Piraten zur Asylpolitik

Moin,

ich beziehe mich in vielen Dingen auf Schleswig-Holstein, einfach, weil ich hier bin.

Es gibt genug Parteien, die sich stark auf einzelne Themen
konzentrieren und zum Rest der Welt keine Meinung haben. Diese
Parteien werden nur von den von ihr vertretenen Rand- und
Interessengruppen gewählt.

Der SSW ist mittlerweile darüber hinaus, was man allein daran erkennt, dass wesentlich mehr Leute die SSW gewählt haben als es eine dänische Minderheit in SH gibt.

Mit den Piraten stoßen wir in neue Dimensionen vor: die Partei
weiß nicht genau, was sie will, die Wähler wissen
dementsprechend auch nicht, was die Partei will, wählen sie
aber trotzdem, weil einige Schlagworte gut klingen. Daraus
resultierend werden wir bald die ersten Landtage sehen, in
denen sechs Parteien vertreten sind.

Die sechs Parteien hatten wir schon beim letzten Mal, dieses Mal wurden nur die Linken gegen die Piraten getauscht. Somit ist eigentlich keine neue Situation eingetreten. Selbst die Regierungsverweigerungshaltung der Piraten gab es sinngemäß schon beim letzten Mal durch die Linken.

Ich beobachte das ganze mit größter Sorge. Die Partei wirkt
wie eine liberale Veranstaltung, fast wie eine Kommune, in der
jeder mitbestimmen darf. Das Problem ist, daß die vertretenen
Positionen so liberal sind, daß man sie schon als radikal
bezeichnen kann. Sie widersprechen gesellschaftlichen
Konventionen, den allgemeinen Moralvorstellungen und geltendem
Recht.

Hier teile ich Deinen Pessimismus nicht. Die Piraten lernen gerade, dass sie eben nicht mehr weiter kommen mit unpräzisen Aussagen oder extremen Positionen. Da war der Bundesparteitag in Neumünster für die SH-Wahl vermutlich auch eher kontraproduktiv, wurden sie doch erstmals auf klare Aussagen überprüft, was besonders in der örtlichen Presse zerpflückt wurde.

Die Piraten werden den Weg gehen, den alle Idealisten in der Politik gehen: Sie werden aufgerieben zwischen gesetzlichen Vorschriften und parlamentarischen Formalien.

Eine Partei aber, die für Wähler aus allen anderen Ecken
attraktiv ist, hat entweder das Rad neu erfunden oder sie ist
in ihrer Ausrichtung so schwammig, daß sie derzeit noch alles
andere aufsaugt, ohne dafür Inhalte anbieten zu müssen. Sofern
sich eine solche Partei - wie bspw. seinerzeit die Grünen -
nicht irgendwann rettungslos zerstreitet, geht von einem
solchen Sammelbecken große Gefahr aus.

Laut Umfragen sind 90 % der Wähler in SH Protestwähler. Die Piraten haben es in der Tat geschafft, viele der Protestwähler für sich zu versammeln, die sonst gar nicht gewählt haben oder eben Extreme.
Vor den Piraten war die einzige Möglichkeit, gegen die etablierten Parteien zu wählen, auf der extremen linken oder rechten Seite. Es wäre spannend zu wissen, wie viele von den Wählern der Linken (die quasi in die Bedeutungslosigkeit verschwunden sind) zun den Piraten gewandert sind.
Piraten konnte man ohne die Gewissensbisse des Extremismus wählen.

Wenn der richtige kommt, dem Volk auch bei anderen Themen nach
dem Mund redet und das ganze vielleicht auch noch mit einer
weiteren Steigerung der Wirtschaftskrise zusammentrifft, kann
das ganze noch eine böse Richtung nehmen.

Aber das ist kein Thema der Piraten. Das ist die schon seit vielen Monaten prophezeite Partei einer anderen politischen Richtung.

Eine konservativ-liberale Partei mit einer Leitfigur (wie sie v. Guttenberg hätte werden können), die all die vernachlässigten Themen der Konservativen (quasi der Merkel-Opfer) und der Liberalen (im Sinne einer Leuthäuser-Schnarrenberger und weniger eines Lindners, wobei ich aus aktuellem Anlass nicht weiss, wie ich Kubicki einordne) anspricht, welche die Schlagworte der letzten Jahre konsequent voran treibt: Einfache Steuererklärung, Prüfung der Energiewende, Steuersenkung, Liberalisierung statt Kontrolle des Bankenwesens.

Die Piraten sind eine Erscheinung der Internet-Bevölkerung, die bloggt und irgendwie Meinung macht. Über kurz oder lang werden sie zeigen müssen, wofür sie stehen. Wenn sie bei ihrer partiellen Meinung bleiben, werden sie auf lange Sicht auf dem Weg verhungern. Beziehen sie sonstige Positionen, werden sie in einen inhaltlichen Streit mit Grünen, Linken und der SPD geraten, bei denen die wirklichen Inhalte der Piraten an Bedeutung verlieren. Dann sind sie (bei aller liberaler Sicht der Dinge) einfach nur eine weitere Facette des halblinken Spektrums.

Meine Erwartung ist, dass sich die Piraten an dem Spagat zwischen Internetsozialismus und Liberalismus zerreissen werden. Und sollte sich die FDP auf ihre liberalen Inhalte besinnen, haben sie ein Potential, welches an Guidos 18 % heran reichen, solange sich niemand findet, der die oben vermutete Partei gründet.

Gruß

ALex