Peter Bichsel - Ein Tisch ist ein Tisch

Hallo,

Kann mir jemand bei dieser Aufgabe helfen?

Hier erstmal der Textabschnitt aus der Kurzgeschichte „Ein Tisch ist ein Tisch“ von Peter Bichsel:

„Immer derselbe Tisch“, sagte der Mann, "dieselben Stühle, das Bett, das Bild. Und dem Tisch sage ich Tisch, dem Bild sage ich Bild, das Bett heißt Bett, und den Stuhl nennt man Stuhl. Warum denn eigentlich? Die Franzosen sagen dem Bett ‚li‘, dem Tisch ‚tabl‘, nennen das Bild ‚tablo‘ und den Stuhl ‚schäs‘, und sie verstehen sich. Und die Chinesen verstehen sich auch.

Welche sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse über das Gespräch können Sie anhand des Textes von Peter Bichsel erläutern?

Danke im voraus!
Huggy Bear

Hallo

mir fällt da Ferdinand de Saussures Theorie des sprachlichen Zeichnens ein.

Demnach ist also der Begriff mit dem etwas in einer Gemeinschaft oder einem Land bezeichnet wird, völlig willkürlich, es gibt auch keinen Grund wieso jetzt der Engländer ausgerechnet „tree“ sagt und der Franzose „abre“.
Hauptsache ist, dass derjenige in der Sprachgemeinschaft mit dem Wort „Baum“ auch wirklich einen Baum assoziiert. Deshalb macht es auch für einzelne Mitglieder der Gemeinschaft keinen Sinn irgendetwas plötzlich umzubenennen.
Es wird, wie dieser Saussure sagt, durch Konvention geregelt, „wie Ihnhalts und Ausdrucksseite eines Zeichens miteinander verbunden sind“

Sprich: Hauptsache du wirst von deinem Gegenüber verstanden.

So dürfte dann wohl auch Jugendsprache zu erklären sein, und warum sie funktioniert.
Wird die Grenze überschritten, wo jemand etwas nicht mehr verstehen kann, so wird dieses Wort auch nicht benutzt, man möchte ja verstanden werden :wink:

Ich hoffe das hat es wenigstens so einigermaßen getroffen

Grüße

Laralinda

Hi,

Saussure ist mir auch zuerst eingefallen.
Generelle Aussage: Das sprachliche Zeichen ist sowohl arbiträr als auch konventionell, zwar willkürlich der Vorstellung zugeordnet, innerhalb einer Sprachgemeinschaft aber verbindlich.
Semiotisches Dreieck irgendwie reinbringen ist bestimmt auch nicht schlecht…

Dann würde ich es auch noch mit der Zeichentheorie von Peirce versuchen: Der teilt Zeichen in drei Klassen: Index, Ikon, Symbol.
Wörter sind Symbole und keine Ikone (Abbildungen), was sich unter anderem daran belegen lässt, dass sie halt in verschiedenen Sprachen verschieden heißen.

Wirres Brainstorming war das, ich hoffe du kannst was damit anfangen.

*wink*
Sonja

Hallo,

Schau dir mal das Bild von Magritte dazu an; der Titel " „ceci n’est pas une pipe“ heiß übersetzt „dies ist keine Pfeife“ http://cours.funoc.be/essentiel/article/img151/magri… .
Auch Bilder von Max Ernst und anderen Surrealisten bringen dich vielleicht auf ein paar Ideen, wenn Du Titel und Bild vergleichst.

Gruß
gargas

Erstmal vielen Dank für die hilfreichen Antworten.

@gargas
Ich weiß nicht, was ich darunter verstehen soll? Soll das Bild vielleicht uns verunsichern, weil das eine Pfeife darstellt, aber unten uns sagt, dass es doch keine Pfeife ist? Soll das uns zeigen, dass wir schwer Begriffe umtauschen können, weil wir für jedes Bild, Sache etc. ein Wort haben, die wir in unseren Köpfe festgeankert haben?

