Operninszenierung 'auf Teufel komm raus'

Hallo,

ich habe heute morgen einen interessanten Beitrag im Radio zu Bayreuth und den Wagner-Festspielen gehört. Es ging dabei um die Inszenierung des „Rings“, dabei wird das Rheingold durch Öl (also Erdöl) ersetzt. Hier mal einen kurzen Auszug aus einer Ankündigung:

_"Die alten Stücke sollen auch dem Menschen von heute etwas sagen, lautet Castorfs Devise, der seit 21 Jahren die Berliner Volksbühne leitet. Deshalb sind in seinen Inszenierungen immer aktuelle Bezüge und Gesellschaftskritik zu finden. Bissige Ironie und Rüpel-Klamauk fehlen nie.

Castorf liebt Popmusik und setzte sie in seinen Inszenierungen bisweilen so reichlich ein, dass Dramen wie „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams fast zu Opern wurden. Mit dem Musiktheater klassischer Prägung fremdelte er: In Basel inszenierte er 1998 Verdis „Otello“. Wagner näherte sich Castorf im Jahr 2006 theatralisch: In Berlin zeigte er die „Meistersinger von Nürnberg“ mit Schauspielern und einem „Chor der werktätigen Volksbühne“ – vermengt mit Textbrocken aus Ernst Tollers Revolutionsdrama „Masse – Mensch“, einem mit der Maschinenpistole um sich feuernden Walther von Stolzing und einem kotzenden Trojanischen Pferd."_

Mich würde mal interessieren, wie ihr das findet!? Wollt ihr, wenn ihr in die Oper geht, sozailkritische Inszenierungen haben, wo der Fliegende Holländer ein Außendienstmitarbeiter ist?

Oder geht euch das genauso auf den „Zeiger“ wie mir?

Wenn ich in die Oper gehe, will ich in erster Linie schöne Musik hören und zwar möglichst so, wie sich das der Komponist gedacht hat, nicht in die Neuzeit übersetzt, kein kotzendea Trojanisches Pferd!

Ich habe ja nichts gegen einen Gag oder ein paar Anspielungen, aber was da zur Zeit in der Opernszene so läuft, finde ich teilweise nur noch gruslig.

Gruß
dgu

Hallo,

deine Frage stellt sich auch regelmäßig jemand. Meist aber verfliegt sie mit der Zeit, wenn man oft in die Oper geht, v.a. oft in die gleiche Oper. Dann will man vielleicht die Geschichte auch mal abweichend erzählt haben. Nicht immer ähnliche historisierende Kostüme sehen und Schlosskulissen. Sondern man will etwas direkter betroffen sein vom alten Stoff, nicht auf diese schön-einlullende Weise, die das historisierende so mit sich bringt.

Nun ist es so, dass man in Deutschland Regietheater hat. Heißt, Regie ist eine eigene Kunstform. Das ist in diversen anderen Ländern nicht immer so.

Das hat Vorteile und Nachteile, wie so vieles.
Vorteile: wir haben Inszenierungen, die tatsächlich das Wort „Inszenierung“ verdienen. Wir dürfen neue Sichtweisen auf alte Stücke erleben, wir müssen nicht jedesmal das Stück in den gleichen angestaubten Kostümen anschauen, und das ganze Genre bleibt dadurch lebendig und frisch. Hast du in jedem Theater die gleiche „nette“ Version, langweilst du dich schnell, und eine neue Inszenierung ist kein Grund, nochmal in die Oper zu gehen. Und das Theater hat eigentlich auch keinen Grund, überhaupt ein Stück neu zu inszenieren.
Die Nachteile werden meist zuerst wahrgenommen: irgendwelche weit hergeholten Aktualisierungsversuche, aufgedrückte Interpretationen, der Riesendrang und -druck, provozieren und schockieren zu müssen. Nicht jeder hat das Talent, auch wirklich berühren zu können. Bei manchen, ach: vielen! geht es nur um den Schockmoment an sich, nicht mehr um die Aussage. Oder die Aussage ist aufgesetzt, weil man ja unbedingt irgendeine Aussage hineininterpretieren muss.

