Polen in dt. Redewendungen

Hi,

wir sind jetzt auf zwei deutsche Redensrten gestoßen, deren Herkunft uns nicht klar ist.

" … noch ist Polen nicht verloren …"
bedeutet: die Hoffung nicht aufgeben und soll aus der polnischen Nationalhymne stammen bzw. auf die Teilungen Polens zurückgehen.
Ist das richtig?

" jetzt ist Polen offen …":
bedeutet: alles verloren???
Wer weiss wo diese Redensart herkommt und was der Hintergrund ist?

Gruss
Albert

„Jetzt ist Polen offen“ heißt Wir haben ein Riesenproblem. Meiner Meinung nach stammen die Ausdrücke aus dem 2. WK. Wenn da Polen offen gewesen wäre, hätte die Rote Armee nach Deutschland schlendern können -> Riesenproblem, was ja letztendlich auch so geschehen ist. Aber das ist nur eine Vermutung.

Marco

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Moin, moin Albert,

„Noch ist Polen nicht verloren“ ist in der Tat die erste Zeile der polnischen Nationalhymne, auf polnisch: Jeszcze Polska nie zginela póki my zyjemy. (Pardon, die polnischen Lautzeichen, die auch die Aussprache anzeigen, kann ich nicht darstellen. Ich hoffe aber, Dir dennoch ein wenig geholfen zu haben.)

Gruß - Rolf

Hi, Albert,

das ist, was der Röhrich zu Polen weiß:

_ Polen, polnisch

Noch ist Polen nicht verloren:
noch gibt es Rettung, noch ist eine Möglichkeit vorhanden. Mit diesen Worten (polnisch »Jeszcze Polska nie zginela …«) beginnt der von Joseph Wybicki 1797 gedichtete ‚Dombrowski-Marsch‘, mit dem die Polen auf den »Finis Poloniae« (Das Ende Polens) antworteten, das ihr Führer Thaddäus Kosciuszko am 10. Oktober 1794 nach der verlorenen Schlacht bei Maciejowice ausgesprochen haben soll. Er selbst bestreitet dies in einem Brief an den Grafen Louis Philippe de Ségur vom 12. November 1806.
Jetzt ist Polen offen:
die Aufregung ist groß; man befindet sich in einer Situation, in der alles möglich, alles erlaubt zu sein scheint. In Schlesien sagt man: ‚Dö is Polen uffe un Frankreich zu‘.

Eine polnische Wirtschaft
nennt man eine große (finanzielle, materielle usw.) Unordnung. so heißt auch eine Operette von Jean Gilbert (1910). Die Wendung ist ebenso als Titel verschiedener Dichtungen verwendet worden, so z.B. als Gedichttitel von Ernst Ortlepp (1831), Friedrich Hebbel (1853) und als Romantitel von Marie von Roskowska (1863).

Sich polnisch verabschieden:
sich heimlich davonmachen, besonders aus einer Gesellschaft; ‚Sich französisch empfehlen‘ ( französisch) (vgl. englisch ‚to take French leave‘); Sich polnisch verheiraten: in wilder Ehe leben.

Von einem Betrunkenen heißt es in Frankreich: ‚Il est soûl comme un polonais‘

K. ROTHER: Die schlesischen Sprichwörter und Redensarten (Breslau 1927, Nachdruck Darmstadt o.J.); B. STASIEWSKI: ‚Polnische Wirtschaft‘ und Johann Georg Forster, eine wortgeschichtliche Studie, in: Deutsche wissenschaftliche Zeitschrift im Wartheland 2 (1941), S. 207-216.
[Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten: Polen, polnisch, S. 2. Digitale Bibliothek Band 42: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, S. 4764 (vgl. Röhrich-LdspR Bd. 4, S. 1190) © Verlag Herder]_

Gruß Fritz

Noch eins
„Zustände wie im polnischen Landtag“

Uneinigkeit, Geschrei, Chaos

… Polen nicht verloren
„Die polnische Nationalhymne war ursprünglich ein Revolutions- und Widerstandslied. Es entstand 1795 in Italien, wo polnische Soldaten nach der dritten Teilung Polens durch Rußland, Preußen und Österreich im Exil unter Leitung des Generals Dabrowski auf seiten Napoleons kämpften, in der Hoffnung, Polen wieder zu einem selbständigen Staat zu machen.“
(Abgeschrieben aus Manfred Sievritts: „Politisch Lied, ein garstig Lied?“)
Der Text stammt von Jozef Wybicki (1747-1822), die Melodie von Micha(e)l Kleofas Oginski (1765-1833)

Noch ist Polen nicht verloren, Nicht solang wir leben
Unsre Schwerter werden holen, Was man uns genommen.
Marsch! Marsch! Dabrowski, Aus Italien nach Polen!
Führ uns voran, wir reichen uns brüderlich die Hände.

