Pendant zum naturalistischen Fehlschluss?

Schlicht definiert bedeutet der naturalistische Fehlschluss ein Schließen von einem Sein auf ein Sollen, was dem Humeschen Gesetz widerspricht. Gibt es nun auch einen terminus technicus für den umgekehrten Fall, wenn man also von einem Sollen auf ein Sein schließt, wie man es etwa in mancher Anthropologie findet (ich denke vor allem an Arnold Gehlen)? Kennt jemand einen Philosophen (oder ein bestimmtes Buch), der diesen Fall behandelt?

Grüße
Hudson

umgekehrter naturalistischen Fehlschluss?
Hallo,

Schlicht definiert bedeutet der naturalistische Fehlschluss
ein Schließen von einem Sein auf ein Sollen, was dem Humeschen
Gesetz widerspricht. Gibt es nun auch einen terminus technicus
für den umgekehrten Fall, wenn man also von einem Sollen auf
ein Sein schließt, wie man es etwa in mancher Anthropologie
findet (ich denke vor allem an Arnold Gehlen)? Kennt jemand
einen Philosophen (oder ein bestimmtes Buch), der diesen Fall
behandelt?

spannende Frage, finde ich, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Vielleicht kannst du mal kurz erläutern, inwiefern und an welcher Stelle du ein solches Denken bei Gehlen vermutest.

Mir selbst fällt eher etwas anderes ein, nämlich die Axiomatik, speziell der Modus ponens: Wenn A, dann B, nun aber A, also B. A = Man soll an Ampeln halten; B = Ich halte an Ampeln. Also: Wenn man an Ampeln halten soll, dann halte ich an Ampeln. Nun soll man an Ampeln halten, also halte ich an Ampeln.

Damit zusammen hängt natürlich auch der Modus tollens, der hier dann die Form eines naturalistischen Fehlschlusses annimmt: Wenn ich nicht an Ampeln halte, bedeutet das ja durchaus nicht, dass ich der Meinung wäre, dass man an Ampeln generell nicht halten sollte, sondern mein Weiterfahren hat ja u. U. ganz andere Gründe (Zeitmangel etc.).

Nun liegt hier im ersten Fall ja eigentlich kein echter Modus ponens vor, denn eigentlich kann ich ja nur vom Sollen auf ein anderes Sollen schließen: Wenn man an Ampeln halten soll, darum sollte auch ich an Ampeln halten. Ich würde daher vermuten, dass der Schluss vom Sollen auf das Sein ein schlichter umgekehrter naturalistischer Fehlschluss ist.

Einfach mal so ins Unreine gedacht …

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo,

Schlicht definiert bedeutet der naturalistische Fehlschluss
ein Schließen von einem Sein auf ein Sollen, was dem Humeschen
Gesetz widerspricht. Gibt es nun auch einen terminus technicus
für den umgekehrten Fall, wenn man also von einem Sollen auf
ein Sein schließt, wie man es etwa in mancher Anthropologie
findet (ich denke vor allem an Arnold Gehlen)? Kennt jemand
einen Philosophen (oder ein bestimmtes Buch), der diesen Fall
behandelt?

Kenne dazu nichts.
Aber als Terminus passend wäre „Kulturalistischer Fehlschluss“.
Das Sein „Gottes“ wäre der prominenteste Fall;
oder in unserer Zeit -> der „mündige Mensch“ :wink:
(beides aber auch mit Vaihingers „Als-ob“ erfassbar)

Ich stimme Thomas Miller zu: interessantes Thema.
Was steht denn wo bei Gehlen dazu ?

Gruss
Nescio

Hallo Hudson!