Das Geheimnis ist: man muss es GUT machen. Das Regietheater an sich ist nicht gut oder nicht gut, sondern es kommt drauf an, wie es ausgeführt wird. Es gibt Leute, die schocken ständig, haben damit aber Erfolg, und Erfolg hat man als Regisseur meistens zu Recht. Und es gibt Leute, viel mehr Leute, die versuchen es nur immer und kriegen es nicht wirklich hin. Die haben eigentlich nichts neues zu sagen, die wollen schockieren, ohne zu berühren, die suchen selber nach ihrem Sinn, und das merkt man dem Stück an. Aber das gehört halt dazu. Wo gehobelt wird, fallen Späne.
Die guten Regisseure haben tatsächlich was zu sagen mit ihren Schockern, und die berühren das Publikum auch tatsächlich jedesmal, auch wenn es manchmal unangenehm ist. Das ist in jeder Kunst so. Im Film wäre das z.b. jemand wie Lars von Trier, der immer wieder unangenehm berührt (aber er berührt!), aber bei dem kommt’s von innen raus, und andere versuchen das nachzumachen und schaffen’s nicht.
In der Oper ist so jemand vielleicht Calixto Bieito.
Du zitierst oben Castorf, das ist einer, der mit der Volksbühne ganz neue und mutige Wege gegangen ist, und die Volksbühne ist schon seit langer Zeit eine Institution. Wenn man in die Volksbühne geht, weiß man, dass man keine leichte Kost bekommt, sondern Sachen, die extrem anecken. Die Bühne hat sich so positioniert und hat Publikum, das genau sowas will. Wenn jemand wie Castorf ein kotzendes Pferd auf die Bühne stellt, hat er vollstes Recht dazu, denn er hat solche Sachen erfolgreich umgesetzt. Es wird von ihm erwartet. Ein Regie-Neuling muss allerdings erstmal beweisen, ob das kotzende Pferd wirklich sein muss.

Meistens fallen nur die „ekligen“ oder schockierenden Neuinszenierungen auf, aber diese schaffen wiederum Raum für auch einige wirklich schöne, angenehme, optisch reizvolle, humorvolle Neuinszenierungen, die ohne Schockieren auskommen und trotzdem zeitgemäß sind. Mir sind die, muss ich zugeben, für einen Theaterbesuch auch lieber, weil ich nicht so oft gehe, dass ich jedesmal auf totale Auseinandersetzungen Lust habe. Aber auch ich finde, dass nette und angenehme Inszenierungen nur dann ok sind, wenn es dazwischen auch ein paar wirklich „unnette“ gibt. Regie ist eine Kunstform, und in jeder Kunstform sollten verschiedene Ausdrücke vorkommen, und nur angenehmes finde ich dann doch auch zu harmlos und weltfremd. Wir leben in einer Epoche, in der man sich in allen Bereichen eine eigene Meinung bildet, kritisch ist, herausgefordert wird.
Wenn die Regie sich dem verweigert und nur auf angenehm und entgegenkommend macht, hinkt sie allem hinterher. Und damit wäre die Oper so gut wie tot, glaube ich.

Gruß

Hallo,

deine Frage stellt sich auch regelmäßig jemand.

In den letzten Tagen bzw. den letzten Anfragen aber nicht - ich habe nachgelesen.

Sondern man will etwas direkter betroffen sein vom alten
Stoff, nicht auf diese schön-einlullende Weise, die das
historisierende so mit sich bringt.

Aber meistens - wenn ich in die Oper gehe, will ich abschalten und nicht mich auch da noch mit den gleichen Dingen beschäftigen müssen, die ich sowieso immer im Radio oder Fernsehn sehe bzw. höre.
Das wiederspricht ja nicht dem, das ich mich auf den Stoff bzw. die Erzählung einer Oper einlasse - das ist wie Kino mit Musik - pauschalisiert gesagt. Ich kann auch von der ursprünglichen Geschichte betroffen sein. Z. B. liebe ich die Oper Tosca, die kann ich immer wieder hören und ich bin immer wieder berühert. Ist die jetzt so inszeniert, das sie z. B. im Kosovokrieg spielt, dann ist das ja stoffnah und nachvollziehbar.

Hast du in jedem Theater
die gleiche „nette“ Version, langweilst du dich schnell, und
eine neue Inszenierung ist kein Grund, nochmal in die Oper zu
gehen.

Doch, ich denke schon, es sind andere Sänger, und sicher gibt es auch andere Inszenierungen, aber doch eher im Erzählgeflecht der ursprünglichen Oper und nicht dieses unbedingte Aufoktroieren von aktuellem Geschehen.

Bei manchen, ach: vielen! geht es
nur um den Schockmoment an sich, nicht mehr um die Aussage.
Oder die Aussage ist aufgesetzt, weil man ja unbedingt
irgendeine Aussage hineininterpretieren muss.

