Strombezug zu „öko“-Tarifen macht derzeit gut vier Prozent des gesamten Stromverbrauchs in Deutschland aus, das ist nur ein Fitzelchen mehr als die Stromerzeugung mit Wasserkraft, die in Grundlast immer da ist. Was darüber hinaus für „Öko“-Tarife gebraucht wird, lässt sich 24 Stunden am Tag aus irgendwelchen „Öko“-Quellen besorgen.

Schöne Grüße

MM

Ökostrom muss bevorzugt angenommen werden. Andere Kraftwerke müssen die Leistung dann anpassen, also senken. Dabei kann es zu schlechteren Wirkungsgraden kommen, das wird aber hingenommen.

Ich kenne die Regeln der Börse nicht. Da aber Ökostrom angekauft werden muss, muss er auch verkauft werden. Schlimmstenfalls umsonst, im aller schlimmsten Fall mit negativen Strompreisen.

Da sind dann die negativen Strompreise, die es m.W. auch schon mal gab.
Zum Glück ist die Vorhersage der Ökostromerzeugung ganz gut.
Und im Extremfall fahren Ökostromerzeuger die Leistung herunter, bis sie sich sogar abschalten.
Bei 50,2Hz Netzfrequenz war einmal eine abrupte, komplette Abschaltung PFLICHT. Mittlerweile wird schrittweise heruntergefahren (Google „50,2Hz Problem“).

Das ist zur Zeit nicht zu erwarten. Es gibt genug „grundlastfähige“ Anlagen.
Wenn mehr Kunden dazu kommen, dann muss mehr in solche Anlagen bzw. in Energiespeicher investiert werden.

Ökostrom-Tarife bringen der Umwelt dann etwas, wenn der Anbieter Gewinne einfährt und diese in den Ausbau der regenerativen Energien steckt. Sonst ist es nur eine Umverteilung. Je mehr Kunden Ökostrom beziehen, desto schwärzer wird halt der Strom für die Restkunden.

Servus,

am Rande: Es gibt da außer der Sache mit den Gewinnen auch ein Liquiditätsthema, vgl. der überraschende Ausstieg von RWE aus dem bereits detailliert projektierten weiteren Ausbau der Stromspeicherseen im Hotzenwald.

Schöne Grüße

MM

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