„Garten Eden“ und „Paradies“
Hallo,
Ja und nein. Zunächst zu Bosch: Die Bezeichnung der Mitteltafel als „Paradies“ bzw.„Garten der Lüste“ geht nicht auf Bosch selbst zurück, sondern ist ein Produkt der kunstgeschichtlichen Rezeption. Sie hat allerdings einen wohlfundierten volksmythologischen Hintergrund - und ein berühmtes, damals wohlbekanntes literarisches Vorbild: Die dritte Episode in Dantes „Divina Comedia“, die Dante als „paradiso“ bezeichnet. Und gemeint ist jedenfalls - in volksmythologischer Ausmalung - dasselbe, was in anderen Kontexten mittelalterlicher christlicher Mythologie als „Himmel“, „Himmelreich“, „Reich Gottes“, „Jenseits“ oder eben „Paradies“ und „Garten der Lüste“ bezeichnet wurde: Der Aufenthaltsort der auferstandenen Toten, sofern sie das „Letzte Gericht“ auf Grund ihrer Tugenden positiv überstanden haben (die anderen gehen in die „Hölle“)
Wieso diese Region als „Paradies“ bzw „Garten der Lust“ bezeichnet wurde, also genauso wie andererseits der „Garten Eden“, wo Adam und Eva sich aufhielten und woraus sie dann vertrieben wurden, hat folgenden, vielleicht etwas verwirrenden, Hintergrund:
In dem zweiten (obgleich älteren) jüdischen Schöpfungsmythos in 1. Mose 2.4 ff, macht JHWH-Elohim in der Steppe einen „gan edæn“, hebr. גן עדן , was man übersetzen kann entweder als „Garten der Wollust“ oder „Garten (names) Wollust“.
Aus den awestischen Texten der Achämeniden-Epoche (Awesta ist die Textsammlung der Religion des Zarathustra) und aus anderen alt-persischen Texten kannte man den Begriff „pairi-daēza“. Das war die Bezeichnung („ummauerter Bezirk“) für einen Typ von kunstvollen privaten Gartenanlagen des achämenischen Adels. Bei antiken griechischen Historikern wurde dieser Begriff gräzisiert als „parádeisos“, griech. παράδεισος, wiedergegeben. Und in der ersten griechischen Übersetzung der Torah, bzw. des Tanach, die sog. Septuaginta (LXX), wurde das hebr. „gan edæn“ mit eben diesem gräzisierten awestischen „parádeisos“ wiedergegeben. Im Hebr. war derweil bereits seit dem babylonischen Exil das Lehnwort „pardes“ für „gan edæn“ in Gebrauch.
In der jüdischen Eschatologie, dokumentiert in der hebräischen und aramäischen apokalyptischen Literatur der nachexilischen Epoche (später dann auch in den jüdischen Literaturen der Spätantike) dokumentierte sich eine Wandlung der Konzeption der „Auferstehung aus den Toten“ (allerdings nicht in allen jüdischen theologischen Schulrichtungen): Die Auferstandenen werden sich in einer Region aufhalten, die nun ebenfalls mit „gan edæn“ bzw. „paradeisos“ bezeichnet wurde. „Paradies“ hatte nun zwei Konnotationen: Eine mythologische, als Mythem in einem der Schöpfungsmythen, und eine eschatologische als Lebensraum der Auferstandenen.
Diese Wandlung der jüdischen Endzeit-Theologie geschah nicht unabhängig von der erwähnten awestischen zarathustrischen (übrigens sehr viel älteren als die jüdische) Religion: Hier hatten die Toten einen entscheidenden Gang über eine Brücke vor sich, die, je nach der vergangenen Lebensbewältigung, extrem schmal war oder sehr breit. Und wenn sie diese Prüfung bestanden hatten, gingen sie in das „xchathra“ („Reich“) des Gottes Mazda Ahura ein, das dort als „garo demana“ („Haus des Gesanges“) besungen wird. Die anderen kamen in „drug demana“ („Haus des Trugs“) oder „aka demana“ („Haus des Übels“). Das Letztere ist einer der mythologischen Vorläufer der christlichen „Hölle“.
Dasselbe galt dann für die griechischsprachige christliche Theologie der nachapostolischen und spätantiken Epoche, in der ja (in sehr unterschiedlichen und kontroversen frühen Schulrichtungen) die Konzeption der Auferstehung der Toten diskutiert wurde. In der christliche Tradition behielt dann „Garten Eden“ die Bedeutung des primordialen jüdischen Mythems, aber „Paradies“ hatte die doppelte Bedeutung einmal für jenes Mythem und einmal die eschatologische für den Lebensraum des zukünftig erwarteten „ewigen Lebens“, der anders auch als „Reich Gottes“, „Reich der Himmel“ (Matth.), als „Jenseits“ oder auch als „Reich der Seligen“ benannt wurde.
In der volksmythologischen Rezeption wurde das dann auch auf „Himmel“ reduziert. Aus anderen religiösen Kontexten (dem hellenistischen z. B.) war der Himmel („ouranos“) bzw. „die Himmel“ („ouranoi“) ja eh bekannt als Raum, wo die Götter leben. Zugleich war in der griech. Mythologie auch das „elysion“ bekannt, dem Reich, wo die im Kampf gefallenen Helden ihr unsterbliches Leben verbringen. Dies zusammen mit dem aus der awestischen Religion bekannten (wie oben erwähnt) „Haus des Gesanges“ kam dann die spätantike und mittelalterliche Vorstellung von einem (zukünftigen) „Reich der Lüste“, „Garten der Lüste“ auf, die im europäischen „Schlaraffenland“ ihren (albernen) Höhepunkt hatte.
So wurde dieses Mythem also unter Beibehaltung der Wortbedeutung von einem der mythischen Vergangenheit (jenseits der Zeitgeschichte) in eines der mythischen Zukunft (jenseits der Zeitgeschichte) gespiegelt.
Gruß
Metapher