Genau das ist es, was mich so an dem Ganzen stört.

Du zitierst oben Castorf, das ist einer, der mit der
Volksbühne ganz neue und mutige Wege gegangen ist, und die
Volksbühne ist schon seit langer Zeit eine Institution. Wenn
man in die Volksbühne geht, weiß man, dass man keine leichte
Kost bekommt, sondern Sachen, die extrem anecken. Die Bühne
hat sich so positioniert und hat Publikum, das genau sowas
will. Wenn jemand wie Castorf ein kotzendes Pferd auf die
Bühne stellt, hat er vollstes Recht dazu, denn er hat solche
Sachen erfolgreich umgesetzt. Es wird von ihm erwartet. Ein
Regie-Neuling muss allerdings erstmal beweisen, ob das
kotzende Pferd wirklich sein muss.

Gut, das stimmt, wenn man weiß, worauf man sich einlässt, dann sollte man hinterher nicht meckern. Trotzdem frage ich mich, warum Leute sowas sehen wollen, dass erschließt sich mir nicht.

Ich stimme dir insofern zu, das eine Inszenierung grundsätzlich schon gut ist und nur ein Nacherzählen (oder Singen) langweilig wird. Aber ich finde es nicht gut, einem „alten“ Stück etwas Neues aufzupflanzen, was sich der Verfasser ursprünglich so überhaupt nicht gedacht hat.

Ich habe auch kein Problem damit, mit sparsamen Bühnenbildern zu leben und mir den Rest zu denken u. ä. Aber ich habe das Gefühl, das viele Inszenierungen am Publikum vorbei gehen, da es vielen so geht wie mir; wir gehen zur Unterhaltung ins Theater.

Moin,

In den letzten Tagen bzw. den letzten Anfragen aber nicht -
ich habe nachgelesen.

sie meinte nicht nur hier das Forum, sondern allgemein.

Aber meistens - wenn ich in die Oper gehe, will ich abschalten
und nicht mich auch da noch mit den gleichen Dingen
beschäftigen müssen, die ich sowieso immer im Radio oder
Fernsehn sehe bzw. höre.

es gibt ja zu Genüge klassische Inszenierungen, auch oder speziell von diversen Tourneeensemles. Dann bist Du wohl besser dort aufgehoben.

Man kann, ja soll sich vorher informieren, was einen erwartet, aber es gibt ja auch Leute, die wollen sich ärgern (damit meine ich jetzt ausdrücklich nicht Dich!)
Vor einigen Jahren hat ein Kollege ein Konzert von und mit Karl Heinz Stockhausen gehört.
Er ist kein Fan von ihm, eher im Gegenteil, wollte sich aber überraschen lassen.
Am nächsten Tag unterhielten wir uns über das Konzert und er meinte, es wäre grob so gewesen, wie er erwartet hätte ‚Ich weiß, wer zu Stockhausen geht, sollte keine Dreiklangharmoniemusik erwarten‘ erzählte dann aber, das nach dem Konzert einige Buhrufer anwesend waren, die sich selber wohl in Szene setzen wollten, wofür er wiederum kein Verständnis hatte.
Das waren wohl Vertreter der oben genannten Kategorie, die bitter entäuscht worden wären, hätte Stockhausen Harmoniemusik gegeben.

Das Angebot ist so breit, daß m.E. jeder das kriegen kann, was er haben möchte.

Gandalf

hi,

deine Frage stellt sich auch regelmäßig jemand.

In den letzten Tagen bzw. den letzten Anfragen aber nicht -
ich habe nachgelesen.

Wie Gandalf schon sagte, ich meinte das allgemein und mich eingeschlossen. Ich habe mir die Frage früher auch gestellt.
Ansonsten unterschreibe ich auch das, was Gandalf sagt.

Aber ich finde es nicht gut, einem
„alten“ Stück etwas Neues aufzupflanzen, was sich der
Verfasser ursprünglich so überhaupt nicht gedacht hat.

Wenn man nur danach geht, was der Verfasser wollte, darf man immer nur die damaligen Inszenierungen wiederholen, am besten nur mit historischen Instrumenten. Und woher genau wissen wir denn, was der Verfasser wollte? Und ob er es nicht auch spannend finden würde, was alles aus seinem Stück herauszuholen ist?

