Hi Stefan,
Als ich anfang der 60er zum Gymnasium ging, gab es kaum Arbeiterkinder. Die Eltern eines Mitschülers wurden in der 8.Klasse zur Schule bestellt. Dort eröffnete man ihnen, dass ein Kind eines Maurers auf einem Gymnasium nichts zu suchen habe. Man würde ihm aber Ende der 9. Klasse ein sehr gutes Abgangszeugnis ausstellen, vorausgesetzt, er würde freiwillig abgehen. Diese Geschichte ist verbürgt, sie wurden von mir persönlich bekannten Lehrern bestätigt.
Dieser Schüler hat sich übrigens später als Vorgesetzter bei der Bundeswehr an seinen ehemaligen Mitschülern (ich selbst habe nicht gedient) gerächt.
Ende der 60er, nach Sputnik-Schock und Pichts „Bildungskatastrophe“ wurde das Schulsystem reformiert, weil Deutschlands Wirtschaft zu wenig akademischen Nachwuchs hatte (Irgendwie habe ich gerade ein déja vu, das kommt öfter vor, je älter ich werde).
Man hat dann in der Tat versucht, Arbeiterkinder zum Gymnasialbesuch zu ermuntern, aber deren Elternhäuser haben nicht immer einen Wert darin gesehen. Noch Anfang der 70er wurden Mädchen gesagt: „Was willst du damit, du heiratest ja doch, das ist doch Geldverschwendung.“
Viele Arbeiterkinder wollten lieber schnell Geld verdienen , als in eine lange Ausbildung zu investieren: Klar, als ich endlich Lehrer wurde, waren die ersten aus der Schulzeit schon wieder geschieden und verkauften ihr heiligstes Lebensziel: das eigene Haus.
In den 60ern gab es „Schulfunk“-Sendungen im NDR (ich bin ein Radiokind), in denen aufgerufen wurde, eine Lehre zu absolvieren und nicht auf das schnelle Geld als Hilfsarbeiter zu setzen.
Tatsächlich aber, so sagten Studien, erhöhte sich der Anteil der Arbeiterkinder in der gymnasialen Bildung nur wenig.
Wie gesagt, leider ist mir 1997 meine ganze „Bibliothek“ abgebrannt, das ist wie eine Gehirnamputation: Auf Quellen und Details habe ich keinen Zugriff mehr.
Zu der anderen Frage:
Ich bin aus der 9. Klasse ohne irgendeinen Abschluss vom Gymnasium geflogen, weil ich mich gelangweilt habe und faul war. Ich habe viel geträumt und Mitschülerinnen „Flower-Power-Briefe“ geschickt; zugleich war ich renitent, habe brennende Papierschwalben zum Lehrertisch geschickt, mit Wasserpistolen die Tafel ausgelöscht, aber ich kann auch (die Lehrer waren tw. noch alte Nazis) autoritäre Menschen nicht ertragen. Also: Nicht alles hatte mit meiner Hochbegabung zu tun.
Zum Glück konnte ich eine Lehre als Tischler beginnen, vorausgesetzt, ich würde bis zur Gesellenprüfung den Hauptschulabschluss in der Abendschule nachholen, was auch geschah.
Übrigens wurden mit steigenden Anforderungen meine Abschlussnoten von Stufe zu Stufe besser, auf das erste und zweite Staatsexamen habe ich mich überhaupt nicht vorbereitet: Ein Beispiel gegen den Satz mancher Lehrer, „der steht auf 5, da ist das Ende der Fahnenstange erreicht“.
herzlichst
Ole