Auf den ersten Blick erscheint deine Anfrage akausal. Vielleicht verdeutlichst du ja noch, was du angedeutet hast, ich gehe vorerst mal davon aus, dass du auf die aus der Biologie gewonnene Erkenntnis der Anthroprologen, wie Gehlen und Plessner abzielst, die im Menschen ein Mängelwesen sehen, das gezwungen ist, aus sich zu machen was es ist, d.h. von Natur aus auf Kultivierung angewiesen, was ja eigentlich ein „Contradictio“ wäre, vor allem wenn man eben im Umkehrschluss vom kultivierten auf das natürliche Sein schliesst, vom Sollen auf das Sein?
Ein passendes und aktuelles Beispiel eines naturalistischen Fehlschlusses, liegt z.B. im aktuellen Terrorismus vor:
Aus der nichtmoralischen Tatsachenfestellung,„Die Terroranschläge häufen sich“, wird auf die moralische Aussage: „man muß den Terrorismus bekämpfen“, geschlossen. Der Schluss wäre erst dann korrekt, wenn eine der Prämissen ebenfalls moralischer Art wäre, also z.B.:„Der Terrorismus ist aus bestimmten moralischen Gründen verwerflich.“
Betrachten wir hier die Gegenseite, also die kausalen Gründe der Terroristen, wird die Sache schon spannender und komplexer. Ist der Mensch in der Lage, den Coincidenta oppositorum zu durchbrechen? Durch Logik?
Moore kommt in seinen „Principia Ethica“ zum Schluss, dass „gut“ nicht weiter analysierbar ist. Alle Versuche führen zu einem naturalistischen Fehlschluss. Wenn man nun vom Sollen auf das Sein schliesst? In der Tat eine interessante Geschichte, nur wie mit der Kausalität zu vereinbaren?
Ich höre jetzt auf das weiter zu entwickeln, weil ich nicht weiss, ob ich dich richtig interpretiere?
Ein entsprechendes Buch fällt mir im Moment auch nicht ein.

Viele Grüße
Junktor

Hallo Junktor,

ich habe die Frage so verstanden, wie du sie im ersten Absatz erläutert hast. Man kann Gehlen kritisieren, dass er von der Beschreibung des Menschen als Mängelwesen, das unspezialisiert, instinktresidual, antriebsüberschüssig ist, auf die Notwendigkeit stabiler Institutionen schließt, was in meinen Augen ein naturalistischer Fehlschluss ist (ganz abgesehen von der problematischen Mängelwesentheorie). Man könnte die Gehlensche Theorieentwicklung aber auch von der anderen Seite betrachten: dass Gehlen von seiner Hochschätzun stabiler Ordnung und Institutionen (was ich als normative Prämisse, also als ein Sollen bezeichnen würde) auf das Sein des Menschen als instabiles Wesen „schließt“, um damit jene rechtfertigen zu können. Zwar entwickelt Gehlen seine Theorie der „obersten Führungssysteme“ erst im Anschluss an seine elementare Anthropologie, aber zum einen glaube ich, dass man zwischen Institutionenlehre und Anthropologie nicht strikt trennen sollte, und außerdem war Gehlens Ordnungsdenken bereits in seinen Frühschriften entwickelt. Im übrigen kann der Rekurs auf eine angebliche Natürlichkeit jedes erwünschte Gesellschaftsbild liefern. Dieser Gefahr ist jede Anthropologie ausgesetzt, solange sie sich nicht als negative versteht. So hat ja schon Aristoteles die Sklavenherrschaft mit der angeblichen Natur der Sklaven legitimiert. Mit logischen Argumenten sind diese Theorien wohl nicht zu fassen.

Schöne Grüße
Hudson

Hallo Nescio,

an den Terminus „Kulturalistischer Fehlschluss“ habe ich auch gedacht. Ich finde ihn so einleuchtend, dass es mich wundern würde, wenn er nicht irgendwo thematisiert würde. Wie meinst du das genau mit Gott und dem „mündigen Menschen“? Und was hat Vaihinger dazu zu sagen? Dass Gott nur eine Fiktion ist, die angenommen wird, um ein bestimmtes (soziales?) Sein zu sichern?

Wieso ich bei Gehlen einen kulturalistischen Fehlschluss vermute, habe ich in meiner Antwort auf Junktors Beitrag erörtert.