Huggy Bear

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo Huggy,

Ich weiß nicht, was ich darunter verstehen soll? Soll das Bild
vielleicht uns verunsichern, weil das eine Pfeife darstellt,
aber unten uns sagt, dass es doch keine Pfeife ist? Soll das
uns zeigen, dass wir schwer Begriffe umtauschen können, weil
wir für jedes Bild, Sache etc. ein Wort haben, die wir in
unseren Köpfe festgeankert haben?

Ja, vielleicht. Ich erinnere mich daran, dass ich vor -zig Tausend Jahren in einem Semantik-Seminar saß, und der Prof hat uns anhand dieses Bildes und anderer Surrealisten Semantik beigebracht - aber frag mich nicht mehr, was das genau war. Irgendwas mit Zeichentheorie, Bezeichnetem und Bezeichnendem.
Das sollt nur ein Denkanstoß sein. Die Geschichte von Bichsel geht doch dann so weiter, dass er die Dinge anders benennt und sich so eine Art künstliche Realität erschafft, mit Hilfe der Sprache. Und das Magritte ja auch mit seinem Bild. Schien mir eine interessante Idee, aber ich habe nicht länger darüber nachgedacht.
Vielleicht kommt noch jemand, der mehr damit anfangen kann.

Gruß
gargas

Erinnerung aus der Semantik
Da ist mir doch noch eine Erinnerung hochgestiegen.
Jeder normale Mensch der das Bild sieht, sagt" Klar ist das eine Pfeife, und sogar eine besonders gut gelungene." Aber in Wirklichkeit ist es tatsächlich keine Pfeife, sondern nur ein Bild, ein Zeichen für eine Pfeife.
Wenn wir ein Wort für einen Gegenstand hören, machen wir uns im Kopf ein Bild von diesem Gegenstand, aber das Bild ist bei jedem Menschen anders. Bei „Tisch“ sieht der eine einen runden, der andere einen viereckigen - man kann die Liste der Bildelemente ziemlich lang machen: hoch, niedrig, Farben, Größe, Gebrauch usw…Und wenn jemand zum ersten Mal einen japanischen Teetisch sieht mit diesen abgesägten Beinen dann glaubt er nicht, dass das ein Tisch ist, obwohl es ja nun wirklich einer ist.
Zu der Geschichte selbst gibt es ziemlich viel Unterrichtsmaterial im Netz. Schau mal, ob Du das was Linguistisches findest.
http://www.google.de/search?as_q=Peter+Bichsel±+&hl…

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Ein paar Ergänzungen und Zitate
Hallo, Huggy und Gargas!

Vielleicht kommt noch jemand, der mehr damit anfangen kann.

Der Titel des Bildes stimmt, denn es ist keine Pfeife, sondern das gemalte Bild einer Pfeife.

Damit macht Magritte auf ein gleich gelagertes Problem wie Bichsel aufmerksam.

Namen, Benennungen, Wörter, Meinungen, ja Wahrheiten sind arbiträr.

Hesse sagt das so:

_ Chinesische Legende

Von Meng Hsiä wird berichtet:

Als ihm zu Ohren kam, daß neuerdings die
jungen Künstler sich darin übten, auf dem
Kopf zu stehen, um eine neue Weise des Sehens
zu erproben, unterzog Meng Hsiä sich
sofort ebenfalls dieser Übung, und nachdem
er es eine Weile damit probiert hatte, sagte
er zu seinen Schülern: „Neu und schöner
blickt die Welt mir ins Auge, wenn ich mich
auf den Kopf stelle.“

Dies sprach sich herum, und die Neuerer
unter den jungen Künstler rühmten sich
dieser Bestätigung ihrer Versuche durch den
alten Meister nicht wenig.
Da dieser als recht wortkarg bekannt war und
seine Jünger mehr durch sein bloßes Dasein
und Beispiel erzog als durch Lehren, wurde
jeder seiner Aussprüche beachtet und weiter
verbreitet.