Unsre Warthe, unsre Weichsel geht an Polen wieder.
So wie Bonaparte zeigte, schreiten wir als Sieger.

Wie Czarniecki einst aus Posen hat verjagt die Schweden,
werden übers Meer wir stoßen. das Vaterland zu retten.

(Sicher sind die polnischen Reime treffender als in der mir hier vorliegenden Variante.)
Die ursprünglich antirussischen - und antipreussischen? - Texte scheinen hier auch zu fehlen. (Siehe auch http://www.pl-info.net/en/explore/anthem.shtml - wer kann übersetzen?)

Siehe auch
http://www.kprm.gov.pl/english/296.htm - dort 1797 als Entstehungsdatum
http://www.findarticles.com/p/articles/mi_m2822/is_4…: „One must remember that Jozef Wybicki and Michal Oginski, to celebrate the bravery of General Dabrowski’s men returning from Italy in 1797 to a Poland that no longer existed, having been completely partitioned in 1795, wrote the anthem .“
Die Fussballseite http://www.beskid.com/football/hymne.html gibt sogar ein noch präziseres Entstehungsdatum an: Zwischen 16. und 19. Juli 1797
http://encyclopedia.thefreedictionary.com/Mazurek%20…

Hi Rolf,

ich erlaube mir, die polnische Nationalhymne inklusive Sonderzeichen hier hinein zu stellen. Vielleicht interessiert es einige:

_Jeszcze Polska nie zginęła,
Kiedy my żyjemy.
Co nam obca przemoc wzięła,
Szablą odbierzemy.
Marsz, marsz, Dąbrowski,
Z ziemi włoskiej do Polski,
Za twoim przewodem
Złączym się z narodem.

Przejdziem Wisłę, przejdziem Wartę,
Będziem Polakami,
Dał nam przykład Bonaparte,
Jak zwyciężać mamy.

Marsz, marsz, Dąbrowski …

Jak Czarniecki do Poznania
Po szwedzkim zaborze,
Dla ojczyzny ratowania
Wracał się przez morze.

Marsz, marsz, Dąbrowski …

Mówił ojciec do swej Basi
Cały zapłakany:
„Słuchaj jeno, pono nasi
Biją w tarabany.“

Marsz, marsz, Dąbrowski …_

Beste Grüße
Christopher

Hallo Bernhard,

wer hat Dir das

"Die polnische Nationalhymne war ursprünglich ein Revolutions-
und Widerstandslied.

denn erzählt? Richtig ist, daß es das Lied der polnischen Legionäre in Italien, deren Cheffe General Dąbrowski war; falsch ist allerdings, daß es ein - ich sage es jetzt mal salopp ein ‚Kampfliedchen‘ ist. Wybicki hat den Text 179 7 (nicht 1795) zu Ehren von Dąbrowski geschrieben; uraufgeführt wurde das Opus 1799 anläßlich des Auszugs/Abschieds der polnischen Legionäre aus Reggio. Zum Widerstandslied bzw. Hoffnungssymbol wurde es erst später.

Was die Musik angeht> sie wurde lange fälschlicherweise Ogiński zugeschrieben, aber auch das stimmt nicht. Und das kam so: Ogiński - seines Zeichen ein litauischer Unterschatzmeister - hat gerne das eine oder andere komponiert (u. a. Polonaisen, Walzer, Mazurkas, etc.), so auch - und zwar just 1797 - ein Opus namens ‚Träumereien für die Polnischen Legionen‘, das er Dąbrowski schickte. Man ging also kurzerhand und fälschlicherweise davon aus, daß auch er Komponist der polnischen Hymne ist. Wojciech A. Sowiński (ein polnischer Pianist, Komponist und Autor - also quasi Sachverständiger) hat von Vornherein behauptet, daß es sich um eine Volksmelodie, die definitiv nicht aus der Feder von Ogiński stammt.

Daß nicht Ogiński der Autor wa, stellte sich schließlich endgültig heraus, als die Partitur des ‚Ogiński Marsches‘ und einer aus dem Jahr 1880 stammenden Sammlung von 86 polnischen Volkstänzen unter dem Titel ‚Diverse danses pour le violon pour Monsieur Nahke‘ wiedergefunden wurden. In der besagten Sammlung findet sich ist auch eine Mazurka, die sich praktisch völlig mit der Melodie der polnischen Hymne deckt. Quelle für die Infos zur Musik ist ein Buch von Prof. Dr. Jan Pachońskli (ein bekannter Historiker der polnischen Legionen, der sehr exakt den Aufenthalt Wybickis in Reggio rekonstruiert hat), das zum 175jährigen Jubiläum der Entstehung der Nationalhymne 1972 herausgegeben wurde.