Grüße
Hudson

Hallo,

streng logisch gesehen, würde ich dir wohl zustimmen. Aber - wie ich in der Antwort auf Junktor erklärt habe - meine ich eine „aufgeweichte“ Form des naturalistischen Fehlschlusses.

Grüße
Hudson

Hallo,

streng logisch gesehen, würde ich dir wohl zustimmen. Aber -
wie ich in der Antwort auf Junktor erklärt habe - meine ich
eine „aufgeweichte“ Form des naturalistischen Fehlschlusses.

nein, da hast du mich missverstanden, ich meinte es nicht „streng“ oder „rein“ logisch, sondern durchaus so, wie bei Junktor dargestellt. Wir finden solche Vorgehensweisen, wie ich sie meine, in verschiedenen Ansätzen, die schon einen Wirklichkeitsbezug haben, also nicht rein formal sind.

Als Beispiel nenne ich die kopenhagener Deutung der Quantentheorie, die m. E. so interpretierbar ist, weil hier die Statistik nicht mehr als Notnagel dient, sondern sogar überinterpretiert wird in dem Sinne, dass das Teilchen sich nirgendwo befinden kann, weil es sich statistisch (und nicht diskret) verhalten >soll.

Ein zweites Beispiel finden wir in spätmarxistischen Schriften, wo die Unzufriedenheit der Arbeiter im Sozialismus eben nicht auf die Schwäche des Prinzips zurückgeführt wird, sondern auf die Unfähigkeit der Arbeiter, die Güte des sozialistischen Systems einzusehen: Der Sozialismus passt immer, weil er passen soll. Er wird - um das vorhergehende Posting wieder aufzunehmen - axiomatisch postuliert.

Mit fällt dazu noch Hugo Dingler ein, der an den Anfang wissenschaftlicher Methodik den Willen gesetzt hat, wie man vorgehen will bzw. wie vorgegangen werden soll , also eine voluntaristische Wissenschaftstheorie vertritt. Am Anfang wird eben festgelegt, wie es sein soll, was dann eben am Ende immer stimmen muss und daher als Zustand manifestiert wird.

Eigentlich könnte man alle ideologisch postulierenden Axiomatiken hier anführen. Dann gilt zwar immer noch der Grundsatz „Ex falso quodlibet sequitur“, aber es lassen sich ja immer Gründe finden, die den Grund für späteres Versagen nicht dem Axiom anlasten.

Vaihinger ist dafür ein klassisches Beispiel, denn er neigt nicht nur zum Pragmatismus, sondern auch zum Relativismus, weil es ziemlich egal ist, ob es sich etwa beim Gottesbegriff um eine Vollfiktion oder um eine Semifiktion handelt, wobei er doch eigentlich gerade hier einen wichtigen Unterschied machen müsste. Den macht er auch, richtig, aber dieser Unterschied hat keine Folgen. Denn während etwa Semifiktionen sind noch pragmatisch rechtfertigen lassen könnten, wären Vollfiktionen als Selbstwidersprüche für einen Pragmatismus kaum tragbar, weil sich daraus ja auch (pragmatische) Widersprüche ergeben (können), was bei Semifiktionen nicht zwangsläufig der Fall ist.

Ich denke also immer noch, dass es keinen wesentlichen Unterschied macht, von welcher Seite aus man den naturalistischen Fehlschluss betrachtet, bin aber hier auch gerne bereit, meine Überzeugung noch einmal in Frage zu stellen, weil sie mir nicht so ganz überzeugend zu sein scheint. Aber das würde ja nicht wichtig sein, wenn es dazu führt, dass man die Sache klarer analysieren kann.

