Was heisst hier gepanscht?
Salü,
Markenöle, die in großen Mengen gleich aussehen und schmecken
müssen, müssen zwangsläufig aus verschiedenen Herkünften
vermischt werden. Der Unterschied zwischen einem guten
Olivenöl vom Gardasee und einem guten Olivenöl aus Agrigento
ist dramatisch, auch wenn sie bei gleichem Reifegrad der
Oliven etc. gewonnen werden.
das ist natürlich völlig richtig. Es ist auch bei einem „natives Olivenöl Extra“ (höchste gesetzlich definierte Qualitätsstufe) durchaus zulässig, eine ‚Cuvée‘ zu produzieren, also Olivenöle unterschiedlicher Herkunft zu mischen. Bedenklich (aber noch nicht illegal) wird es, wenn minderwertige Öle aus Spanien oder Griechenland (bevorzugt aus Mani im Peloponnes) nach Italien importiert werden, ein wenig italienisches Öl beigemischt wird und das Ganze dann als ‚italienisches Olivenöl‘ verkauft wird, weil eben italienisches Öl unbegreiflicherweise immer noch einen guten Ruf hat und höhere Preise erzielt als spanisches oder griechisches Öl.
Das Olivenölgeschäft hat ein Volumen von ca. 10 Milliarden € - mit steigender Tendenz wegen des wachsenden US-amerikanischen Marktes. Etwa die Hälfte davon wird in Italien abgewickelt. Der Olivenölproduzent Casa Olearia beispielsweise ist gleichzeitig einer der größten Olivenöl importeure Europas. Leonardo Marseglia, damals leitender Direktor der passenderweise im Örtchen Monopoli beheimateten Firma, räumte einmal ein, man müsse pro Jahr 600.000 bis 700.000 Tonnen Öl importieren „um viele schlechte, übel riechende hiesige Ölsorten durch Mischung zu retten“ - insbesondere betrifft das apulische Öle.
Das - die Mischung mit ausländischen Ölen - ist übrigens völlig legal. Es ist sogar legal, wenn in italienischem Olivenöl kein einziger Tropfen einer in Italien gewachsenen Olive steckt. Hauptsache, die Flasche oder der Kanister wurde in Italien abgefüllt. Das hat eine spanische Firma vorgeführt, die die von Dir erwähnte italienische Firma Bertolli aufgekauft und fortan in Spanien erzeugtes Olivenöl in Italien abgefüllt und als italienisches Olivenöl verkauft hat. Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode.
Der oben erwähnte Leonardo Marseglia bekam lediglich Probleme, als er tunesisches Öl nach Italien schmuggelte und es als Öl europäischer Herkunft deklarierte, um den Zoll zu sparen und EU-Fördergelder für das afrikanische Öl zu kassieren. Passiert ist ihm natürlich nichts, 2004 wurde das Verfahren wegen Verjährung eingestellt. In einem anderen Fall sprudelte die Ölquelle auch noch in der Türkei, 22 Millionen € EU-Zölle sollen hinterzogen worden sein. Mittlerweile macht Marseglia in Biodiesel - Spötter sagen: immer noch dieselbe Branche, nur stimmt jetzt das Etikett …
Wie gesagt - das alles ist legal und nicht „gepanscht“ - so lange das Öl nicht als ‚DOP‘ (bzw. deutsch g.U. - geschützte Ursprungsbezeichnung) deklariert ist. Wobei diese Ursprungsbezeichnung keineswegs eine bestimmte Qualität garantieren soll - lediglich die Herkunft.
Gepanscht ist Öl - das ist zumindest der Normalfall - wenn als „natives Olivenöl Extra“ (Extra Vergine) oder auch nur „natives Olivenöl“ (Vergine) deklarierte Öle mit chemisch geschöntem (raffiniertem und desodorierten) Lampantöl gestreckt werden. Lampantöl ist im Originalzustand ungenießbar, darf jedoch nach Raffinierung, Desodorierung und Vermischung mit etwas nativem Olivenöl in den Handel gebracht werden - natürlich nur als einfaches Olivenöl ohne Zusatz ‚vergine‘ / nativ bzw. 'extra vergine / nativ extra.
Bei italienischen Ölen sind gepanschte mittlerweile der Normalfall. Schon 2004 ließ das ZDF gemeinsam mit den Zeitschriften Stern, Merum und Slowfood-Magazin 31 Öle (alle angeblich nativ extra) aus dem deutschen Lebensmittelhandel untersuchen - lediglich eines trug diese Bezeichnung zu recht, 9 weitere hätten nur als nativ gehandelt werden dürfen und sage und schreibe 21 waren billigste aufbereitete Lampantöle. Durch den bei hohen Temperaturen durchgeführten Raffinierungsprozess wird das Öl zwar genießbar (von Wohlgeschmack kann selbstredend keine Rede mehr sein), verliert aber sämtliche gesundheitsfördernden Eigenschaften.