Dass dir die Inszenierungen in vielen Fällen nicht gefallen, ist sehr gut nachvollziehbar, und auch dass du zur Entspannung in die Oper gehen magst. Geht mir auch oft so. Nichtsdestotrotz - nach ein paar traditionellen Inszenierungen, die ich in anderen Ländern - oder hin und wieder auch hier - gesehen habe, bin ich froh, dass wir in Deutschland das Privileg haben, Regie als Kunstform zu erleben, die wir mit beurteilen dürfen, zu der wir uns eine Meinung bilden dürfen. Die Raum für teilweise wirklich großartige Dinge gibt. Und für eine Inszenierung, die mich wirklich beeindruckt, nehme ich gerne 10 Inszenierungen in Kauf, die mich anwidern. Ich kann blöden Inszenierungen auch oft einen Funken Gutes abgewinnen, und vor allem kann ich mich an ihr aufregen. Traditionelle Inszenierungen bringen nichts neues außer der Entspannung, sie beeindrucken auch nicht mehr.

Wie gesagt, es ist in anderen Ländern anders als in Deutschland, aber Deutschland hat hier eine Vorreiterrolle. In Deutschland können Opernregisseure, die wirklich etwas zu sagen haben, etwas bewegen können, überhaupt erst groß werden. In Deutschland hat Oper eine verpflichtende Tradition. Indem man in Deutschland zu großen Teilen auf rein angenehmes verzichtet, erhält man sich hier eine Theaterlandschaft wie in keinem anderen Land, und eine Plattform für eine Kunstform, die, wenn sie gut gemacht ist, wirklich Großes bewirken kann.
Wir haben hier aus der Kleinstaatenzeit sehr viele Theater erhalten, und auch wenn bereits viele Häuser (v.a. im Osten) eingespart wurden, haben wir vergleichsweise immernoch viel. Wir können auf diese Tradition stolz und für sie dankbar sein. Sie weiterzuführen macht aber nur dann Sinn, wenn neue Inszenierungen auch Sinn machen. Spielt jedes Haus jeweils nur die Inszenierung von 1900, dann sterben die Häuser und die eigenen Ensembles, und es wird wie in allen anderen Staaten nur noch Gastspiele geben. Sicher kommt das den Leuten entgegen, die nur hin und wieder in die Oper gehen und einen rein schönen Abend haben wollen. Aber indem man die bedient, verzichtet man auf die Leute, die sich vielleicht wirklich intensiv mit Opern beschäftigen, häufiger gehen, neue Inszenierungen sehen wollen - und ganz besonders verzichtet man auf unzählige Kulturtouristen, die allein deshalb nach Deutschland kommen, weil sie hier Inszenierungen vorfinden wie nirgendwo anders. Und die es schätzen können, dass sich Deutschland der kulturellen Rolle stellt, die es seit langer Zeit hat.

Doch, ich denke schon, es sind andere Sänger, und sicher gibt
es auch andere Inszenierungen, aber doch eher im
Erzählgeflecht der ursprünglichen Oper und nicht dieses
unbedingte Aufoktroieren von aktuellem Geschehen.

Wie gesagt, wo gehobelt wird, fallen Späne. Aber immerhin wird in Deutschland gehobelt.

Bei manchen, ach: vielen! geht es
nur um den Schockmoment an sich, nicht mehr um die Aussage.
Oder die Aussage ist aufgesetzt, weil man ja unbedingt
irgendeine Aussage hineininterpretieren muss.

Genau das ist es, was mich so an dem Ganzen stört.

Es ist nichts dabei, dass es dich stört. Das gehört dazu. Aber sich den positiven Seiten des Regietheaters bewusst zu sein, gehört m.E. auch dazu.

Trotzdem frage ich mich, warum Leute sowas sehen wollen, dass erschließt sich mir nicht.

Geschmäcker ändern sich mit der Zeit bei intensiver Beschäftigung. Das Publikum der Volksbühne ist meist eins, das sich intensiv mit einem Stück beschäftigt, es möglicherweise schon tausendmal gesehen hat, neue Sichtweisen begrüßt - und wie gesagt, wenn es gut gemacht ist, kann ein kotzendes Pferd auch Sinn haben und nicht aufoktroyiert sein. Hast du die oben besprochene Inszenierung denn gesehen?

Ich habe auch kein Problem damit, mit sparsamen Bühnenbildern
zu leben und mir den Rest zu denken u. ä. Aber ich habe das
Gefühl, das viele Inszenierungen am Publikum vorbei gehen, da
es vielen so geht wie mir; wir gehen zur Unterhaltung ins
Theater.

