Lieber Christopher
Im Mittelalter und in der Renaissance spielten alle Instrumente solistisch, auch wenn es sich um größere Ensembles handelte. Bläser überwogen. Eigentliche Instrumentalmusik gab es kaum; es wurden Vokalwerke gespielt bzw. begleitet. Welche Instrumente spielten, war nicht vorgeschrieben.
Erstmals schrieb Giovanni Gabrieli in seiner „Sacrae Symphoniae“ 1597 bestimmte Instrumente vor; die Komponisten beginnen nun die Klangfarbe in ihre Kompositionen einzubeziehen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Oper „Orfeo“ von Claudio Monteverdi, 1607). Um die Mitte des 17. Jahrhundert weicht das bunte Renaissance-Ensemble dem barocken Orchester mit einheitlicher „Spieldisziplin“; die musikalische Gestaltung des einzelnen Musikers geht nun auf die einheitliche Gestaltung einer gesamten Gruppe über.
Nach und nach wird der Streicherklang den Bläsern vorgezogen; die Bläser bleiben solistisch.
Im Barockorchester findest du in der Regel zwei Gruppen: Das Continuo, das die harmonische Basis liefert (vergleichbar der Rhythm Section einer Rockband mit Rhythmusgitarre, Baß und Schlagzeug; überraschend ähnlich ist auch die schematische Notation der Akkorde, die von den Spielern ausgestaltet werden müssen). Die zweite Gruppe bilden die Melodieinstrumente, hier konnte die Besetzung im Barock stark variieren (vgl. dazu die völlig unterschiedlichen Besetzungen in Bachs Brandenburgischen Konzerten).
Das klassische Orchester entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Mannheim und in Paris. Es wurde bald zur Norm: I. und II. Violinen (beide oft zu zwölft), Bratschen (zu acht), Celli (zu sechst), Kontrabässe (zu viert); dazu „doppeltes Holz“ (2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte) sowie 2 oder 3 Hörner. Später kamen Trompeten, Posaunen und Pauken hinzu.
Diese Orchesterbesetzung war lange eine Art Standard auf der Konzertbühne oder im Orchestergraben in der Oper.
Im 19. Jahrhundert wuchs das Orchester; die Streicherchöre wurden größer, das Blech wurde erweitert, auch der Schlagzeugapparat wurde größer.
Im 20. Jahrhundert gehen die Komponisten individuelle Wege: Einige bauen riesige Orchesterapparate auf, andere beschränken sich auf relativ wenige, oft solistisch spielende Instrumente (etwa Arnold Schönberg in seiner „Kammersinfonie“. Zeitgenössische Komponisten berücksichtigen nur noch in seltenen Fällen tradierte Orchesterbesetzungen; viele beziehen Elektrophone (e-Gitarren, Hammond-Orgeln) oder elektronisch produzierte Klänge ab Tonband (veraltet) oder vom Computer in ihre Kopositionen ein. (Ich selber benutze als Komponist kleine Ensembles, z.B. die „Kammersinfonie“-Besetzung Schönbergs. Mit dem „Orchestersound“ kann ich wenig anfangen.)
Ich hoffe, meine Antwort war hilfreich und kam noch rechtzeitig. Meine Quelle war vor allem der dtv-Atlas zur Musik, den ich immer wieder wärmstens empfehle (2 Bände, laufend überarbeitet, absolut erschwinglich). Hier findet sich so ziemlich alles Wissen zur systematischen und historischen Musikwissenschaft. Laien mögen am Anfang etwas Mühe haben, da das Material sehr konzentriert und professionell aufgearbeitet ist, aber vielleicht muß man eben den einen oder anderen Artikel dreimal lesen, das eine oder andere nachschlagen (Lexikon oder Google) oder einfach jemanden fragen, der da durchblickt.
Gruß von Kalaf