Orpheus-Mythos Ikonographie

Im Trauzimmer des Rathauses in Aschaffenburg gibt es ein Wandbild zum Orpheus-Mythos. Während die Deutung der ersten 3 Szenen klar ist, bereitet die Interpretation der 4. Szene Probleme.

  1. O. trauert um Eurydike zusammen mit der belebten und unbelebten Natur.
  2. O. bittet Hades (und Persephone) um die Herausgabe von E. (im Hintergrund als Schatten)
  3. O. wendet sich zu E. um und verliert sie endgültig an die Unterwelt.
  4. ?
    Können mir hier Experten weiterhelfen?

Grüße von Michael

Hallo!
Orpheus wird - nach Apollodor - in der Gegend von Pieria von rasenden Mänaden zerrissen. So steht es in Vollmer, Wörterbuch der Mythologie. (Auch wenn es auf Deinem Bild recht zahm aussieht :wink: )
Gruß,
Eva

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Hallo,

zum Bild mitte rechts hat @newcallas ja schon etwas gesagt. Die älteste Überlieferung dazu findet sich bei Aristophanes und bei Ovid.

Das rechte Bild meint vermutlich ein Motiv, das sich in einem - nur als Zitat überlieferten - Drama von Aischylos findet: Die Musen sammeln die Körperteile von Orpheus, begraben ihn am Olymp und betrauern ihn. Das Bild soll ihn wohl in der Unterwelt zeigen, wo er weiter singt und Eurydike wiedersieht.

Gruß
Metapher

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Evas Antwort habe ich aufs fragliche rechte Bild bezogen, nicht auf die Gestalten am rechten Rand des mittleren Bildes. Die dort gezeigten Figuren lese ich als Klagende über den endgültigen Verlust Eurydikes.
Wenn rechts das Wiedersehen mit Eurydike in der Unterwelt gemeint wäre, wie ist dann die 2. Frau zu erklären?
Wenn es das Zerreißen durch die Mänaden thematisiert, warum ist es dann so harmlos?
Und: Das Bild befindet sich in einem Trausaal, da wäre das tragische Ende des Orpheus doch nicht gerade aufmunternd.

Danke für die ersten Ideen
sagt Michael

Ich könnte mir vorstellen, sie haben die Mänaden weggelassen und sind gleich zu den tröstenden Musen übergegangen. Insgesamt sind Orpheus und Eurydike für ein Trauzimmer nicht die beste Wahl, sie nehmen nun mal kein gutes Ende. Und Orpheus ist meines Wissens noch mit den Argonauten durch die Weltgeschichte gezogen, demnach hat der Verlust der Liebsten ihn auch nicht umgebracht, den Doofnickel. (Ich habe die Arie mal gesungen :wink: Que faro usw. )
Der Künstler heißt Hermann Kaspar. Es gibt einen Link zu einem Zeitungsartikel „Die meisten sehen das alles nicht“, für den man aber bezahlen muss. Eventuell findet sich dort eine Deutung des Wandgemäldes.
Gruß,
Eva

Nachsatz und Korrektur:

  1. Man muss anscheinend für den Artikel nicht bezahlen, sich nur registrieren, aber das mach’ ich nicht so gern.
  2. Ich habe bei der Stadt Aschaffenburg nachgefragt (Facebook). Vielleicht schicken sie eine Erklärung, die ich dann hier posten werde :slight_smile:
    Gruß,
    Eva

Hallo!
Ich habe Antwort aus Aschaffenburg erhalten. Habe gefragt, ob ich die Erläuterung im Wortlaut hier posten darf. Melde mich, sobald ich Bescheid weiß.
Gruß,
Eva

So, hier ist die Erklärung, von Herrn Bruno Geißel via Stadtverwaltung Aschaffenburg - vielen Dank!
„Das Wandbild im Trausaal hat den Mythos von „Orpheus und Eurydike“ aus der griechischen Mythologie zum Inhalt. Die Themen sind die unstillbare Liebe und die Treue von Orpheus zu Eurydike, die auch über den Tod hinausreichen. Angefragt wurde das Thema der letzten Szene der Darstellung im Trausaal. Eine Erklärung des Künstlers dazu liegt nicht vor, so dass nur die Deutung bleibt. Möglicherweise zeigt sie die Treue von Orpheus zu Eurydike, indem er nach deren endgültigem Tod die Annäherungen anderer Frauen zurückweist. Die Szene bezieht sich damit auf Ovids Metamorphosen, Buch 10 , 78 - 82. „Dreimal hatte das Jahr, das schließen die schwimmenden Fische, Schon vollbracht der Titan, und es hatte der weiblichen Liebe Orpheus gänzlich entsagt, sei’s, weil sein Leid sie gewesen, Sei’s, weil Treu’ er gelobt. Doch sich zu ergeben dem Sänger War gar manche bereit; gar manche beklagte Verschmähung.“ Im Sinne dieser Zeilen zeigt das Bild die linke Frauenfigur, die bereit ist, sich dem Sänger zu ergeben, die rechte scheint trotz Einsatz aller Reize schon resigniert zu haben und sich verschmäht zu fühlen. Diese Darstellung findet sich sonst in der Kunstgeschichte nicht und ist deshalb möglicherweise eine sehr ungewöhnliche Darstellung oder gar Bilderfindung des Künstlers Hermann Kaspar.“
Gruß,
Eva

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Danke für die intensive Recherche, Eva.
Mehr zum Thema demnächst in „Wandgemälde im Rathaus Aschaffenburg“ ISBN 978-3-933915-47-4

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