Ich habe nicht bestritten, dass viele Inszenierungen am Publikum vorbei gehen. Das meinte ich ja damit, dass sich deine Frage immer wieder jemand stellt. Es ist halt nur so, dass sich Deutschland (zum Glück , noch) anders positioniert hat in dem Sinne, welche Art Kunst es in Opernhäusern darbieten will: angenehme, entspannende, mit der man immer wieder zufrieden sattes Publikum erreicht, aber halt auch nur kleckernd? (Oper ist in Deutschland kein Gesellschaftsereignis wie z.b. i Italien, so dass man von zufriedengestelltem Hin-und-wieder-Publikum in den kleinen Häusern wirklich leben könnte, vermutlich.)
Oder eine Kunst, die versucht, neues zu schaffen mit dem Risiko, dass 90% davon vielleicht zu weiten Teilen am Publikum vorbeigehen, 10% allerdings die Blicke von ganz Europa und Amerika auf sich ziehen und die Regiewelt nachhaltig beeinflussen und anregen. Hoffen wir, dass es noch eine Weile so bleibt hier…

Gruß

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Mich würde mal interessieren, wie ihr das findet!? Wollt ihr,
wenn ihr in die Oper geht, sozailkritische Inszenierungen
haben, wo der Fliegende Holländer ein Außendienstmitarbeiter
ist?

Oder geht euch das genauso auf den „Zeiger“ wie mir?

Wenn ich in die Oper gehe, will ich in erster Linie schöne
Musik hören und zwar möglichst so, wie sich das der Komponist
gedacht hat, nicht in die Neuzeit übersetzt, kein kotzendea
Trojanisches Pferd!

Nun, in Deutschland leben wir mit dem Regietheater, müssen wir eben damit leben. In einem Staatstheater hopsen ein nackter Mann und eine ihre Titten schwenkende Frau (Schamhaare rasiert) während der Ouvertüre zur Entführung aus dem Serail vor dem Vohang herum, in einem anderen Theater treten Don Giovanni und Leporello im Micky Mouse Kostüm auf. Natürlich fallen da Musik un d Inszenierung völlig auseinander.

Ich stimme Ihnen zu. Und wir sind nicht allein: Schon lange vor seinem kürzlichen Tod gab Sir Colin Davis aus genau diesen Gründen das Dirigieren von Opern auf.

(Schamhaare
rasiert)

Fritz Kortner nannte das einen Adlerblick für’s Unwesentliche

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Ach, könnte schlimmer sein :smiley:

Hallo!

Mich würde mal interessieren, wie ihr das findet!? Wollt ihr,
wenn ihr in die Oper geht, sozailkritische Inszenierungen
haben, wo der Fliegende Holländer ein Außendienstmitarbeiter
ist?

Oder geht euch das genauso auf den „Zeiger“ wie mir?

Ich sage mal so, mich würden solche Inszenierungen nicht stören, wenn es eine Alternative gäbe, und zwar Inszenierungen, die sich streng an die Regieanweisungen halten.

Ich bin, was deinen Geschmack betrifft, ganz bei dir, jedoch solche Aussagen:

Wenn ich in die Oper gehe, will ich in erster Linie schöne
Musik hören und zwar möglichst so, wie sich das der Komponist
gedacht hat

sind immer etwas schwierig, denn woher will man wissen, was sich ein Komponist gedacht hat? Was wir heute haben, sind Noten und Regieanweisungen, und oft genug haben sich Komponisten, was ihre Musik betrifft, selbst nicht an ihre eigenen Anweisungen gehalten. Schrieb ein Komponist ein langsames Tempo vor, konnte es durchaus vorkommen, dass er es schnell gespielt hat, usw.

Um beim Thema Inszenierungen zu bleiben: gerade Wagner ist dafür bekannt, dass er in seinen Partituren MASSENWEISE Regieanweisungen, wo sogar Blicke, Bewegungen etc. beschrieben sind, notiert hat. Aber es gibt auch viele Partituren, wo es nur wenige Regieanweisungen gibt, und hier hat man als Regisseur ein „Problem“: was soll zwischen zwei Regieanweisungen passieren? Wie soll sich eine Figur verhalten? Wo soll sie stehen? Wo soll sie hinschauen? Wie soll sie gehen, wie soll sie sich bewegen? Wie soll sie dreinschauen? Das sind viele Dinge, die tatsächlich nicht vorgeschrieben sind, und die der Regisseur inszenieren muss.

