Guten Tag!
"Mit der Auflösung der traditionellen Sozialmilieus verlieren
die alten Konflikte und damit auch ihre parteiliche
Repräsentation für einen Großteil der Bevölkerung an
Bedeutung. Gerade in diesen durch jahrzehntelange
Konfliktlinien geprägten Sozialmilieus jedoch waren die
etablierten Parteien gesellschaftlich verwurzelt und konnten
ihren Wähler- und Mitgliederstamm rekrutieren.
Das meint, dass z.B. die SPD keine klassische Arbeiterpartei mehr ist. Es ist im historischen Vergleich sowohl weniger selbstverständlich geworden, dass der (urbane) Arbeiter die SPD wählt, als auch dass die Wählerschaft der SPD sich aus Arbeitern zusammensetzt.
Das Gerede von der „Neuen Mitte“ aus der Schröder-Zeit verdeutlicht diese Entwicklung, vielleicht waren die Schröder-Jahre sogar ihr finale furioso.
An der SPD und den Arbeitern wird das wohl am deutlichsten, aber auch die Wählerschaft der anderen großen (ehemaligen) Volkspartei, der CDU, hat sich in Bezug auf die sozialen Strukturmerkmale (wie z.B. die Schichtzugehörigkeit) heterogenisiert.
Folgt man dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler Ronald
Inglehart und seiner 1971 aufgestellten These der „stillen
Revolution“, wurden traditionelle Konflikte um die
Umverteilung materieller Ressourcen seit den späten 1970er
Jahren durch neue, so genannte postmaterialistische Konflikte
ergänzt. Von den etablierten Parteien wurden diese neuen
Konflikte zum damaligen Zeitpunkt jedoch nur unzureichend
berücksichtigt."
Ingleharts Postmaterialismus-These aus dem 70er Jahren meint, dass die Konfliktlinien inzwischen nicht mehr so stark ausschließlich entlang des ökonomischen Verteilungskampfes laufen (wie etwa zur Zeit der großen Auseinandersetzung der Arbeiter mit den Kapitalbesitzern), sondern dass sie nun komplexer sind, und z.B. die Haltungen des Einzelnen zum Umweltschutz oder zur Bildungspolitik für seine jeweilige Wahlentscheidung nun wichtiger geworden sind als nur die zur ökonomische (Um)Verteilung.
Die Etablierung der Grünen damals mit dem Leitmotiv Umwelt lässt sich so interpretieren, dass dieses Thema (und damit das Wichtigerwerden von immateriellen Themen) von den etablierten Parteien CDU und SPD zu lange vernachlässigt wurde.
Übrigens könnte man dann aber die Etablierung der Linkspartei im Westen mit ihrer fast ausschließlichen Thematisierung von Armut, Arbeitslosigkeit und Hartz IV als einen Schritt zurück zum „Materialismus“ verstehen.
Das hat Inglehart damals übrigens auch so gemeint: Postmaterialistische Werte- und Interessensstrukturen entstehen erst, wenn eine gesunde materielle Basis vorhanden ist. Bei Massenarbeitslosigkeit und -verarmung gehts zurück zum Materiellen …
E.T.