Aber selbstverständlich wird nicht nur mit Lampantöl (das immerhin tatsächlich aus Oliven erzeugt wird) gepanscht - auch teilweise hydrierte Pflanzenöle (hauptsächlich brasilianisches Sojaöl) eignen sich hervorragend zum Panschen und sind noch billiger als Lampantöl. Womit auch die oben angedeutete Verbindung zum Biodiesel hergestellt wäre … 2005 wurde ein Posten von 100.000 Tonnen Öl beschlagnahmt, das in Deutschland als ‚Olivenöl extra vergine‘ verkauft werden sollte - es handelte sich vor allem um geschmackstechnisch aufbereitetes Rapsöl, das mittels Karotin und Chlorophyll eingefärbt wurde, so dass es wenigstens äußerlich Olivenöl ähnelte. Das (teilweise hydrierte Pflanzenöle) ist dann schon einen Schritt weiter als nur „nicht gesundheitsfördernd“ - das ist schon gesundheitsschädlich.
Legal ist diese spezielle Art Panschen übrigens wiederum bei ‚normalen‘ Olivenölen (ohne ‚vergine‘- oder ‚extra vergine‘-Zusatz). Wenn der Anteil teilweise hydrierter Pflanzenöle unter 20% des Inhalts bleibt, muss die Beimengung praktischerweise nicht einmal auf dem Etikett angegeben werden.
Woran liegt’s? Zunächst natürlich an den mafiosen Strukturen der italienischen Olivenölindustrie - Olivenölpanscher werden zwar gelegentlich erwischt, aber so gut wie nie bestraft. 2006 wurden von der italienischen Regierung 787 Ölproduzenten kontrolliert - 205 von ihnen hatten sich strafbar gemacht (Falschetikettierung, Panscherei). Passiert ist bislang nichts weiter.
In zweiter Linie liegt es an den Konsumenten, die die Qualität der gekauften Ware gar nicht beurteilen können - sie verlassen sich auf Etiketten und werden so Opfer von Etikettenschwindel. Wenn man nur der Deklaration auf dem Etikett und nicht der eigenen Zunge traut - dann zählt beim Vergleich des Angebots erst einmal der Preis. Und da ist es dann nützlich, etwas zu wissen: in Italien sind die Produktionskosten für hochwertiges Olivenöl mit mindesten 6 €/l zu veranschlagen, eher mit 10€. Je hängiger der Olivenhain ist, um so mehr steigt der Anteil manueller Arbeit und damit die Produktionskosten - bis zu 20 €/l, darüber wird’s dann endgültig unrentabel. Italienisches Olivenöl extra vergine für vier Euro/Liter oder sogar darunter muss Beschiss sein - der Kunde, der das kauft, hat entweder keine Ahnung oder will betrogen sein.
Man kann sich vorstellen, was die Großhändler, die diese Art Olivenöl verramschen, ihren Zulieferern bezahlen. Und wieviel Aufwand diese dann angesichts der Rendite wiederum in die Pflege ihrer Olivenhaine und in die Ernte stecken - da werden dann schon auch die überreifen und angefaulten Oliven mit eingesammelt und bei der Mühle abgeliefert - das gibt nur ein bißchen Abschläge und bringt trotzdem mehr Geld. Deswegen - wegen der schamlosen Ausbeutung der Kleinproduzenten durch die Großhändler und Abfüller - gibt es so viel schlechtes Olivenöl auf dem Markt. Nicht nur in Italien. Aber so lange der blöde kunde es kauft … Von der reichlichen Menge Deputat-Öl für den Eigenverbrauch verkauft der Bauer dann auch gerne mal etwas an Touristen - die sich dann freuen, für wenig Geld ein so ‚tolles‘ Öl direkt beim Produzenten erstanden zu haben …
Nicht, dass es auch Gegenbeispiele gäbe. Vor einigen Jahren hatte ich mich bei einem Urlaub in Umbrien etwas mit einem Gastarbeiter angefreundet, der ‚beim Benz‘ in Mannheim als Schlosser arbeitete und jedes Jahr im Urlaub in sein Heimatörtchen fuhr (mir war das MA-Autokennzeichen aufgefallen und ich hatte ihn angesprochen). Die Famile besitzt einen kleinen Olivenhain, den sein Bruder nach Feierabend bewirtschaftete. Gemahlen und gepresst wurde in der Mühle der Kooperative, und der Mannheimer bekam jedes Jahr seinen Anteil in Olivenöl - das er problemlos im Freundes- und Kollegenkreis in Mannheim absetzen konnte. Er trat mir dankenswerterweise 10 l für wenig Geld ab (den Kanister musste ich mir freilich erst einmal selbst besorgen) und ich hatte viel Spass damit. Nicht sensationell, aber sehr ordentliche Qualität (und das umbrische Öl ist eh besser als das toskanische
). Allerdings - für diese Familie (bzw. seinen Bruder) war der Olivenhain kein Broterwerb mehr, sondern Liebhaberei und willkommenes Zubrot. Zum Vollerwerb war der Hain zu klein, aber der fehlende Maschinenpark sorgte für reine Handarbeit und für die Größe reichten auch die Hände der Familie aus - man brauchte keine Saisonarbeiter.
Freundliche Grüße,
Ralf