Hier erlebt man es aber leider oft, dass dieses „Problem“ umgangen wird, indem man eine gänzlich neue Inszenierung macht, die sich noch nicht einmal an die bereits vorgegebenen Anweisungen hält.

Die von dir zitierte Aussage des Regisseurs, mit der „heutigen Sicht“ etc. findet man massenweise - kaum ein Opernbericht, in dem es nicht heißt „Der Regisseur XY siedelt das Stück in der heutigen Zeit an“ oder „Der Regisseur XY stellt somit aktuelle Bezüge her, indem er das Stück in unsere Zeit verlegt“ etc.

Ich habe ja nichts gegen einen Gag oder ein paar Anspielungen,
aber was da zur Zeit in der Opernszene so läuft, finde ich
teilweise nur noch gruslig.

Wobei das aber immer schon so war. Klar, vor 50 Jahren gab es keine so extremen Sachen wie Nacktheit, Exkremente und Blut etc., aber auch da hat man sich viele Freiheiten genommen, schon was das Bühnenbild anging.

Wenn man nur danach geht, was der Verfasser wollte, darf man
immer nur die damaligen Inszenierungen wiederholen, am besten
nur mit historischen Instrumenten.

Falsch, weil die „damaligen Inszenierungen“ (was ist das überhaupt, „damals“?) waren genausowenig Partiturgetreu wie die heutigen. Zum einen natürlich wegen künstlerischer Freiheiten, die man sich genommen hat, zum anderen auch wegen technisch einfach nicht machbarer Dinge - schau dir die Partitur vom „Rheingold“ an, da wird verlangt, dass die Götter am Ende über einen Regenboden gehen, oder die Partitur der Walküre, da sollen die Sängerinnen auf Pferden reiten; im „Freischütz“ wird in der Wolfschluchtszene verlangt, dass es regnet, stürmt, blitzt und donnert, ein Wasserfall tobt, Flammen aus der Erde schlagen, ein Sturm Bäume entwurzelt. Sowas KANN man einfach nicht befriedigend darstellen.

Um bei Wagner zu bleiben, um den es ja im UP geht: gerade in den Partituren seines „Rings“ findetn sich massenweise Regieanweisungen, die kleine Details beschrieben, und diese Anweisungen werden auch genau an bestimmte Takte gesetzt - so bilden die (von Wagner wundervoll auskomponierten!) Regieanweisungen sowie die Musik dazu eine perfekte Einheit.

Hier funktioniert die Oper m.E. am Besten, wenn man die Partitur (bzw. einen Klavierauszug) zu einer Aufnahme hört und die Anweisungen liest - da hat man ein perfektes, musikalisch untermaltes Kopfkino.

Schon wie toll dieser Moment in der „Walküre“ komponiert ist, als der Glimmerschein aus dem Ofen auf den Schwertknauf leuchtet! Wenn man diese Anweisung liest, und die Musik dazu hört, funktioniert das viel besser, als wenn auf der Bühne weder ein Ofen, noch ein Glimmerschein zu sehen ist. Der Kopf macht einfach die besten Inszenierungen!

Und woher genau wissen wir
denn, was der Verfasser wollte? Und ob er es nicht auch
spannend finden würde, was alles aus seinem Stück
herauszuholen ist?

Das wissen wir nicht, wir sollten deshalb nicht automatisch davon ausgehen, dass es so ist.

Dass dir die Inszenierungen in vielen Fällen nicht gefallen,
ist sehr gut nachvollziehbar, und auch dass du zur Entspannung
in die Oper gehen magst. Geht mir auch oft so.

Ich finde Opern - egal ob mir die Inszenierung gefällt oder nicht - eigentlich alles andere als entspannend. Vielleicht laden kleine Operetten dazu ein, aber eine „Salome“ z.B. hat einen Haufen schwierige Themen, schwierige Charaktere und einen wahnsinnige, hektische Musik, die einem keine Verschnaufpause gönnt. Wer beim „Judenquintett“ entspannen kann, dem gratuliere ich!

Nichtsdestotrotz - nach ein paar traditionellen
Inszenierungen, die ich in anderen Ländern - oder hin und
wieder auch hier - gesehen habe, bin ich froh, dass wir in
Deutschland das Privileg haben, Regie als Kunstform zu
erleben,

Eine Kunst wäre es, wenn man sich an die Anweisungen hält, die tatsächlich vorgegeben sind - aber die beherrscht kein Regisseur, nicht mal die, denen man Werktreue attestiert und die du wahrscheinlich als antiquarisch siehst.