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo Hudson,
vermischst Du nicht gerade Motivation und Folgerung? Wenn Gehlen wie Du schreibst seine Aussagen über das „Mängelwesen“ getroffen hat, um etwas, das er vorausgesetzt hat und untermauern wollte, nämlich die Aufgabe der Kultivierung, zu stützen, ist das für meine Begriffe nur eine Frage der Motivation, der Schluss bleibt der gleiche.
Noch weiter gedacht: Wenn es ein Pendant zum naturalistischen Fehlschluss gibt, würde es ja heißen: Etwas bestimmtes soll sein, deshalb muss etwas anderes so oder so sein.
Dieser Schluss könnte formallogisch korrekt sein und somit mit dem Wahrheitswert der Prämisse, dass etwas bestimmtes sein soll, stehen und fallen. Wenn ich aber zuvor bereits eben wegen des naturalistischen Fehlschlusses davon ausgehen muss, dass ich nie etwas, das sein soll, aus etwas ableiten kann, das ist, ist der Wahrheitswert der Prämisse immer unklar. Deshalb ist die Annahme der Folgerung gerade wegen des naturalistischen Fehlschlusses ebenfalls falsch. Heißt kurz gesagt: Das Gegenstück zum naturalistischen Fehlschluss ist ebenfalls der naturalistische Fehlschluss.
lg
F.

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo Hudson,

das Problem, das Du aufgeworfen hast, hat es durchaus in sich; es ist
deshalb an diesem Ort nur möglich, rhapsodisch einige Gedanken dazu
zwecks Anregung tieferen Nachdenkens zu formulieren. Es wäre
natürlich gut, wenn jemand Deine Frage nach einem Buch oder Artikel,
wo dieses Problem konzise behandelt wird, beantworten könnte.

Zunächst zu Humes „naturalistic fallacy“.
Beispiel:
A stellt fest: B ist am Ertrinken. (wertfrei, deskriptiv)
A folgert: A soll B vor dem Ertrinken retten. (wertend, präskriptiv)
Falsch gefolgert !
Richtig nur mit der hier unterschlagenen Prämisse,
dass man Ertrinkende retten soll.
Das ist doch ein sehr schlichter Gedankengang, so dass man sich
fragt, warum die Philosophie für diese Entdeckung auf Hume warten
musste, und warum er heute im Westen so Konjunktur hat.

Übrigens:
Wenn ich oben für B auch A setze:
Bleibt dann, ohne wertende Prämisse, der Schluss falsch ?

Zum „kulturalistischen Fehlschluss“ (von dem ich noch nichts gelesen
habe).
Ein vergleichbar schlichter Gedankengang scheint hier nicht möglich.
Denn das Sein, auf das von einem Sollen geschlossen wird, „existiert“
immer schon vorher: Gehlen, um auf Dein Beispiel einzugehen,
entwickelte seine apologetische Theorie der Institutionen in Abwehr
der Kritik an ihnen oder ihres Zerfalls im Westen (er ging sogar so
weit, zu sagen, die Sowjetunion werde sich einst als letzte
Ordnungsmacht in Europa erweisen - FR, 21.2.76).

Wie meinst du das [genau] mit Gott…

Gott, das Sein Gottes, war auch zuerst da (d.h. wurde
geglaubt) - obwohl eine Non-Entität. Jahrhunderte haben sich die
klügsten Köpfe angestrengt, seine Existenz zu beweisen, und noch
heute gibt es an den meisten Universitäten Fakultäten für Theo-logie;
nennen sich Atheisten meist verschämt Agnostiker, u.a., weil sie der
Aufforderung nicht nachkommen können, Gottes Nicht-Existenz zu
beweisen; meinen viele Gebildete „ohne Gott ist alles erlaubt/
sinnlos“ usw.usf.
Er soll sein, und sei es im Sinne Voltaires „für die Anderen“.
Und, ganz unphilosophisch gefragt: wann könnte es wohl einen US-
Präsidenten geben, der sagt, er glaube nicht, dass es Gott gibt.

…und dem „mündigen Menschen“?

hier ist es komplizierter, hängt an dem historischen Prozess, der,
salopp gesagt, die Herrschenden langsam und etappenweise von der
Gültigkeit des Anarcho-Spruches „Wahlen ändern nichts - sonst wären
sie verboten !“ überzeugt hat, so dass jetzt allgemein das Prinzip
„one man one vote“ propagiert wird. Um das ideologisch zu
untermauern, soll jeder wählende Mensch „mündig“ sein, wird er
dazu erklärt.
Wäre freilich noch viel mehr dazu zu sagen, aber…

Und was hat Vaihinger dazu zu sagen? Dass Gott nur eine Fiktion ist,
die angenommen wird, um ein bestimmtes (soziales?) Sein zu
sichern?

