Hallo Facette,
Du hast einen Spezialisten für Analytische Philosophie gefragt, von Phänomenologie hab ich kaum Ahnung. Deine Frage scheint mir aber sehr interessant, weil gar nicht so klar ist, was a priori eigentlich sein soll. Und vielleicht zeigt die Frage auch eine Schwäche der Phänomenologie auf.
Zunächst zur Phänomenologie: soweit ich verstanden habe, setzt sie voraus, daß wir existieren. Damit ist zugleich auch festgestellt, daß es außer uns noch mehr gibt, denn wir essen uns ja nicht selber.
Aus dem wenigen soll dann folgen, daß es auch andere Menschen gibt, die ähnlich wie wir sind und ähnlich wahrnehmen. Überhaupt soll die Wahrnehmung objektiviert werden. Der Hauptvertreter Husserl wollte seine Theorie aber nicht als Psychologie (eher schon als Antipsychologie) verstanden wissen.
Zum A priori: eigentlich ist es doch - wie Du sagst - etwas, das man gerade nicht empirisch feststellt. In der Analytischen Philosophie ist das sicherste A priori daher semantisch, d.h. aus der Bedeutung der im Satz verwendeten Wörter. Dazu sagt man dann aber meistens „analytisch“ im Gegensatz zum Synthetischen, bei dem dann Erfahrung hinzukommt.
Kant glaubte, daß es auch „synthetisch a priori“ gibt.
Analytisch a priori: Wirkung/Ursache – synthetisch a priori: Ereignis/Ursache. D.h. quasi „nichts passiert von allein“, was, wie man heute weiß, kraß falsch ist (z.B. Vakuumfluktuationen passieren sehr wohl „von allein“).
Nach Kant wäre aber ein analytisch - a priori – Satz ganz sicher wahr: Bsp „Der Maler der Mona Lisa hat die Mona Lisa gemalt“. Das hieße, der Satz kann nicht falsch sein! Das ist aber schon wieder eine erstaunliche Täuschung, wie Saul Kripke gezeigt hat: auch dieser Satz könnte falsch sein! (Obwohl er wahr ist):
Lösung: Der Maler der Mona Lisa ist Leonardo da Vinci, und es ist keine notwendige Wahrheit, daß er dieses Bild gemalt hat. Er hätte auch spazieren gehen können, ohne seinen Namen zu verlieren. Namen sind nämlich keine Bündel von Eigenschaften.
Das führt vielleicht ein bißchen zu weit. Aber jedenfalls scheint es gute wissenschaftliche Praxis zu sein, möglichst wenig als a priori anzunehmen, man kann sich immer so schwer täuschen….
Nach Wittgenstein sind sogar Sätze der Mathematik nicht a priori, allerdings, weil sie bei ihm gar keine Sätze sind. Und ein Satz wie „Grün und rot können nicht zur selben Zeit am selben Ort sein“ ist ein Satz über die Bedeutung von „grün“ und „rot“, nicht über Gegenstände. In der Phänomenologie wäre es wohl als Satz über die Gegenstände gemeint.
Die Phänomenologie geht wohl von einem A priori aus, das sich nicht aus sprachlichen Tatsachen ergibt, sondern aus unserer Beschaffenheit als wahrnehmenden Wesen, um dann zu objektivierenden Feststellungen über die Gegenstände zu kommen. Der letzte Gegenstand sind dann wir bzw. unser Bewußtsein. Die Phänomenologie ist damit nicht geeignet, den Skeptizismus zu widerlegen (daß wir z.B. die ganze Zeit nur träumen oder Gehirne im Tank sind), da er unsere Existenz ja voraussetzen muß, um überhaupt beginnen zu können.
Sein/Scheinen/Objektivität: einige Autoren (z.B. Peter Sellars) gehen davon aus, daß „Da scheint ein Baum zu sein“ grundlegender ist als „Da ist ein Baum“. „Scheinen“ ist dann jedenfalls kein Gegensatz zu „sein“ Es wäre absurd zu sagen: „Da scheint etwas zu sein, aber ich glaube nicht, daß es da ist“. So kann man vielleicht den Anspruch der Phänomenologie verstehen, wobei Sellars aber gar kein Vertreter ist.
Hoffentlich haben wir wenigstens ein paar Klarheiten beseitigt! Alles Gute, wenn Du noch was Spezielles wissen möchtest, kannst Du Dich gern noch mal melden. (Z.B. gibt es noch notwendig a posteriori und kontingent a priori). Timo.