PISA und die KMK (Kultusministerkonferenz)

Guten Morgen,

gestern habe ich in der ARD in der Sendung „Tagesthemen“ einen super Kommentar von einem TV-Journalisten vom Hessischen Rundfunk über die PISA-Studie und die KMK gehört. Leider weiss ich nicht, wo man den Wortlaut dieses Kommentar beziehen kann… jedenfalls hat mich der Inhalt recht beeindruckt, vor allem der Satz (kann ich jetzt nur sinngemäss zitieren): „Wenn man eine PISA-Studie über Kultusminister erheben würde, dann würden unsere Schüler weitaus besser abschneiden. Hausaufgaben nicht gemacht!“

Bei mir stellen sich in Anbetracht der aktuellen Beschlüsse der KMK folgende Fragen:

Wieder einmal entscheiden Leute „von oben“, was an der Basis zu verändern ist und man/frau bekommt Panik angesichts der PISA-Studie. Wieder einmal sind es Leute (KMs), die überhaupt keine Ahnung von Schule und Unterricht haben, sich nur auf Ergebnisse einer Studie stützen und wieder einmal (und das ist der wichtigste Punkt) wird nicht die Basis nach ihren Bedürfnissen gefragt, was grundlegend geändert werden sollte! Die Basis (Lehrer, Schüler und Eltern) haben viele Bedürfnisse bzgl. PISA. Aber warum setzt man sich nicht mit Lehrer- und Schülervertretern an einen Tisch, diskutiert grundlegende Änderungsmöglichkeiten?
Warum nutzen die Damen und Herren Kultusminister ihre Position aus, als Nicht-Experten von Schule wieder etwas von oben zu indoktrinieren?
Warum schaut man sich nicht Schul- und Unterrichtssysteme in anderen Ländern an, dort wo die Schüler auf alle Fälle besser sind?
Meiner Meinung nach ist das eine typisch deutsche Mentalität - wir wissen jetzt von der Studie und machen folgende Punkte anders a)… b)… c)… ohne dabei den anderen Ländern über die Schulter zu schauen.

In meinen Augen ist das mal wieder eine voreilige Entscheidung der KMK, die nicht Reformwillen äussert, sondern versucht ihr schlechtes Gewissen zu bereinigen… ein schlechtes Gewissen, dass auf jahrzehntelang schlechte Schulpolitik zurück zu führen ist…

Grüsse

Matthias

Hallo Matthias!

Was Du schreibst, kann ich alles nur unterstreichen!

Nur, so schnell schießen auch da die ‚Preußen‘ nicht.

wir wissen jetzt von der Studie und machen folgende Punkte
anders a)… b)… c)…

Und weil das in einem Verwaltungsapparat geschieht, wird das ein hübsches Weilchen dauern…

voreilige Entscheidung
der KMK, die nicht Reformwillen äussert,

Ich kann auch nicht erkennen, wo sich im(!) System Schule Reformwille äüßert. Eher im Gegenteil, es gibt genug Leute, die genau das eigentlich nicht wollen.

ein schlechtes Gewissen,

wenn es wenigstens das ‚flächendeckend‘ gäbe…

dass auf jahrzehntelang schlechte Schulpolitik zurück zu
führen ist…

Schulpolitik? Wo? Bestenfalls wurde mal an Symptomen herumkuriert.

Tschö!
Martin

Hallo Matthias,

wir sind im Demokratisierungsprozess Deutschlands leider noch nicht soweit, dass an die Wahrnehmung des passiven Wahlrechtes (für ein Amt kandidieren) der Nachweis fachlicher Mindestqualifikationen gebunden ist.

Daher kann auch jemand Gesundheitsminister werden, der keinerlei medizinische Fachausbildung hat.

Oder Verteidigungsminister ohne je eine Militärakademie von innen gesehen zu haben.

Oder oberste Führungskraft einer Behörde in der er sich mangels Qualifikation noch nicht mal für den „einfachen nichttechnischen Dienst“ bewerben bräuchte.

Und gerade das Kultusministerium wird in Deutschland (ähnlich wie auch EU-Ämter oder das öffentlich-rechtliche Fernsehen) in rster Linie als „Entsorgungspark“ für verkrachte Existenzen gesehen, die woanders versagt haben. Die man aber wegen ihrer Parteikarriere nicht einfach raussetzen kann.

Fehlleistungen eines Kultusministers machen sich erst mit einigen Jahren Verzögerung bemerkbar. Da gilt dann oft „nach mir die Sintflut…“.

(der Amtseid ist ja schließlich nur eine Zeremonie und hat keinerlei verbindliche Bedeutung!)