Vaihinger war m.E. ein Apologet des Bestehenden; sein „Trick“ war,
mit Hilfe der Einsichtigkeit des Sinnes von „Fiktionen“ im Bereich
der (Natur-)wissenschaften die Einsichtigkeit des Sinnes der
etablierten „Fiktionen“ für den Bereich des sozialen Lebens zu
suggerieren.

Wir haben wohl einen verdammt dicken Fisch an der Angel,
werden ihn kaum hier an Bord hieven können,

meint
Nescio

Ex falso sequitur quodlibet
Du hast die andere Eigenschaft unterschlagen, lieber Thomas:

„Verum sequitur ex quodlibet“ :smile:

Streng logisch kommen hier, wie ja schon erwähnt, nicht zum Schluss.

Ich denke also immer noch, dass es keinen wesentlichen
Unterschied macht, von welcher Seite aus man den
naturalistischen Fehlschluss betrachtet, bin aber hier auch
gerne bereit, meine Überzeugung noch einmal in Frage zu
stellen, weil sie mir nicht so ganz überzeugend zu sein
scheint. Aber das würde ja nicht wichtig sein, wenn es dazu
führt, dass man die Sache klarer analysieren kann.

Der Unterschied besteht imho darin, dass wir die kultivierte Seite selbst mitbestimmen. Indem wir ein Axiom erstellen, schaffen wir u.U. eine neue Wirklichkeit, die über den naturalistischen Fehlschluß identifiert eine völlig neue Qualität erfährt.

Eine spannende Geschichte, die mich endlich mal wieder berührt.

Viele Grüße
Junktor

1 Like

Hallo Junktor,

„Verum sequitur ex quodlibet“ :smile:

jaja, schon recht, ich stimme (überraschend?) zu, allerdings hätte ich hier

Der Unterschied besteht imho darin, dass wir die kultivierte
Seite selbst mitbestimmen. Indem wir ein Axiom erstellen,
schaffen wir u.U. eine neue Wirklichkeit, die über den
naturalistischen Fehlschluß identifiert eine völlig neue
Qualität erfährt.

doch Bedenken, weil das geradewegs in den Relativismus führt bzw. ihn nicht verhindert bzw. begründet unterminiert. Jetzt steht die Frage im Raum, wie wir Phänomene wie Hitler beurteilen bzw. verurteilen können/dürfen. Es ist natürlich klar, dass wir das verurteilen wollen, aber wie können wir das wollen, wenn wir die Grundsätze relativieren? Das ist ein sehr heikles Territorium, auf das wir uns da begeben …

Eine spannende Geschichte, die mich endlich mal wieder
berührt.

… vielleicht deshalb …

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo Fredun,

ich stimme dir zu, dass zwischen Motivation und Folgerung unterschieden werden muss (das meinte ich damit, dass dieser Fall nicht streng logisch zu fassen ist). Bei Gehlen handelt es sich in der Tat um eine Frage nach der Motivation seiner Institutionenbegründung. Mein Beispiel weitergedacht: Lorenz, Claesssens u.a. argumentieren gegen Gehlen, dass der Mensch überhaupt nicht so defizient sei, wie Gehlen behauptet, und zwar durchaus schon in seiner biologischen Ausstattung. Wenn der Mensch also doch fester in die Umwelt eingepasst ist, als Gehlen annimmt, fällt auch die Plausibiltät der rigiden Institutionenlehre weg. Gehlen, so könnte man argumentieren, dramatisiert mit seiner Mängelwesentheorie also die Konstitution und Situation des Menschen (was dieser später selbst eingestanden hat), um seine Forderung nach strengen Ordnungsinstanzen zu legitimieren. Dies ist natürlich eine Frage der Motivation, nicht der logischen Folgerung. Und auch wenn Gehlen systematisch die Anthropologie vor der Institutionenlehre behandelt und damit eher dem naturalistischen Fehlschluss aufzusitzen scheint als dem „kulturalistischen“, leitet diese Motivation sein gesamtes Denken (und entscheidet beispielsweise über die Auswahl der zur Unterstützung herangezogenen naturwisseschaftlichen Theorien, Bolk etc.).
Diese Frage ist also eher eine wissenssoziologische und biographische als wissenschaftstheoretische oder logische. Von einem „kulturalistischen Fehlschluss“ kann daher wohl nur cum grano salis gesprochen werden, da es sich überhaupt nicht um einen „Schluss“ handelt, sondern um eine normative Axiomatik.