(Sicher sind die polnischen Reime treffender als in der mir
hier vorliegenden Variante.)

Die ist in der Tat miserabel und falsch dazu… :wink: Ich korrigiere mal

Noch ist Polen nicht verloren, Nicht solang wir leben
Unsre Schwerter werden holen, Was uns fremde Macht genommen.
Marsch! Marsch! Dabrowski, Aus Italien nach Polen!
Führ uns voran, wir reichen uns brüderlich die Hände.
Unter Deiner Führung werden wir uns wieder mit dem Volk vereinen

Wie Du siehst: auch hier eine Anspielung auf die Rückkehr der Legionäre in die Heimat.

Przejdziem Wisłę, przejdziem Wartę, będziem Polakami
Wir überschreiten die Weichsel, wir überschreiten die Warthe, wir werden Polen

Erneut eine Anspielung auf den schwierigen Rückweg der Legionäre nach Polen (war ja damals nicht so, daß man in den Flieger steigt und fertisch, gelle?).

Die ursprünglich antirussischen - und antipreussischen? -
Texte scheinen hier auch zu fehlen. (Siehe auch
http://www.pl-info.net/en/explore/anthem.shtml - wer kann
übersetzen?)

Nun ja… Der Text wurde mehrfach verändert. Der ofizielle Text (1976 in die polnische Verfassung aufgenommen) lautet so:

  1. Jeszcze Polska nie zginęła
    Kiedy my żyjemy,
    Co nam obca przemoc wzięła,
    Szablą odbierzemy.

Ref:
Marsz, marsz, Dąbrowski,
Z ziemi włoskiej do Polski
Za twoim przewodem,
Złączym się z narodem.

  1. Przejdziem Wisłę,
    Przejdziem Wartę,
    Będziem Polakami,
    Dał nam przykład Bonaparte,
    Jak zwyciężać mamy.

  2. Jak Czarniecki do Poznania,
    Po szwedzkim zaborze,
    Dla ojczyzny ratowania,
    Wrócim się przez morze.

  3. Już tam ojciec do swej Basi,
    Mówi zapłakany -
    Słuchaj jeno, pono nasi
    Biją w tarabany.

Die antirussische und antideutsche Strophe

Niemiec, Moskal nie osiędzie,
Gdy jawszy pałasza,
Hasłem wszystkich zgoda będzie
I ojczyzna nasza.

In etwa (sorry, habe keine Zeit zum Reimen und Altpolnisch ist nicht wirklich einfach zu übersetzen): Deutscher, Russe (Moskal ist der verächtliche Ausdruck für einen Russen) wird sich nicht niederlassen, wenn er der Säbel gewahr wird. Einigkeit wird das Motto aller sein und das Vaterland wird unser.

galt während der dritten Teilung Polens, insbesondere als sich der Widerstand und der Kampfgeist regte.

Diese Strophe wiederum

Na to wszystkich jedne głosy:
„Dosyc tej niewoli!
Mamy racławickie kosy,
Kosciuszke, Bóg pozwoli.“

Es stimmen alle mit ein: ‚Genug der Sklaverei! Wir haben racławickie*** Sensen, haben Kościuszko, Gott wird uns beistehen.‘

bezieht sich auf den Volksaufstand (März - November 1794 also noch während der zweiten Teilung Polens; ursprünglich gegen die Russen, später dann auch gegen die Preußen), den Kościuszko geführt hat. Was das mit Dąbrowski zu tun hat? Nun… Als sich die Preußen im September 1794 aus Warschau zurückzogen, hat ihnen Kościuszko eine von General Dąbrowski geführte Truppe hinterher gescheucht, der auch überaus erfolgreich war: die Aufständischen haben Bromberg erobert.

*** ‚racławickie kosy‘ bezieht sich auf die Schlacht von Racławice (gegen die Russen) im April 1794, bei der mit Sensen bewaffnete Bauerntruppen auf das Schlachtfeld gingen. Tja, Kościuszko war ein begnadeter Feldherr und wußte ganz genau, daß die russischen Kanonen während der Zeit, in der die Bauern mit ihren Sensen ca. zwei Kilometer zurücklegen, nicht mehr als einmal feuern können; also quasi ‚Feuer!‘ -> Bauern setzen sich in Bewegung und metzeln den Feind nieder, bevor er noch einmal feuern kann.

Ufff… Bissl lang geworden… :wink:

Grüße

Renee

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Danke für die Richtigstellungen
Hallo Renee,

das nenne ich eine ordentliche Antwort. Vielen Dank dafür!
Ich habe geschaut, was ich in dne Büchern zu Hause dazu hbe; die Quelle habe ich angegeben. Deine Erläuterungen haben wieder mal gezeigt, dass man Büchern für Musiklehrer nicht trauen darf - aber ich habe zu Hause nichts Besseres greifbar.