Gruß,

Guido Strunck

Verwaltungsapparat
Hallo Martin,
auch bei muss ich dasselbe sagen… was du schreibst, kann ich alles nur unterstreichen! :smile:))

Und weil das in einem Verwaltungsapparat geschieht, wird das
ein hübsches Weilchen dauern…

Und genau diese Tatsache hindert überhaupt in Deutschland einen Reformschub. Das System Schule ist der grösste Verwaltungsapparat, den es in Deutschland gibt… äusserst hierarchisch geprägt, ohne die Möglichkeit, als Rädchen im System etwas zu bewegen. Dieser Verwaltungsapparat und die dazugehörige Loyalität der Beamten zum Staat ist im Grunde ein Hinderungsgrund für tiefgreifende Veränderungen. Mit diesem von „oben“ indoktrinierten 7-Punkte-Plan, der viele Fragen offen lässt, bleibt eigentlich alles beim Alten. Inkompetente Menschen in Sachen Schule sagen der Basis, was zu machen ist… auch wenn man eine „Harmonie“ bei der KMK vermutet und ahnt… im Endeffekt werden wieder 16 verschiedene Süppchen gekocht, es werden wieder parteiideologische Grabenkämpfe aufflammen!

Was grundlegend geändert werden muss, um der Reform überhaupt einen stabilen Boden zu bereiten wären folgende Punkte:

  • Aufhebung der Länderhoheit in Sachen Bildung, Schaffung eines bundeseinheitlichen Lehrplans.
  • Kompetenzerweiterung der einzelnen Gemeinden und Schulen in Sachen Lehrereinstellung, nicht mehr „Zuweisung von oben“. Einstellung nach Fächerbedarf.
  • Bundeseinheitliche Lehrerausbildungsstrukturen, dadurch mehr Flexibilität
  • Qualitätssichernde Massnahmen nicht von oben den einzelnen Schulen aufdrücken, sondern jede einzelne Schule das selbst machen lassen; einzig und allein einen Rahmen für die Q-Sicherung stellen.
  • Abschaffung des Beamtentums der Lehrer. Einerseits können die Lehrer dann auch mal in andere Berufe reinschnuppern. Andererseits haben altgediente Lehrer die Möglichkeit, früher auszusteigen. Dadurch ergibt sich eher die Chancen, jüngere Lehrer einzustellen.
  • Abspecken des Lehrplans, mehr Freiheit für den Lehrer
  • Bundeseinheitliche Lehr- und Lernmittel
  • konsequente Einführung von Ganztagesschulen mit alternierten Unterricht (an bestimmten Tagen zu bestimmten Zeit nur die Hälfte der Klasse); dadurch mehr individuelle Betreuung lernschwacher Schüler möglich
  • nicht nur die Sachkompetenz der Schüler verbessern, sondern auch ihnen einen Freiraum für Selbsteinschätzung geben.

Übrigens: die letzten Punkte sind nicht irgendwelche Hirngespinste, so wird das seit Jahren in der Schweiz umgesetzt und ich das hier so erlebe!

Grüsse

Matthias

Hallo Matthias!

Jetzt bin ich nicht in allen Punkten Deiner Meinung:

  • Aufhebung der Länderhoheit in Sachen Bildung, Schaffung
    eines bundeseinheitlichen Lehrplans.

Wir brauchen mehr Flexibilität, weniger Steuerung von ‚oben‘. Also lieber die Chancen des Föderalismus nutzen, und da dann die Kompetenz nach ‚unten‘, so nahe wie möglich an den ‚Lernort‘ abtreten.

  • Kompetenzerweiterung der einzelnen Gemeinden und Schulen in
    Sachen Lehrereinstellung, nicht mehr „Zuweisung von oben“.

Eben! Wieso dann bundeseinheitlicher Lehrplan?

Einstellung nach Fächerbedarf.

Mir scheint, es fehlen die Didaktiker, nicht die ‚Fachwissenschaftler‘. Außerdem ist der Fächerkanon mal zu überprüfen, wenn ein solcher überhaupt noch Sinn macht.

sondern jede einzelne Schule das selbst
machen lassen; einzig und allein einen Rahmen für die
Q-Sicherung stellen.

ok

  • Abschaffung des Beamtentums der Lehrer.

Allerdng! Und zwar ganz schnell.
Nur sehe ich genau da das größte Problem. Die Beamten-Lobby ist ja offenbar stärker als das ‚allgemeine Interesse‘ an vernünftiger Schule.

  • Abspecken des Lehrplans, mehr Freiheit für den Lehrer

ja

  • Bundeseinheitliche Lehr- und Lernmittel

nein

  • konsequente Einführung von Ganztagesschulen

Mir wären Ganztagsbetreuungen lieber. Warum muß das Schule heißen? Und lernen kann man auch in anderen ‚Gebäuden‘.
(Tut eigentlich auch jeder.)