Viele Grüße
Hudson

Hallo Thomas,

vielen Dank für deinen informativen Beitrag! Besonders den Hinweis auf Hugo Dingler, der mir wenig bekannt ist, fand ich interessant. Du hast mit Sicherheit recht, dass das von mir eingeführte Problem jede normative Axiomatik trifft, und daher eher ein Fall von Ideologiekritik oder Wissenssoziologie ist.

Viele Grüße
Hudson

Hallo Hudson!

Gehlen, so könnte man argumentieren,
dramatisiert mit seiner Mängelwesentheorie also die
Konstitution und Situation des Menschen (was dieser später
selbst eingestanden hat), um seine Forderung nach strengen
Ordnungsinstanzen zu legitimieren. Dies ist natürlich eine
Frage der Motivation, nicht der logischen Folgerung.

Er begeht ja auch schon die einfachsten logischen Fehler. Indem er die Mängelwesentheorie aus dem Vergleich Mensch mit Tier ableitet,
vergleicht er Äpfel mit Birnen.
Und er war von 1933-1945 Mitglied der NSDAP.
Nicht nur eine Frage der Motivation, sondern auch eine Frage der „Steuerung“? Dazu hat er sich Zeit Lebens aber nie geäußert.

Diese Frage ist also eher eine wissenssoziologische und
biographische als wissenschaftstheoretische oder logische. Von
einem „kulturalistischen Fehlschluss“ kann daher wohl nur cum
grano salis gesprochen werden, da es sich überhaupt nicht um
einen „Schluss“ handelt, sondern um eine normative Axiomatik.

Nichts desto trotz:
Verum sequitur ex quodlibet.

Die Suche nach einem Ziel führt uns oft auf falsche Pfade, aber mit jedem Versuch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit den „richtigen“
zu finden um ein Dramatisches! :smile:

Viele Grüße
Junktor

Hallo Thomas!

doch Bedenken, weil das geradewegs in den Relativismus führt
bzw. ihn nicht verhindert bzw. begründet unterminiert. Jetzt
steht die Frage im Raum, wie wir Phänomene wie Hitler
beurteilen bzw. verurteilen können/dürfen. Es ist natürlich
klar, dass wir das verurteilen wollen, aber wie können wir das
wollen, wenn wir die Grundsätze relativieren? Das ist ein sehr
heikles Territorium, auf das wir uns da begeben …

In der Tat ein heikles Thema, nichtsdestotrotz muß es angegangen werden, denn erst indem wir es verdrängen, geben wir den destruktiven Strukturen die Möglichkeit zur freien Entwicklung.
Ein guter Ansatz ist die Frommsche Psychoanalyse Hitlers, in „Anatomie der menschlichen Destruktivität“.
Er gibt dem Menschen die Würde zurück und darauf läßt sich dann aufbauen, entwickeln, kaizen,…

Eine spannende Geschichte, die mich endlich mal wieder
berührt.

