Philosophie vs. Religion

Hi zusammen.

Was ist der Unterschied zwischen Philosophie und Religion? Gibt es Überschneidungen? Ist Religion mehr als nur Glaube? Ist Philosophie mehr als nur Reflexion? Ist eine Philosophie, die einen „Weltgeist“ konzipiert, dadurch aufs religiöse Terrain gestolpert? Oder ist das legitim?

Wie denkt ihr darüber?

Gruß

Horst

Hi zusammen.

Was ist der Unterschied zwischen Philosophie und Religion?
Gibt es Überschneidungen? Ist Religion mehr als nur Glaube?
Ist Philosophie mehr als nur Reflexion? Ist eine Philosophie,
die einen „Weltgeist“ konzipiert, dadurch aufs religiöse
Terrain gestolpert? Oder ist das legitim?

Überschneidungen hat es da immer gegeben. Wie wäre etwa Kierkegaard ohne Religion, oder Nietzsche ohne seinen Hader mit ihr denkbar ?
In der Philosophie stolpert man zwangsweise auf so manches Terrain (was ja auch das Wunderbare an ihr ist), das ist nicht nur legitim, sondern wünschenswert.
Mit dem „Weltgeist“ kann ich allerdings spontan nicht so ganz warm werden. Was meinst du damit ?

Hallo Horst,

Unterschied

In ihren Anfängen ist die Philosophie unstreitig mit gewissen emanzipatorischen Bewegungen gegenüber religiösen Führern verbunden; in Antike und Mittelalter hatte die Philosophie als feste Zuteilung alles Erklärbare zu erklären, während das Unerklärliche für die Religion übrigblieb; in der Neuzeit sind sie manchmal unfriedlich, manchmal friedlich wie Institute nebeneinander hergegangen; in der Postmoderne schliesslich brach die alte Vielfalt der Religionen neu auf, während Philosophie sich etwas mehr vernetzen konnte.

Überschneidungen

Sind für die christliche Philosophie selbstverständlich, für die christliche Religion (in ihrer praktischen Ausgestaltung) jedoch eher selten, da viele Gläubige auch Befragbares unbefragt hinnehmen. Bei andern Religionen und bei dezidiert nichtchristlichen Philosophien ist dieses Problem quantitativ anders gelagert, aber latent auch vorhanden.

mehr als nur Reflexion

Oftmals ist sie natürlich blosse Behauptung; ob das „mehr“ ist als Reflexion, ist zu bezweifeln.

Terrain

Ich meine Ja, allerdings muss das nicht illegitim sein. Wenn Hegel einen Versuch unternimmt, seinen „Weltgeist“ als denkerische Vernunft darzustellen, mag das in Richtung eines (werdenden, Sich reflektierenden) Gottes gehen, das muss aber nicht eine Religionsstiftung sein, sondern kann auch schlicht der relativ erfolgreiche weil konsequente und schlüssige Versuch sein, „Geist“ zu erklären und menschlichen Geist in Relation zu höherem oder grösserem Geist zu stellen (was dann in den meisten Religionen grundsätzlich mal theoretisch Platz hätte).

Es kann dann heikel werden, wenn gewisse Religionen latent bevorzugt werden; mit der klaren Vorgabe, das Hegel Lutheraner ist, sind somit die grössten Hemmnisse des Themas beseitigt, soweit es offen angesprochen ist. Ein Problem orte ich etwa da, wo Hegel gar nicht auf die Religion an sich, sondern eher auf religiöse Einzelthemen wie z. B. Schuld zu sprechen kommt. Denn dort ist der Lutheraner nicht so offen und klar, sondern lediglich in den Ergebnissen versteckt. Kennzeichnung kann auch da Abhilfe schaffen. Das würde dann auch dem Missionsauftrag gerecht, dem Hegel als Christ anhängt.

Gruss,
Mike

Hi,

wenn ich mich selbst reflektiere ist Ken Wilbers Denken über mehrere Jahrzehnte hinweg so sehr in mehr verankert, dass er ein wesentlicher Teil meiner Oberflächenstrukturen im Bewusstsein ist (nach Wilber’s Konzept gibt es auch Tiefenstrukturen, die jedoch viel tiefer liegen).

Das Sonderbare an Büchern, die ja seit Gutenbergs Erfindung zum ersten Mal zu einem Massenmedien wurden (Funk, Film, Fernsehen, DVD’s, Computer und Internet kamen als globale Medienrevolution inzwischen dazu) ist, dass sie automatisch zu bewussten bzw. unbewussten Persönlichkeitsanteilen werden.

Man ist also (oberflächlich gesehen) auch ganz entscheidend das, was man als Medieninhalte sein Leben lang verkonsumiert, im Sinne des französischen Philosophen Jaques Derrida, nach dem strukturell kommunizierte „Zeichen“ die Fortschreibung der Evolution durch die global vernetzten Medien in eine bewusstseinserweiternde Unendlichkeit führen (vgl. auch die Soziologie von Marshall McLuhan „The global Village“).

Diese Weltsicht ist gekoppelt an den hauptsächlich von den französischen Philosophen propagierten Strukturalismus, deren Vertreter einzeln zu erwähnen ich mir erspare, außer den Hauptbegründer: Den belgisch-französischen Philosophen und Ethnologen Professor Claude Lévi-Strauss.

Wilber geht über allen bisherigen Strukturalismus weit hinaus und fängt bei Platons „Eros“ an, geht insbesondere über Kant, Hegel, Bergson, Whitehead, Teilhard de Chardin, Gebser, Baldwin, Graves sowie Habermas, den er als bedeutendsten lebenden Philosoph der Welt ansieht, hinaus, bis zur Selbsterkenntnis, im Sinne des Sokrates und auch der östlichen Philosophie.