Martin

die Grundkenntnisse unserer Kinder
Hallo Matthias,

die Kommentare von dem hessischen Reporter fand ich auch gut, und bitter.
Bitterkeit und Resignation empfinden viele Beteiligte:
Lehrer, die mit den Gegebenheiten oft nur schlecht, immer seltener recht ihre Arbeit tun können
Schüler, die gerne gute Leistungen bringen wollten, wenn das Schulsystem nicht so gnadenlos wäre. Schule bringt nicht Lernen bei, nur Stoff - je mehr desto lieber.
Eltern, mit all ihren Zukunftsängsten.

Aber warum setzt man sich nicht mit Lehrer- und
Schülervertretern an einen Tisch, diskutiert grundlegende
Änderungsmöglichkeiten?

In einem anderen Sender (Bayern) saß so eine Runde. Üblicherweise stellte jeder nur Forderungen an den anderen, ohne Absicht auf Konsens. Solche Runden laufen immer so ab, glaube ich.

Warum nutzen die Damen und Herren Kultusminister ihre Position
aus, als Nicht-Experten von Schule wieder etwas von oben zu
indoktrinieren?

Mit Worten läßt sich prima streiten - das umzusetzen ist eine andere Sache. Ein Experte, der in dieser Richtung Forschung betreibt, erzählte von Finnland, das um vieles mehr Geld für Bildung ausgibt als Deutschland. In Anbetracht unserer hohen Deffizite können wir momentan nur davon träumen.

Warum schaut man sich nicht Schul- und Unterrichtssysteme in
anderen Ländern an, dort wo die Schüler auf alle Fälle besser
sind?

Die sind bekannt, soviel ich weiß. Aber ich weiß nicht, warum die Schulsysteme anderer europäischer Länder für uns nicht umsetzbar sind.
Ich habe mich schon einmal gefragt, wenn Kinder im Anschluß der Schule unter Aufsicht Hausaufgaben machen würden, ob dann eventuell der erlernte Stoff effektiver geübt wird: erst kommt neuer Stoff und in der gleichen Zeitmenge wird der Stoff dann auch mit den Lehrern eingeübt. Dafür haben die Kinder länger Schule.

Meiner Meinung nach ist das eine typisch deutsche Mentalität -
wir wissen jetzt von der Studie und machen folgende Punkte
anders a)… b)… c)… ohne dabei den anderen Ländern über
die Schulter zu schauen.

Ich glaube vorallem, dass wir zu selbstsicher waren. Es gab mal eine Zeit, da waren wohl die Schüler besser, und haben mehr gewußt. Aber die Zeiten haben sich geändert, besonders das Freizeitverhalten der Kinder - und die Ablenkungsmöglichkeiten: Fernsehen, PC-Spiele, GameBoy, Nintendo… Das sind lauter Beschäftigungen, von denen man weiß, dass die Kinder sich danach lange nicht mehr konzentrieren können.
Vielleicht sollten die Schulen auch ihre nachmittäglichen Angebote weglassen, so dass die Kinder wieder Zeit für ihren Alltag haben und auch mal Zeit etwas zu lernen oder zu üben.

In meinen Augen ist das mal wieder eine voreilige Entscheidung
der KMK, die nicht Reformwillen äussert, sondern versucht ihr
schlechtes Gewissen zu bereinigen… ein schlechtes Gewissen,
dass auf jahrzehntelang schlechte Schulpolitik zurück zu
führen ist…

Ja, so sehe ich das auch.
Als wir noch in Norddeutschland wohnten, erfuhr ich kurz vor der Einschulung der großen Tochter, dass die Schule zuviele alte Lehrer haben, und deswegen der Unterricht so oft ausfällt. Damals war Schröder noch Landespapa. Schröder hat damals die Gelder für Bildung in seinem Land gekürzt. Kein Geld für neue und mehr Lehrer. Wir sind auf die Straße zum demonstrieren gegangen - ein Riesenaufwand wurde wegen der Demonstration betrieben. Aber es haben kaum Leute mitgemacht, genausowenig wie bei Hintergrundarbeiten, die vorab liefen.
Ich habe Zweifel, ob manchen Eltern überhaupt klar ist, wie ungenügend unser Bildungssystem ist, wie wenig wir die Leistungsfähigkeit unserer Kinder ausnutzen (ich meine nicht die am Nachmittag - Instrumente spielen, fit im Schach, 3 Sprachen im Workshop). Es geht darum, dass Kinder einfach gut sind in den Grundfächern, daran hapert es doch: gut im Kopfrechnen, die deutsche Sprache einigermaßen inkl. Rechtschreibung beherrschen, ein größerer Wortschatz in Deutsch…usw.
Wenn ich schon Steuern zahle, dann kann ich doch verlangen, dass meinen Kindern auf vernünftiger Weise etwas beigebracht wird. In Norddeutschland wäre das nicht so gewesen. Hier in unserer Stadt bin ich ganz zufrieden.