… vielleicht deshalb …

Ja wahrscheinlich! Nur weil wir in uns selbst peinliches oder gefährliches vermuten, haben wir nicht den Mut nachzuschauen, bzw. standzuhalten. Ich vermute aber, dass wir an diesem Schritt nicht vorbeikommen, wer nicht aufbricht, der wird aufgebrochen. Ich weiss, ist ein furchtbar esoterischer Schinken, nur sollte man diese Verantwortung eben nicht an die falschen Leute delegieren. Wenn wir nicht den Mut haben, dann dürfen wir uns auch nicht beklagen, wenn eben ein Hitler daherkommt und „es“ sich nimmt!

Herzliche Grüße
Junktor

1 Like

Hallo Junktor,

In der Tat ein heikles Thema, nichtsdestotrotz muß es
angegangen werden, denn erst indem wir es verdrängen, geben
wir den destruktiven Strukturen die Möglichkeit zur freien
Entwicklung.

das halte ich für richtig.

Ein guter Ansatz ist die Frommsche Psychoanalyse Hitlers, in
„Anatomie der menschlichen Destruktivität“.
Er gibt dem Menschen die Würde zurück und darauf läßt sich
dann aufbauen, entwickeln, kaizen,…

Das ist mir im Moment nicht präsent, ich kümmere mich demnächst mal darum.

Nur weil wir in uns selbst peinliches oder
gefährliches vermuten, haben wir nicht den Mut nachzuschauen,
bzw. standzuhalten. Ich vermute aber, dass wir an diesem
Schritt nicht vorbeikommen, wer nicht aufbricht, der wird
aufgebrochen. Ich weiss, ist ein furchtbar esoterischer
Schinken, nur sollte man diese Verantwortung eben nicht an die
falschen Leute delegieren. Wenn wir nicht den Mut haben, dann
dürfen wir uns auch nicht beklagen, wenn eben ein Hitler
daherkommt und „es“ sich nimmt!

Das nun ist zwar richtig, hat aber mit dem angesprochenen Relativismus nichts zu tun, weil ja die Beschreibung von Destruktivität keine Normen berührt, sondern höchstens Problembereiche absteckt, in denen Normbegründung stattfindet bzw. stattfinden soll(te).

Herzliche Grüße

Thomas Miller

Hallo Thomas!

Das nun ist zwar richtig, hat aber mit dem angesprochenen
Relativismus nichts zu tun, weil ja die Beschreibung von
Destruktivität keine Normen berührt, sondern höchstens
Problembereiche absteckt, in denen Normbegründung stattfindet
bzw. stattfinden soll(te).

Ja stimmt, da bin ich ein wenig ausgeschweift! Du meinst, dass wir so in eine Einstellung gelangen, in der es keine allgemeingültige Wahrheit, bzw. Erkennen gibt, es also immer abhängig vom Perspektivismus, vom Standpunkt des Erkennenden ist. Der Mensch ist das Mass der Dinge…?
Ich gehe davon aus, dass du von ethischen Normen sprichst? Geht man spekulativ(!) einmal davon aus, daß proportional mit der zunehmenden Erkenntnis (des Individuums), die Notwendigkeit von Normen per se ad acta gelegt werden?! Vom Extrasomatischen ins Somatische oder gar vom Extragenetischen ins Genetische übernommen werden. Praktische Philosophie muß ein Weg hin zur Verwirklichung des „Nomos“ sein.
Oder aber

„Verum sequitur ex quodlibet“ = Falsch

Dieses Risiko müssen wir eingehen. Jedenfalls mal theoretischer Natur.

Herzliche Grüße
Junktor

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verzagt? verjagt? abgehakt?
Junktor:

Wenn man nun vom Sollen auf das Sein schliesst? In der Tat eine
interessante Geschichte…
Eine spannende Geschichte, die mich endlich mal wieder berührt.

Thomas Miller:

spannende Frage, finde ich, darüber habe ich noch nie nachgedacht.

Nescio:

Wir haben wohl einen verdammt dicken Fisch an der Angel,
werden ihn kaum hier an Bord hieven können.

Finito ?

Bekam Warnung: Zu hoher Zitatanteil.
Also noch eine Frage angehängt:
Wo bleiben die Stimmen weiterer Koryphäen des Philo-Bretts ?

Nescio