Traditionelle Inszenierungen bringen nichts
neues außer der Entspannung, sie beeindrucken auch nicht mehr.

Wieso sprichst du hier für eine anonyme Masse, statt für dich selbst? Sie beeindruckt DICH nicht mehr, aber sehr, sehr viele Leute schon. Was sind überhaupt „traditionelle Inszenierungen?“.

Aber so offenherzig und interessiert du FÜR das Regietheater sprichst, so voller Vorurteile und Abwertungen sprichst du von traditionellen Inszenierungen, und das ist m.E. nicht in Ordnung.
Eine traditionelle Inszenierung beeindruckt schon deswegen, weil sie in der heutigen Opernlandschaft auffallen würde - wenn man gewohnt ist, dass eine „Salome“ in einem Luftschutzbunker oder bei Karl Lagerfeld spielt, dann beeindruckt es schon, wenn ein Regisseur tatsächlich einen prunkvollen Palast, von einem hellen Mond beleuchtet, zeigt.

Vielleicht ein anderes Beispiel, weg von der Oper: das Kasperltheater.

Das Kasperltheater gibt es schon ewig, aber lass mich für meinen Vergleich das Kasperltheater von vor 60 Jahren und heute nehmen. Damals gab es Kulissen mit Wäldern, Höhlen, dem altmodischen Haus der Großmutter mit ihrer Kaffeemühle usw.
Und heute gibt es das immer noch, und die Kinder sind immer noch begeistert von diesen Kulissen. Die Kinder von heute sind gewohnt, dass sie Handys haben, MP3 Player, DVDs etc., aber sie erwarten nicht, dass der Kasperl auch ein Handy hat, oder dass er nicht mehr in einem Zauberwald sondern in der modernen Großstadt spielt. Die sind immer noch begeistert wenn da Bäume stehen und ein Zauberer taucht auf und braut in seinem „altmodischen“ Hexenkessel mit viel Rauch einen Zaubertrank zusammen.

Jetzt wirst du vielleicht sagen, dass das Opernpublikum ein anderes ist als ein Kasperltheaterpublikum, da hast du schon recht; aber dennoch, die Kinder erleben da eine völlig andere, unwirkliche, wenn du magst altmodische Welt, die nichts mit ihrer modernen, technologischen Welt zu tun hat, und genauso würde für viele Erwachsene eine völlig andere Welt, ein Palast vor 2000 Jahren, ein Marktplatz im Mittelalter, oder der Grund des Rheins mit seinen Nixen funktionieren, auch wenn sie selbst etwas ganz anderes gewohnt sind.

In Deutschland hat Oper eine verpflichtende Tradition. Indem
man in Deutschland zu großen Teilen auf rein angenehmes
verzichtet, erhält man sich hier eine Theaterlandschaft wie in
keinem anderen Land, und eine Plattform für eine Kunstform,
die, wenn sie gut gemacht ist, wirklich Großes bewirken kann.

Nämlich?

Wir haben hier aus der Kleinstaatenzeit sehr viele Theater
erhalten, und auch wenn bereits viele Häuser (v.a. im Osten)
eingespart wurden, haben wir vergleichsweise immernoch viel.
Wir können auf diese Tradition stolz und für sie dankbar sein.

Ich persönlich bin nur stolz auf Dinge, die ICH SELBST geschafft habe. Auf fremde Leistungen stolz sein liegt mir nicht.

Sie weiterzuführen macht aber nur dann Sinn, wenn neue
Inszenierungen auch Sinn machen. Spielt jedes Haus jeweils nur
die Inszenierung von 1900, dann sterben die Häuser und die
eigenen Ensembles

Und das weißt du warum genau? Studien? Quellenangaben?

und ganz besonders verzichtet
man auf unzählige Kulturtouristen, die allein deshalb nach
Deutschland kommen, weil sie hier Inszenierungen vorfinden wie
nirgendwo anders.

Kann man über jedes Land sagen.

Und die es schätzen können, dass sich
Deutschland der kulturellen Rolle stellt, die es seit langer
Zeit hat.

Ein Wahnsinn. Ich bin begeistert.

Wie gesagt, wo gehobelt wird, fallen Späne. Aber immerhin wird
in Deutschland gehobelt.

Woanders genauso. Das hat nichts mit Deutschland zu tun.

