[Politische Psychologie] "Die heilige Familie" - Familie und Revolution

Heute morgen die Wochenendzeitung gelesen und in einem interessanten Interview mit Herrn Nedopil, einem bekannten forenischem Psychiater, folgende Passage gefunden (mit der er auf etwas anderes hinaus wollte ich als ich mit meiner Frage; um den Serotonin-Hirnstoffwechsel gehts mir bei meiner Frage nicht, aber zum Verständnis zitiere ich die Passage vollständig).

"Es gibt dazu ein Affen-Experiment mit dem Botenstoff Serotonin:

Affe 1 produziert genug Serotonin und wächst behütet von seiner Mutter auf.
Affe 2 hat genetisch bedingt zu wenig Serotonin und wächst behütet von seiner Mutter auf.

Affe 3 produziert genug Serotonin und wächst ohne seine Mutter in einer Gruppe Gleichaltriger auf.
Affe 4 produziert nicht genügend Serotonin und wächst ohne seine Mutter in einer Gruppe Gleichaltriger auf.

Alle vier Affen kommen in einen Zoo:
Affe 1 können Sie leicht zähmen.
Affe 2 ist nervös, unruhig, ängstlich.

Affe 3 wird vorlaut, übermäßig neugierig, aber letztlich doch zutraulich sein.
Affe 4 wird ein wirklich böser Angstbeißer werden."

Frage: Hatten diejenigen linken Reformer seit 150 Jahren nicht eigentlich vollkommen recht gehabt, insbesondere die Freudomarxisten der 20er bis 60er Jahre, die behauptet haben, dass die Familienform die Quelle allen Übels ist, weil sie massenhaft Menschen wie Affe 1 hervorbringt (zähmbar, dienstbar, ausbeutbar, einsperrbar, angepasst, nicht wehrhaft genug; im pathologischen Fall neurotisch und ängstlich wie Affe 2), und bräuchten wir nicht eher freie Gleichaltrigen-Gruppen statt Kleinfamilien, um Menschen wie Affe 3 hervorzubringen, der sich wehrt und nichts gefällen lässt, schwer zähmbar, aber durchaus gemeinschaftsfähig ist?

Heute in unserer sog. „post-ideologischen“ Einheitssoßen-Gesellschaft wird diese Frage ja nicht mal mehr diskutiert, ob die Familienform nicht ein Hauptproblem sein könnte, und das, obwohl die zunehmende Verkleinerung der Familie auf ein oder max. zwei Kinder das Problem weiter verschärft, weil die Gleichaltrigen-Gruppen fast nur in funktionalen Zusammenhängen wie Schule zu finden sind, und dort ihres Wesens beraubt sind (d.h. selbständig Regel ausbilden, Kämpfe auf Augenhöhe ausfechten; alpha-beta-omega-Positionen etablieren und wieder in Frage stellen, sich gemeinsam entwickeln ohne quasi-transzendentale Autoritäten usw.).

(Auch der teilweise Wegfall/Schwächung der Vater-Position in der Familie in der heutigen Gesellschaft würde zum Thema gehören, weil eine Dyade nochmal eine ganz andere Familiendynamik bedingt als eine Triade; das machts dann aber arg komplex.)

Gruß
F.

Quelle: Münchner Merkur, 2./3. Juni 2018, S.15

Hallo,

ich habe keine Ahnung, ob diese Überlegungen wirklich auf Menschen zu übertragen sind, auch minus der Serotinin-Überlegung.

Aber in dem Thread über eine Zukunftsvision habe ich die Buchreihe „The Holdfast Chronicles“ empfohlen. Auch zu deinen Überlegungen gibt es dazu Gedanken. Die Männergesellschaft in Holdfast ist in 7jährige Altersgruppen eingeteilt. Beziehungen über diese Altersgrenzen hinaus werden als widernatürlich empfunden und geächtet.

Auch in der Frauengesellschaft gibt es dazu interessante Aspekte. Die Mädchen leben - sobald sie etwas selbstständig sind - in einer Art Rudel, unabhängig von ihren Müttern. Sobald sie ihre erste Periode haben, werden sie von dem Pack ausgestoßen und müssen zu den erwachsenen Frauen.
Die Frauen, die in der Männergesellschaft versklavt sind, wachsen ebenfalls fast ohne erwachsenen Einfluss auf. Wenn sie alt genug sind, müssen sie von einigen männlichen Trainern „gebrochen“ werden, durch physische Gewalt, denn nur die stärksten (auch psysisch) haben überlebt, und die sind erstmal nicht für Sklavenarbeit zu gebrauchen.

Wenn du die Bücher nicht kennst (speziell das erste, Walk to the End of the World, ist da glaube ich interessant), würde ich sie dir echt ans Herz legen. Vielleicht findest du ein paar Anregungen zu deiner Theorie.

