Hallo Hudson,
das Problem, das Du aufgeworfen hast, hat es durchaus in sich; es ist
deshalb an diesem Ort nur möglich, rhapsodisch einige Gedanken dazu
zwecks Anregung tieferen Nachdenkens zu formulieren. Es wäre
natürlich gut, wenn jemand Deine Frage nach einem Buch oder Artikel,
wo dieses Problem konzise behandelt wird, beantworten könnte.
Zunächst zu Humes „naturalistic fallacy“.
Beispiel:
A stellt fest: B ist am Ertrinken. (wertfrei, deskriptiv)
A folgert: A soll B vor dem Ertrinken retten. (wertend, präskriptiv)
Falsch gefolgert !
Richtig nur mit der hier unterschlagenen Prämisse,
dass man Ertrinkende retten soll.
Das ist doch ein sehr schlichter Gedankengang, so dass man sich
fragt, warum die Philosophie für diese Entdeckung auf Hume warten
musste, und warum er heute im Westen so Konjunktur hat.
Übrigens:
Wenn ich oben für B auch A setze:
Bleibt dann, ohne wertende Prämisse, der Schluss falsch ?
Zum „kulturalistischen Fehlschluss“ (von dem ich noch nichts gelesen
habe).
Ein vergleichbar schlichter Gedankengang scheint hier nicht möglich.
Denn das Sein, auf das von einem Sollen geschlossen wird, „existiert“
immer schon vorher: Gehlen, um auf Dein Beispiel einzugehen,
entwickelte seine apologetische Theorie der Institutionen in Abwehr
der Kritik an ihnen oder ihres Zerfalls im Westen (er ging sogar so
weit, zu sagen, die Sowjetunion werde sich einst als letzte
Ordnungsmacht in Europa erweisen - FR, 21.2.76).
Wie meinst du das [genau] mit Gott…
Gott, das Sein Gottes, war auch zuerst da (d.h. wurde
geglaubt) - obwohl eine Non-Entität. Jahrhunderte haben sich die
klügsten Köpfe angestrengt, seine Existenz zu beweisen, und noch
heute gibt es an den meisten Universitäten Fakultäten für Theo-logie;
nennen sich Atheisten meist verschämt Agnostiker, u.a., weil sie der
Aufforderung nicht nachkommen können, Gottes Nicht-Existenz zu
beweisen; meinen viele Gebildete „ohne Gott ist alles erlaubt/
sinnlos“ usw.usf.
Er soll sein, und sei es im Sinne Voltaires „für die Anderen“.
Und, ganz unphilosophisch gefragt: wann könnte es wohl einen US-
Präsidenten geben, der sagt, er glaube nicht, dass es Gott gibt.
…und dem „mündigen Menschen“?
hier ist es komplizierter, hängt an dem historischen Prozess, der,
salopp gesagt, die Herrschenden langsam und etappenweise von der
Gültigkeit des Anarcho-Spruches „Wahlen ändern nichts - sonst wären
sie verboten !“ überzeugt hat, so dass jetzt allgemein das Prinzip
„one man one vote“ propagiert wird. Um das ideologisch zu
untermauern, soll jeder wählende Mensch „mündig“ sein, wird er
dazu erklärt.
Wäre freilich noch viel mehr dazu zu sagen, aber…
Und was hat Vaihinger dazu zu sagen? Dass Gott nur eine Fiktion ist,
die angenommen wird, um ein bestimmtes (soziales?) Sein zu
sichern?
Vaihinger war m.E. ein Apologet des Bestehenden; sein „Trick“ war,
mit Hilfe der Einsichtigkeit des Sinnes von „Fiktionen“ im Bereich
der (Natur-)wissenschaften die Einsichtigkeit des Sinnes der
etablierten „Fiktionen“ für den Bereich des sozialen Lebens zu
suggerieren.
Wir haben wohl einen verdammt dicken Fisch an der Angel,
werden ihn kaum hier an Bord hieven können,
meint
Nescio