Es ist nichts dabei, dass es dich stört. Das gehört dazu. Aber
sich den positiven Seiten des Regietheaters bewusst zu sein,
gehört m.E. auch dazu.

Für dich vielleicht, für einen Kritiker sicher, aber für andere, teilweise sehr viel Geld zahlende Gäste nicht, denn wo kämen wir hin, wenn wir anderen Leuten vorschreiben würden, was sie zu denken, zu fühlen und zu akzeptieren haben?
Wenn es DIR persönlich weiterhilft, dann ist dagegen überhaupt nichts einzuwenden. Wenn du aber anderen indirekt sagst, dass sie sich nicht so gut auskennen, nur weil sie sich der „positiven Seiten“ nicht bewusst sind, klingt das schon sehr überheblich.

Die „positiven Seiten“ sind auch wieder etwas, was jeder für sich selbst definieren muss - der eine mag es, der andere nicht. Ein Geschmack hat keine Allgemeingültigkeit.

Eine positive Seite solcher Inszenierungen ist für mich die, dass ich „traditionelle“ Inszenierungen dadurch umso mehr schätze.

wenn es gut gemacht ist, kann ein kotzendes Pferd
auch Sinn haben und nicht aufoktroyiert sein. Hast du die oben
besprochene Inszenierung denn gesehen?

Ein gut gemachtes kotzendes Pferd … von einem Regisseur, der mich mit kotzenden Pferden, Blut und Exkrementen unterhalten oder zum Nachdenken will, fühle ich mich nur beleidigt, sonst nichts.

Es ist halt nur so, dass sich Deutschland (zum Glück , noch) anders positioniert hat
hat

Jetzt geht das wieder los …

in dem Sinne, welche Art Kunst es in Opernhäusern
darbieten will: angenehme, entspannende, mit der man immer
wieder zufrieden sattes Publikum erreicht

Was ist mit den unzähligen Kulturtouristen, die nur zu uns kommen, wegen der ungewöhnlichen Inszenierungen? Die müssen dann ja maßlos enttäuscht sein, statt zufrieden satt?

Nochmal: wenn du „traditionellen“ Inszenierungen absprichst, nicht aufwühlen, nicht zum Nachdenken anregen zu können, dann hast du noch keine GUTE traditionelle Inszenierung gesehen. Opernstoffe können nämlich durchaus aktuelle Themen behandeln, ohne dass sie eine szenische Verdopplung brauchen, die in der heutigen Zeit spielen.

In Wagners Ring geht es, neben anderen Themen, vor allem auch um das Gold und die Macht - das sind Themen, die auch heute hochaktuell sind. Und das würde auch perfekt funktionieren, wenn ich keine Bankangestellten auf der Bühne sehe, sondern altgermanische Götter, weil das Thema zeitlos ist. Da braucht es keine kotzenden Pferde, und wenn ein Regisseur meint, dass das Publikum zu dumm ist, um diese Themen zu kapieren und zwanghaft versucht, es in die heutige Zeit zu transportieren, dann ist das eine Beleidigung des Verstandes der Zuschauer.

Oder eine Kunst, die versucht, neues zu schaffen mit dem
Risiko, dass 90% davon vielleicht zu weiten Teilen am
Publikum vorbeigehen, 10% allerdings die Blicke von ganz
Europa und Amerika auf sich ziehen und die Regiewelt
nachhaltig beeinflussen und anregen.

Ja klar, in Amerika reden die Leute auch ganz viel von der tollen Inszenierung in der Semperoper, wo ein kotzendes Pferd zu sehen ist …
Naja, offenbar ist es wichtiger, was Europa und Amerika von Deutschland denkt, auch wenn man damit über die zahlenden Gäste, die solchen Regieunsinn auch noch unterstützen, drüberfährt.

Aber im Grunde sind die Gäste eh selbst schuld - wenn ihnen die Inszenierung nicht gefällt, sollten sie die Vorstellung einfach boykottieren. Wenn alle das beherzigen würden, würden die Besucherzahlen garantiert deutlich niedriger ausfallen.

Marcel Prawy hat einmal gesagt: „Wenn Sie in der Oper sitzen und das Stück erstmal nicht wiedererkennen, gehen Sie zur Abendkasse und verlangen Sie ihr Geld zurück, denn Sie sind durch die Verwendung des Namens des Komponisten sowie der Oper getäuscht worden.“

Hoffen wir, dass es noch
eine Weile so bleibt hier…

„Wir“? Ich nicht.

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