Mike ist zuzustimmen, dass die entscheidende Abspaltung der Philosophie von der Religion schon bei den griechischen Philosophen in der Antike stattfand und seitdem eine eigene Weltanschauung (vernetzt) vertrat, die eben gerade nicht zusammen mit der Religion zu denken ist, sondern als eigenständige Disziplin aufgefasst werden muss, wo „Der Gott der Philosophen“ (Weischedl) sich grundsätzlich vom Welt- und Gottesbild der Religionen unterscheidet. Dass aus der Eigenständigkeit der Philosophie gegenüber der Religion dann im Laufe der Zeit die noch rationalere WISSENSCHAFT entstand und sich wiederum als eigenständige Disziplin zur herkömmlichen Philosophie verstanden hat, ist der Stand heutzutage.

Demnach könnte man folgende Menschheitsentwicklung interpretieren: Zuerst war die Religion, danach kam die Philosophie, heute ist es die Wissenschaft, die zurecht Religion und Philosophie bekämpft, weil sie diese Disziplinen mit einem archaischen Bewusstsein assoziiert (Mythologie).

Jetzt ist ja der große Unterschied von den Religionen und auch vielen Philosophien, dass sie nicht nur eine Persönlichkeitsstruktur lehren, sondern - im Sinne von Spinoza gesprochen - eine „Substanz“ als Wesen zugrundelegen, was zum Beispiel die französischen Strukturalisten genauso bekämpfen, wie auch die moderne rationale Psychologie, die kein Kern-Selbst kennt, weil die metaphysische Grundüberzeugung für sämtliche Wissenschaften die seelen- und geistlose Materie und die „Mechanik“ ist.

Im Grunde ist der Irrtum vielleicht der, dass sich die einzelnen drei Kategorien der KUNST (alle sprachlichen Strukturen sind Kunst und nicht die Wirklichkeit selbst), also Religion, Philosophie und Wissenschaft, ständig nicht klar genug sind, dass alle drei Disziplinen zwar miteinander verknüpfbar sind, aber doch ihre Eigenständigkeit haben. Man kann die Religion und Wissenschaft in die Philosophie auch gemeinsam integrieren, was wie kein anderer der amerikanische Philosoph Ken Wilber seit Jahrzehnten versucht, mit immer neuen Anläufen.

Das Phänomen ist, dass die Medieninhalte, die man „unterschwellig“ verinnerlicht, so sehr zu einem selbst werden, dass man ähnlich reagiert wie religiöse und politische Fanatiker, die sich SELBST beleidigt fühlen, wenn irgendeine Meinung gegen ihr verinnerlichtes Welt- und Menschenbild verstößt.

Das ist von einem distanzierten Standpunkt aus höchst unvernünftig. Die Vision für die Zukunft der Philosophie ist meiner Meinung nach folgende:

Mehr Klarheit zu gewinnen, über die uns selbst oft völlig unbewusst ablaufenden Prozesse, innen und außen, oben und unten…

Gruß
C.

Mike ist zuzustimmen

Danke für die Blumen…

die
zurecht

so so, ein bisschen radikal ist dieser Begriff nun einmal,

Religion und Philosophie bekämpft, weil sie diese Disziplinen mit
einem archaischen Bewusstsein assoziiert (Mythologie).

Das scheint mir bedenklich nahe an dem Menschen der „nichts glauben“ muss. Dieser Mensch ist allerdings noch nicht erfunden.

Gruss,
Mike

Selbsterkenntnis des Weltgeist
Hi Olgu,

Mit dem „Weltgeist“ kann ich allerdings spontan nicht so ganz
warm werden. Was meinst du damit ?

Der Weltgeist ist nach Ken Wilber das „Eine“, das sich durch die ganze Evolution des Universums hindurch bis zu deinem eigenen „integralen Bewusstsein“ selbst erkennt. Dazu hat es nach dem Weltbild der Wissenschaft bekanntlich 15 bis 20 Milliarden Jahre oder so gebraucht… und ist nur wenigen Menschen bisher gelungen, diese Art Selbstverwirklichung (ein neuer, absolut nützlich begründeter Positivismus).

Ken Wilbers Philosophie kann man glauben… oder auch nicht.

Schönen Tag noch!

Gruß
C.

Hi Claus,

Der Weltgeist ist nach Ken Wilber das „Eine“, das sich durch
die ganze Evolution des Universums hindurch bis zu deinem
eigenen „integralen Bewusstsein“ selbst erkennt. Dazu hat es
nach dem Weltbild der Wissenschaft bekanntlich 15 bis 20
Milliarden Jahre oder so gebraucht…

So’n Weltgeist ist ja auch kein Schnellzug

und ist nur wenigen
Menschen bisher gelungen, diese Art Selbstverwirklichung (ein
neuer, absolut nützlich begründeter Positivismus).

…mir natürlich mal wieder nicht.

Ken Wilbers Philosophie kann man glauben… oder auch nicht.

Dafür müsste ich ihn freilich erstmal kennenlernen.
Danke dir für die Hilfe !

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Nicht Glauben, sondern Wissen…

Das scheint mir bedenklich nahe an dem Menschen der „nichts
glauben“ muss. Dieser Mensch ist allerdings noch nicht
erfunden.

Seit der Antike streben Philosophen nach Wissen und nicht etwa nach Glauben.

Der Glaube an Gott ist die Domäne der Religion!

Diese kann man bekämpfen oder tolerieren. Ich versuche immer wieder das Letztere. Wenn mir das zuweilen nicht ganz gelingen sollte, bitte ich um Nachsicht, ich bin aber strebend darum bemüht, und noch immer am Lernen…

Gruß
C.

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