Ein freundliches Hallo an alle Diskussionwilligen!
Das folgende beinhaltet meine private Sicht der laufenden Diskussionen. Ich hab diese Sicht hier dargestellt, weil es für mich die einzige Möglichkeit ist, meine Meinung einem breiteren „Publikum“ darzulegen, und es mich interessiert, ob ich alleine so denke oder wie andere zu meiner Meinung stehen. Außerdem hoffe ich mit dieser Darlegung zumindest einen kleinen Einblick in den „alltäglichen Wahnsinn“ eines deutschen Gymnasiums geben zu können.
Nun ist es also mal wieder so weit. Eine neue Studie, eine neue Diskussion. Das Deutsche Bildungssystem sei schlecht, die Lehrer würden falsch und Falsches unterrichten, die Schüler falsch und Falsches lernen, seien nicht mehr motiviert und würden keine Eigeninitiative zeigen. Nach Gründen und Ursachen wird vehement geforscht - und nach Lösungsvorschlägen natürlich. Doch wie lange wird dies andauern? Ein paar Wochen? Ein paar Monate? Und was kommt dabei heraus? Vermutlich mal wieder irgendwelche neuen Schulordnungen, die alles verbessern, ändern, revolutionieren sollen, damit die deutschen Schüler wieder nach vorne kommen im internationalen Vergleich.
Da ich selbst einen Teil der Masse „doofer Schüler“ darstelle, verfolge ich die Diskussionen sehr genau und bin erstaunt, wie selbstverständlich Lernen mit Schule gleichgesetzt wird.
Ich habe das unvergleichbare Glück gehabt, in eine Familie hineingeboren worden zu sein, in der Interesse gefördert und Fragen beantwortet wurden. Deshalb habe ich mich auch damals gefreut - gefreut auf den ersten Schultag. Schule, dieses allmächtige Wort, das ich sofort mit Lernen und Wissen verband - Lernen um auf die vielseitigen Fragen eine Antowrt zu wissen. Doch schnell, sehr schnell musste ich feststellen, dass oft (leider zu oft) Lernen das Eine, Schule das Andere ist.
Schule - inzwischen für mich nicht mehr als eine Institution, in der ich (mehr oder minder freiwillig) einen Großteil meiner Zeit verbringe und versuche die Antowrten zu geben, die der Lehrkörper auf seine Fragen hören möchte. Oft genug habe ich versucht, in der Schule noch einmal die „Lernanstalt“ zu finden und nicht nur die „Wissen-Abfrage-Institution“ zu sehen, doch meine Schule machte er mir nicht möglich. Meine Schule: Eine Schule, in der die 12er Deutsch - LKs 4 statt 5-stündig die Woche unterrichtet werden, weil Lehrermangel herrscht. Eine Schule, in der der neu eigeführte Ethikunterricht nicht stattfindet, weil Lehrermangel herrscht. Eine Schule, in der die Schüler der jetzigen Sekundarstufe II nach drei verschiedenen Richtlinien Abitur machen. Eine Schule, in der die Weiterbildung von Lehrkörpern zwar vereinzelt stattfindet, dafür aber wieder Unterricht ausfällt. Eine Schule, in der (obwohl doch Englisch so eminent wichtig ist und frühst möglichst erlernt und oft möglichst eingesetzt werden soll) Materialien englischer Sprache im Unterricht nicht verwendet werden können, da der Lehrkörper sie nicht versteht. Eine Schule, in der für die gesamte Sek II ein (!) 386er zur Verfügung steht (selbstverständlich OHNE Internetanschluss). Eine Schule, in der ein 13er Mathe LK mit einem Grundkursbuch unterrichtet wird, weil für die neuen Richtlinien noch kein LK-Buch auf dem Markt ist. Eine Schule, in der es keine Seltenheit ist, dass die Hälfte der planmäßigen Stunden in einem Kurs ausfallen - wegen Krankheit, wegen Lehrermangel, wegen Fortbildung, wegen Projektwoche, wegen Klausuraufsicht. Zusammengefasst: Eine Schule, die einzig eine Institution verkörpert, in der man mit einer großen Portion Geschick und einer größeren an Glück zu einem Blatt Papier kommt, auf dem steht, dass man hochschulreif ist. Lernen ist etwas anderes. Lernen ist etwas, das mir momentan nur im Privatbereich möglich ist. Dann wenn ein halbes Dutzend Bücher auf dem Fußboden verteilt ist, ein Dutzend Blatt Papier - mehr oder minder beschrieben - dazwischen liegt und auf dem Bildschirm immer neue Internetseiten mit neuen Daten, Fakten, Erklärungen erscheinen, während nebenbei der Fernseher oder das Radio läuft und im Backofen eine Pizza verkohlt - dann lerne ich.
Wie auch immer die momentanen Diskussionen ausgehen werden, mich werden sie vermutlich nicht mehr betreffen. Ich bin in einem halben Jahr fertig - fertig mit einer Institution, in der ich Wissen mehr oder minder gut vermittelt bekommen habe, aber dafür nichts gelernt habe außer einer Fähigkeit: Frustrationtoleranz.
Die ständig auftretende Frustration durch Lehrer, Unterrichtspläne und -inhalte, sowie Richtlinien, die man irgendwann (quasi gezwungener Maßen) zu tolerieren beginnt. Ich möchte nur einige Beispiele nennen, die mich in den letzten zwei Wochen besonders frustriert haben. Eine Lehrerin gab in einer Diskussion über PISA zu, während ihrer Studienzeit nicht einmal eine Schule von innen gesehen zu haben. Ein weiterer Lehrer musste nachfragen, wie man den Strom im Informatikraum anstellt. Auf eine Frage im Mathematikunterricht hin, bekam ich die Antwort: „Darüber habe ich mir auch noch nie Gedanken gemacht.“ Ein Lehrer hat es geschafft, während einer Doppelstunde insgesamt 35 Minuten zu spät zu kommen (ohne Entschuldigung). In verschiedenen Kursen waren immer nur knapp über die Hälfte der Schüler anwesend. Und abschließend der O-Ton eines Lehrers: „Es ist nicht meine Aufgabe euch zu korrigieren. Ich gebe euch nur die Unterrichtsmaterialien in einer geordneten Reihenfolge. Erarbeiten und Verbessern müsst ihr (euch) schon selber.“
Und trotz alledem werde ich diese Institution verlassen mit der Hoffnung in der nächst höheren Stufe des deutschen Bildungssystems wirklich einmal lernen zu dürfen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zu letzt. Angesichts der momentanen Diskussionen, die immer wieder die These, die Schüler seien nicht motiviert, beinhaltet, fürchte ich allerdings das „zu letzt“ ist bald erreicht. Ich will doch lernen, aber mich lässt keiner - zumindest nicht in der Schule. Und immer nur alleine, privat zu lernen - es tut mir leid - dazu bin ich nicht immer stark genug. Vor allem dann, wenn man das privat Gelernte in der Schule mal wieder nicht anwenden darf.
Ich würde mich freuen, wenn diejenigen, die bis hierhin druchgehalten haben und nicht allzusehr frustriert sind, ihre Meinung äußern würden.
Gruß
Flo