viele Grüße
Claudia

Hallo Martin,

Jetzt bin ich nicht in allen Punkten Deiner Meinung:

*gg* Das ist dein gutes Recht :smile:)

Wir brauchen mehr Flexibilität, weniger Steuerung von ‚oben‘.
Also lieber die Chancen des Föderalismus nutzen, und da dann
die Kompetenz nach ‚unten‘, so nahe wie möglich an den
‚Lernort‘ abtreten.

Mit einheitlichen Lehrplan meine ich, dass die Inhalte gleich sind, nicht so, dass extreme Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt…

  • Kompetenzerweiterung der einzelnen Gemeinden und Schulen in
    Sachen Lehrereinstellung, nicht mehr „Zuweisung von oben“.

Eben! Wieso dann bundeseinheitlicher Lehrplan?

Mit der Kompetenzerweiterung meine ich nicht den Lehrplan… ich meine damit, dass das Mitspracherecht von Gemeinden und Schulen bei der Einstellung von Lehrern gestärkt wird…

Mir scheint, es fehlen die Didaktiker, nicht die
‚Fachwissenschaftler‘. Außerdem ist der Fächerkanon mal zu
überprüfen, wenn ein solcher überhaupt noch Sinn macht.

Eben, das sehe ich auch so… wenn ich mal von wenigen Ausnahmen absehe, entdecke ich bei den meisten Gymnasiallehrern Fachidioten ohne pädagogisch-didaktische Ausbildung… hier sollte man knallhart mehr praxisorientiert, weniger wissenschaftsorientiert denken… (die universitären Inhalte von Mathematik bspw. decken sich kaum mit schulischen Inhalten)…
Bezüglich Fächerkanon:
Beispielsweise ist das Grundwissen in Mathematik mit der 9.Klasse abgeschlossen. Wieso muss man noch weiter in die Tiefe gehen? Wieso kann man dann nicht praktische Anwendungsbeispiele in den Unterricht einfliessen lassen… oder welcher Schüler hat nicht Schwierigkeiten beim Dreisatz? Soll jetzt nur ein Beispiel sein.
Oder Latein: ganz ehrlich gesagt, braucht man das heutzutage noch, ausser man möchte Arzt werden?

  • Abschaffung des Beamtentums der Lehrer.

Allerdng! Und zwar ganz schnell.
Nur sehe ich genau da das größte Problem. Die Beamten-Lobby
ist ja offenbar stärker als das ‚allgemeine Interesse‘ an
vernünftiger Schule.

Und diese Lobby wird jede Reformbemühungen schon im Keim ersticken; klar, wer will diese Sicherheit als Beamter nicht geniessen? faktische Unkündbarkeit, geregeltes Einkommen (auch im Krankheitsfalle), bessere Konditionen in allen finanziellen Bereichen… das Beamtensystem ist m.W. in keinem der anderen europäischen Ländern bekannt, es ist uralt und gehört abgeschafft.

  • Bundeseinheitliche Lehr- und Lernmittel

nein

okay, da gebe ich dir auch Recht… deckt sich mit der stärkeren Kompetenzerweiterung der Gemeinden…

  • konsequente Einführung von Ganztagesschulen

Mir wären Ganztagsbetreuungen lieber. Warum muß das Schule
heißen? Und lernen kann man auch in anderen ‚Gebäuden‘.
(Tut eigentlich auch jeder.)

Naja, du kannst dem „Kind“ auch einen anderen Namen geben…

btw: Hier findet man übrigens den in meinen Augen übereilten 7-Punkte-Plan der KMK bzgl. PISA.

http://www.kmk.org/aktuell/pm011205a.htm

Liebe Grüsse

Matthias

Jaja, jetzt sind die boesen Kultusminister
schuld an der eindeutig nachgewiesenen Dummheit
der deutschen Schueler.

Letztes Jahr warens die Lehrer, davor die Eltern,
und naechstes Jahr wird die kosmische Hoehenstrahlung
Schuld sein.

Ist schon irgendwie sonderbar, wie viele grundverschiedene
Ursachen identische Wirkungen haben. (Hoffentlich
ist hier ein Physiker, der den Witz versteht…)

Gruss, Marco