Eine Überlegung zu deiner zitierten Studie habe ich aber: es ist nur von Affe 1-4 die Rede. Macht es einen Unterschied, welchen Geschlechts die Affen sind?

Grüße
Siboniwe

Ich auch nicht, schon weil ich die Studie nicht gefunden habe, auf die Nedopil anspielt.
Ich verstand sie nicht als „Beleg“, sondern nur als Gedankenanstoß (Gedanke: „Konservative Familienpolitik dient unserer Zähmung, damit wir möglichst gut funktionieren und gar nicht auf die Idee kommen, Freiheit und Selbständigkeit einzufordern“; das halte ich von meiner politisch-weltanschaulichen Warte aus für eine sehr treffende Zuspitzung) zu einem Thema, das für mein Empfinden wieder viel zu sehr aus den öffentlichen Diskursen verschwunden ist.
Sicherlich werden die Dinge aber selbst bei den Affen komplizierter liegen als Nedopil sie in diesem Interview zusammengefasst hat.

Das finde ich einen interessanten Hinweise, danke, denn gerade in den Kulturen, in denen Gleichaltrigen-Gruppen eine größerer Rolle spielen als hier und heute (nicht, weil dort die Familien unwichtig wären, aber weil die Zahl der Kinder so hoch war und die Kinderbetreuung nicht so stark institutionalisiert), spielte dieses „Brechen“ in Initiatonsriten und anderen bewusst herbei geführten Traumatisierungen eine so wichtige Rolle.

Deine Ausführungen machen Lust auf dieses Buch!

Gruß
F.

serotoninfreie antwort zu

die tendenz zu gleichaltrigen gruppen und deren betreuung ist unübersehbar, besonders in großstädten und umfeld. kindertagesstätten, ganztagschulen. aus diversen gründen. das problem dort ist dennoch die reduzierung der gemeinschaftsfähigkeit durch einzelgruppierung einer bereits relativ kleinen gruppe. nach sozialem stand, religiöser zugehörigkeit, oder aufgrund mangelhafter betreuung qualitativer fähigkeiten - betreuungsinhalte oder resourcenbedingt allgemein. usw.
die positionen und kämpfe werden bereits sehr früh in einem alter ausgetragen, das dauerhaft sozialisierend oder desozialisierend prägt.

wenn du schon kleinfamilien nennst, muss man auch über die größere gruppe großfamilie [und nein, das ist kein fremdenfeindlicher ein- oder auswurf, großfamilientum ist überall existent] und deren einflussbereich, gesellschaftliche relevanz und erfolge für die gemeinschaft nachdenken. alles stets im sehr engen kreis erarbeitet und dann mehr oder weniger verteilt. familiär im grundsatz dennoch.

„politische psychologie“:
das konzept kleinfamiliär hat vorteile, weil es gesellschaftlich einfacher zu handhaben ist. hier besteht auch der druck, wegen der geringen größe - die individuelle gemeinschaftsfähikeit ist hinsichtlich der geamten größenordnung unbedeutend - sich grundsätzlich eher einzuordnen und allgemeine spielregeln einzuhalten. durch relativ einfache unproblematische angebote - kita, schule, vereine, schwimmbad und sonstige einrichtungen - wird der gesellschaftliche konsens gefördert und gestärkt. die bereitschaft, sein ich vorsichtig zu öffnen und teilennehmen zu lassen. der bessere weg als revoluzzer irgendeiner form quasi auszubilden. kritisches denken entsteht nicht im mitläufertum, sondern in der distanz.

pasquino

ich habe die (serotoninfreien) randbedingungen und auswertung der affen 1 und 3 überdacht. unsinn. autorität hat man oder nicht. in der erziehung, egal, wer erzieht.

Vordergründig schon, aber nur stark reglementierte in Kita, Schule, Fußballverein, Tanzstunde usw.
Warum das für mich keine richtigen Gleichaltrigen-Gruppen sind, habe ich im UP ja schon angesprochen.

[quote]wenn du schon kleinfamilien nennst, muss man auch über die größere gruppe großfamilie [und nein, das ist kein fremdenfeindlicher ein- oder auswurf, großfamilientum ist überall existent]

[/quote]

Natürlich ist der Hinweis auf die Großfamilie nicht fremdenfeindlich.
Bei uns gibt es sie aber kaum noch.
Die historische Tendenz von der Groß- zur Kleinfamilie und nur in Richtung Mutter-Kind-Dyade ist unübersehbar.

Darum, um das Fettmarkierte, gehts mir ja.
Ich verstehe dich so, dass du mir hierbei zustimmst (auch wenn du es möglicherweise anders herum wertest).

Gruß
F.