Bernhard

[off topic] Stets gerne… :wink:
Hallo Bernhard,

Ich habe geschaut, was ich in dne Büchern zu Hause dazu hbe;
die Quelle habe ich angegeben. Deine Erläuterungen haben
wieder mal gezeigt, dass man Büchern für Musiklehrer nicht
trauen darf - aber ich habe zu Hause nichts Besseres greifbar.

Um keine Mißverständisse aufkommen zu lassen: ich wollte mit meinem ellenlangen Elaborat auf keinen Fall sagen, daß Deine Antwort falsch bzw. für die Katz war. Das hast Du mit Sicherheit auch nicht so verstanden, oder? Ich wollte damit auch nicht sagen, daß man sämtliche Bücher für Musiklehrer in die Tonne treten sollte. Es ist für die Autoren, die mit den Gesamtumständen (geschichtliche Details, die jeweilige Sprache, etc.) nicht vertraut sind, eben schwierig, das alles nachzuvollziehen.

Was den von Dir zitierten M. Sievritts angeht - der Name begegnete mir in Deinem Posting zum ersten Mal, woraufhin ich ein bissl gegoogelt habe (na, viel isses nich…) -, so muß ich sagen, daß ich es einem relativ jungen (wenn ich richtig geschaut habe, kam das von Dir erwähnte Buch 1984 raus) Musical -Komponisten schlicht nicht zutraue, sich adäquat mit der Geschichte eines ihm unbekannten Volkes auseinanderzusetzen.

Wie er vermutlich zu dem Schluß kam, daß die Hymne 1795 komponiert wurde, ist aus meiner Sicht relativ einfach zu erklären: schlampige Recherche. Also nach dem Motto: _1795 fand die dritte Teilung Polens statt… Während der dritten Teilung haben sie es gesungen… Phhhh… Ach egal! Kann sich doch eh keine Sau dran erinnern, wird schon stimmen…’.

Grüßle

Renee

PS. Was ich zu erwähnen vergaß: das ‚Lied der ponischen Legionen‘ wurde von den Preussen und den Russen seinerzeit selbstverständlich verboten. Aber wir Polen haben ja mehrere Hymnen - von ‚Bogurodzica‘ über ‚Boże, coś Polskę‘ bis zur ‚Rota‘ (preußenfeindlicher geht’s nicht, daher - logo! - auch verboten, worum sich die Polen selbstredend nicht geschert haben; war seinerzeit der ärgste Konkurrent der heutigen Hymne).

Wenn Dich das Thema interessiert: mail mich kurz an - das wäre hier zu sehr off topic._

Zur Ehrenrettung des Autors
Hallo Renee

du schreibst zu Manfred Sievritts

der Name begegnete mir in Deinem Posting zum ersten Mal,
woraufhin ich ein bissl gegoogelt habe (na, viel isses nich…) -,
so muß ich sagen, daß ich es einem relativ jungen (wenn ich
richtig geschaut habe, kam das von Dir erwähnte Buch 1984 raus)
Musical-Komponisten schlicht nicht zutraue, sich adäquat mit der
Geschichte eines ihm unbekannten Volkes auseinanderzusetzen.

Das von mir genannte Buch war Ende der Achtziger Jahre eines der besten Bücher zum deutschsprachigen politischen Lied; es ist vielseitig und anregend und macht auf mich den Eindruck eines gründlich durchdachten Werkes. Selbst die Schnitzer mit der Jahreszahl und den politischen Zusammenhängen, die du richtiggestellt hast, lassen für mich den Wert des Buches nicht sinken. (Wiewohl ich auch in Zukunft seine Quellen überprüfen muss.)

Dieses Buch hat gegen Ende einen Abschnitt, der sich mit verschiedenen Nationalhymnen auseinandersetzt, bei der er auf andere Quellen und Erfahrungen zurückgreifen musste, und da waren ihm wohl die falschen Quellen in die Hand gefallen. Zumindest meine Zweifel zu den unterschiedlichen Jahreszahlen und zu der merkwürdigen Übersetzung kamen hoffentlich in meinem Posting heraus.

Im Karlsruher Virtuellen Katalog wirst du finden, dass Sievritts zumindest seit 1976 musikpädagogisch publiziert und seit 1980 Herausgeber der Reihe „Musikdidaktik“ im Capella-Verlag ist. Dass er auf einer Seite http://www.musical-edition.de hauptsächlich als Musical-Autor bezeichnet ist, hängt wohl mit der speziellen Ausrichtung der Seite zusammen. Die dort ebenfalls angesprochene musikdidaktische Literatur geht unter.

Aber wir bewegen uns hier sehr im Offtopic-Bereich, daher alles weitere per Mail

Bernhard Bremberger