Und nun wurde, bald nachdem jene Worte die
Neuerer entzückt, viele Alte aber befremdet,
ja erzürnt hatten, schon wieder ein Ausspruch
von ihm bekannt. Er habe, so erzählte man,
sich neuestens so geäußert:
„Wie gut, daß der Mensch zwei Beine hat!
Das Stehen auf dem Kopf ist der Gesundheit
nicht zuträglich, und wenn der auf dem Kopf
stehende sich wieder aufrichtet, dann blickt
ihm, dem auf den Füßen Stehenden, die Welt
doppelt so schön ins Auge.“

An diesen Worten des Meisters nahmen so-
wohl die jungen Kopfsteher, die sich von ihm
verraten oder verspottet fühlten, wie auch
die Mandarine großen Anstoß.
„Heute“, so sagten die Mandarine, „behauptet
Meng Hsiä dies, und morgen das Gegenteil.
Es kann doch unmöglich zwei Wahrheiten
geben. Wer mag den unklug gewordenen
Alten da noch ernst nehmen?“

Dem Meister wurde hinterbracht, wie die
Neuerer und wie die Mandarine über ihn
redeten. Er lachte nur. Und da die Seinen ihn
um eine Erklärung baten, sagte er:
"Es gibt die Wirklichkeit, ihr Knaben, und an
der ist nicht zu rütteln. Wahrheiten aber,
nämlich in Worten ausgedrückte Meinungen
über das Wirkliche, gibt es unzählige, und jede
ist ebenso richtig wie sie falsch ist."

Zu weiteren Erklärungen konnten ihn die
Schüler, so sehr sie sich bemühten, nicht bewegen._

Der Mann in Bichsels Erzählung hat die Macht des Wortes über die Dinge erkannt, er nutzt sie, um sich eine eigene Welt zu schaffen; gerät aber dadurch in die Isolation, wie jeder, der die „normale“ Sprachgemeinschaft verlässt.

Wer die Wörter, die Sprache verrückt, der wird verrückt.

Das geht auch Dichtern bisweilen so; Hölderlin z. B., dessen späte Texte sich dem Zugang einfach verschließen oder so klar und hell sind, dass sie trivial wirken.

Dass es gute Gründe gibt, einen Tisch einen Tisch zu nennen, besagt diese kleine Anektode von den Jeschiwebochern (Talmusschüler):

A: Sag einmal, wieso heißt ein Tisch Tisch?
B: Nun schau ihn dir doch mal an! Er sieht aus wie ein Tisch, er fühlt sich an wie ein Tisch, man kann ihn benutzen wie einen Tisch, warum - ich bitt dich - soll man ihn dann nicht einfach Tisch nennen.

Hat sich etwas in die Länge gezogen.
Gruß Fritz

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Nochmals „Danke“ für die verschiedenen Erklärungen.

Hab’ auch was gefunden, falls dieses Thema euch noch interessiert:

http://www.rezensoehnchen.de/index.php?id=271

Huggy bear :wink:

Ergänzung
Hi Hug
Es gibt ja zu diesem Thema „das Objekt und sein Name sind zwei versch. Angelegenheiten“ schier undendlich viele Aufsätze, angefangen bei den Zen-Meistern, aufgegriffen von Laing & Co („Der Finger, der auf den Mond zeigt, ist nicht der Mond“) bis hin zu den sprachphilosophischen Überlegungen von Ludwig Wittgenstein (insbesondere „Philosophische Bemerkungen“, „Das blaue Buch“ etc.) und weitere, heutigere. Wahrscheinlich geht es -wie hier schon von Anderen angedeutet-darüberhinaus um die latente Kritik an ethnozentrischen und/oder sprach-zentrischen Haltungen. Bichsel ist halt Schriftsteller und löst das auf seine künstlerische Art, andere wiederum gehen sprachphilosophisch damit um. Grundsätzlich ist wohl all diesen Darstellungen gemein, dass sie das eingefrorene (spachliche) Denken in Frage stellen oder zumindest aufrütteln möchten.
Gruß,
Branden